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nennt. Groß, stark, elegant, wäre da nicht die große, leicht gebogene Nase, könnte man ihn fast schön nennen. Sie schätzte ihn auf ca. 48 Jahre. Sieben Augenpaare musterten sie kritisch. Seine kühle Arroganz mit der er sie von oben herab, ansieht, störte sie sehr. „Sind Sie sicher, dass sie hier arbeiten wollen und können, das ist kein Modesalon?!“Davor habe sie keine Angst, sie kann arbeiten; erzählt ihm von dem Laden, den sie geleitet hatte. In seinen Augen las sie, dass sie die Stelle bekommen würde.

      Täglich fuhr nun auch sie mit der S-Bahn in den amerikanischen Sektor für 0,20 DM. Das waren Zeiten! Entsprechend natürlich die Löhne und Gehälter. Fünf Verkäuferinnen aus der SBZ und drei aus dem amerikanischen Sektor, brachten nun gemeinsam die Ware an den Mann. Es gab sie schon damals, die feinen Unterschiede. Wer aus der SBZ kam, bekam automatisch weniger Gehalt, er sollte sich den Wechselkurs zunutze machen, die einhellige Meinung der Unternehmer. Doch ein Zehnstundentag blieb für Ost und West gleich. Die Arbeit musste verrichtet werden, da achtete schon Helga ’drauf! Mit der drallen Helga, die erst kürzlich von Mecklenburg nach Neukölln gezogen war, verstand sie sich gut. Helga war alleinstehend, ein absolutes „Arbeitstier „– die rechte Hand vom Chef. Sie überforderte sich selbst und die Kolleginnen.

      Christina hatte hier ein Terrain betreten, wo sie gefordert wurde. Sie eine Schützin, kämpferisch, zeitweise mit fast revolutionären Ambitionen, wollte nicht länger zusehen, wie Helga sich gesundheitlich ruinierte. Mit Klugheit und Diplomatie schaffte sie es, in kurzer Zeit, das Arbeitsklima ein wenig menschlicher zu gestalten. Dem Chef konnte das nicht gefallen, dem Charisma von Christina aber verfiel auch er.

      Donnerstag, das war der Tag, an dem Helga und der Chef frei hatten. Nicht etwa zusammen, Helga machte zu Hause den Papierkram, der Chef amüsierte sich im „Paracelsiusbad „. Man war ja wer. Da gings um das neue Wirtschaftswunder, um Klatsch und Tratsch. Einige Prominente waren immer anwesend. Unter ihnen C.J der „Normannische Kleiderschrank“. Ihnen war das egal, sie trällerten den gerade aufgekommenen Schlager:

      Unser Chef ist nicht da,

      das haben wir gern, denn wir kennen ihn nah

      und lieben ihn fern.

      Wollte Gott, er käme nie zurück,

      das wär für ihn und für uns ein Glück!

      Die Stimmung ist groß, der Umgang famos,

      was will denn der Alte hier bloß?

      Unser Chef …

      Am nächsten Tag lädt der Chef sein Team für kommenden Samstag zur Gastwirtsmesse am Funkturm; mit anschließendem Restaurantbesuch, ein.

      Christina wollte nicht mitgehen, sie möchte den Tag mit Marc verbringen. Alle reden auf sie ein, besonders der Chef. Sie war lange nicht aus, stimmt dann doch zu. Unbedingt wird sie sich ein neues Kleid kaufen, ein paar neue Schuhe vielleicht noch. Am Mittag treffen sich alle, der Chef signalisiert ihr durch seine Blicke, sie hat eine gute Wahl getroffen. Obwohl sie so jung ist, hat sie einen treffsicheren Geschmack. Elegant gekleidet, mit ihren italienischen Modellschuhen tritt sie gekonnt auf, wie auf einem Laufsteg. Wie selbstverständlich bleibt er immer an ihrer Seite. Es wird sehr viel verkostet, sein gesamtes Team ist schon leicht beschwipst. Auch im Restaurant richtet er es so ein, dass er wieder neben ihr sitzt. Helga wundert sich. Mit dem Chef unterhält Christina sich zum ersten Mal eigentlich über private Dinge. Sie ist ein gewaltiges Energiebündel, es sprudelt alles nur so aus ihr heraus. Der Chef staunt nicht schlecht; und sie ist eine Augenweide denkt er bei sich. Sie verabschieden sich und zerstreuen sich in alle Winde.

      Christina will gerade in den Bus einsteigen, da hält der Chef mit quietschenden Bremsen neben ihr. Die Erleichterung ist ihm anzusehen, dass er sie wirklich in letzter Sekunde erreicht hat. Er schlägt vor, als krönenden Abschluss noch eine nette Bar aufzusuchen. Dieses Angebot beflügelt augenblicklich ihre Sinne. Er steuert eine exclusive Bar an. Ein erlesenes Publikum – das ist eine Klasse für sich. Hier ist ihr Platz – irgendwann wird sie dazugehören. Bekannte Leute vom Film sind anwesend; er will sie darauf aufmerksam machen, sie hat sie längst erkannt. Ihr Vater hat ihr als Kind immer sehr viele Anekdoten und Geschichten von den Stars der UFA erzählt, sie hat sich später sehr dafür interessiert. Zum ersten Mal tanzt sie mit ihrem Chef, das hätte sie sich nie träumen lassen. In seinen Armen kommt sie sich ein wenig verloren vor, er ist bärenstark. Neben ihm wirkt sie zerbrechlich; für ihn ist sie eine begehrenswerte, junge, Frau. Er wird sie erobern – das steht für ihn fest. Nach einiger Zeit werden sie ein Paar. Für sie ist es nicht die große Liebe, ihre Wunden sind noch nicht verheilt. Trotzdem bleibt sie immer öfter bei ihm. Sie verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen! Sie spart die Wege zwischen Ost und West. Die Wochenenden will er nun verstärkt natürlich mit ihr verbringen. Da ist noch Marc; und so sagt sie ihm, dass sie ihn mit einbeziehen müssen.

      Unverblümt sagt er ihr, dass er sich absolut nichts aus kleinen Kindern mache! Er habe einen Sohn aus erster Ehe, das reiche ihm, und auch zu dem habe er keinen Kontakt. Das kann sie nicht verstehen.Wo immer sie mit Marc auftaucht, erntet er liebevolle Blicke und viele Süßigkeiten. In voll besetzten Bahnen wird er ihr fast aus dem Arm gerissen und auf den Schoß genommen, so süß ist er mit seinen großen schwarzen Kirschenaugen, den dichten langen Wimpern, seinen rosigen Pausbäckchen und dem dunklen Lockenköpfchen! Sie ist so stolz auf ihn. Lieber verzichtet sie auf den Chef, sie wird sich rar machen. Er redet sich heraus, sagt, er habe ihn ja noch nicht gesehen. Das wirst du auch nicht!

      Am Wochenende fährt sie zu Onkel Hardy. Marc kann dann wieder VW fahren. In der S-Bahn versprüht er wieder eine geballte Ladung an kindlichem Charme. Er weiß sich in Szene zu setzen. Irgendwann während einer Unterhaltung schnappte er das Wort, abstrakte Kunst, auf. Von den Erwachsenen längst abgehakt, nicht für ihn! Kurioserweise muss er das Wort an passender Stelle, während der S-Bahnfahrt, lautstark loswerden. Eine große Ruine, ein Relikt aus dem 2. Weltkrieg, (Gedächtniskirche) fesselt ihn.“ Mami, Mami, kuck, – ab … strack … die … Kunst!!“ Die Lacher hat er auf seiner Seite. Niemand glaubt, dass er erst anderthalb Jahre alt ist. Später wurde er fürs Kinderfernsehen, für kleine Werbeaufnahmen entdeckt. Christina wird sich arrangieren müssen. An allen Fronten gibts schon mal ein paar kleine Machtkämpfe. Marc, der Chef, die Eltern und sie selbst möchte auch noch etwas vom Leben haben.

      Der Chef ist am Montag richtig grantig, er hatte gehofft, sie würde wenigstens Sonntagabend noch kommen. Er macht ihr Vorhaltungen.

      Christina ist sehr erstaunt, sagt: Wir sind doch nicht verheiratet, ich teile meine Freizeit nach Prioritäten ein, zur ersten gehört erst mal Marc!

      Beleidigt zieht er davon.

      Auf der Arbeit kommen sie sich alle bei Kaffee und Kuchen näher, unterhalten sich auch über private Dinge. Christina hat nur ein Thema – Marc! Alle wollen ihn kennenlernen, doch wann? Früh schläft er noch, abends schon wieder. Wenn sie ein paar Tage Urlaub hat, wird sie ihn vorstellen.

      Helga wird sehr krank – Krebs! Sie litten mit ihr, sind erschüttert und tief bewegt. Bald schied sie aus. Drei Monate später wird sie zu Grabe getragen. Ein großer schmerzvoller Einschnitt! Wie schnell so ein Menschenleben ausgehaucht werden kann, sie war doch noch so jung! Der Chef bejammert am meisten sich selbst, wie viel sie ihm an Arbeit immer abgenommen hat, jetzt müsste er sich um noch mehr kümmern. Christina findet es geschmacklos, sagt es ihm auch; übernimmt dann nach und nach Helgas Aufgaben. Ihr Team steht hinter ihr. Durch ihr soziales Engagement bügelt sie manche Laune des Chefs aus. Vor allem aber halten sie an ihrem Donnerstag fest! Aller angestauter Ärger verpufft, sie lassen es sich dann, so richtig gut gehen.

      Am Samstagabend lädt der Chef Christina in eine „Transvestitenbar“ ein. Da gehen ihr die Augen über, solche schönen Männer als Frauen verkleidet hat sie in so großer Anzahl noch nicht gesehen. Sie will gar nicht glauben, dass es Männer sind, die ein hervorragendes Programm bieten. Ein besonderer Höhepunkt an diesem Abend ist ein Tanz mit Willi Birgel! Mit einem blonden Starlet kam er offenbar aus dem Theater; beide waren noch ziemlich stark geschminkt. Galant bat der frühere „Herzensbrecher“ Christina um diesen Tanz. Sie fand ihn ziemlich betagt, dennoch schmeichelten die Komplimente,

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