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er ihr nicht bald öffnen?

      »Vater, Vater!« rief sie. »Laß mich ein! Mich friert, ich zittere vor Kälte. Es ist entsetzlich hier draußen!

      Mutter, Mutter! Die du so viele Schritte mir zuliebe getan, die du so viele Nächte meinetwillen gewacht hast, weshalb schläfst du jetzt? Mutter, Mutter, so wache doch noch diese eine Nacht, und ich will dir nie wieder Kummer bereiten.«

      Sie ruft und versinkt dann in atemloses Schweigen, um einer Antwort zu lauschen. Niemand aber hörte sie, niemand gehorchte ihr, niemand antwortete.

      Da ringt sie die Hände in wilder Angst, aber ihre Augen haben keine Tränen.

      Das lange dunkle Haus mit seinen verschlossenen Türen und schwarzen Fenstern liegt unheimlich, unbeweglich da in der Nacht. Was sollte jetzt nur aus ihr werden, heimatlos wie sie war? Gebrandmarkt, entehrt war sie, so lange der Himmel dieser Erde sich über ihr wölbte. Und ihr Vater selber drückte ihr dies glühende Eisen auf die Schulter!

      »Vater«, rief sie noch einmal, »was soll aus mir werden? Die Menschen werden das Schlimmste von mir glauben.«

      Sie weinte und jammerte, ihr Körper war starr vor Kälte.

      Ach, daß ein solcher Jammer über einen Menschen hereinbrechen kann, der eben noch so hoch stand! Ach, es gehört nicht viel dazu, um in das tiefste Elend gestürzt zu werden! Muß uns nicht bange werden vor dem Leben? Wer sitzt in einem sicheren Fahrzeug? Rings um uns her wogt die Sorge gleich einem stürmischen Meer: begehrlich lecken die Wellen an den Seiten des Schiffleins herauf, siehe, sie brausen auf, um es zu überwältigen. Kein sicherer Halt, kein fester Boden, kein zuverlässiges Fahrzeug, so weit das Auge reicht, nur ein unbekannter Himmel über einem Meer von Kummer. – –

      Aber horch! endlich, endlich! Über die Diele nahen leichte Schritte.

      »Bist du es, Mutter?« fragt Marianne.

      »Ja, mein Kind.«

      »Kann ich jetzt hineinkommen?«

      »Der Vater will dich nicht einlassen.«

      »Ich bin in meinen dünnen Schuhen von Ekeby bis hierher durch den Schnee gelaufen. Ich habe hier eine Stunde gestanden und gerufen. Ich friere tot hier draußen. Weshalb seid ihr mir fortgefahren?«

      »Mein Kind, mein Kind, weshalb küßtest du Gösta Berling?«

      »Aber so sage dem Vater doch, daß ich ihn deswegen nicht liebe. Es war ja ein Spiel. Glaubt er, daß ich Gösta heiraten will?«

      »Geh auf den Pachthof hinab, Marianne, und bitte, daß sie dich dort für die Nacht aufnehmen. Der Vater ist trunken. Er will keine Vernunft annehmen. Er hat mich oben gefangengehalten. Ich schlich hinaus, als ich glaubte, daß er schliefe. Er schlägt dich tot, wenn du ins Haus kommst.«

      »Mutter, Mutter, soll ich zu Fremden gehen, wenn ich ein Heim habe? Ist denn meine Mutter ebenso hart wie mein Vater? Wie kannst du es nur zugeben, daß ich ausgeschlossen werde? Ich lege mich hier draußen in den Schnee, wenn du mich nicht einläßt!«

      Da legte Mariannens Mutter die Hand auf das Schloß, um zu öffnen. Im selben Augenblick aber wurden schwere Schritte auf der Treppe hörbar, und eine scharfe Stimme rief nach ihr.

      Marianne lauschte, ihre Mutter eilte von dannen, die scharfe Stimme schalt sie aus – und dann – –

      Marianne hörte etwas Entsetzliches – sie konnte jeden Ton hören in dem stillen Haus.

      Sie hörte den Schall eines Schlages, eines Stockschlages oder einer Ohrfeige, dann vernahm sie ein schwaches Geräusch und dann abermals einen Schlag.

      Er schlug ihre Mutter, der schreckliche, der riesenhafte Melchior Sinclaire schlug seine Frau.

      Und in bleichem Entsetzen warf sich Marianne auf die Türschwelle nieder und wand sich in ihrer Angst. Jetzt weinte sie, und ihre Tränen gefroren zu Eis auf der heimatlichen Schwelle.

      Gnade und Erbarmen! Öffnet, öffnet, damit sie hineinkommen und ihren Rücken unter den Schlägen beugen kann! Ach, daß er ihre Mutter schlagen kann, weil sie ihre Tochter nicht im Schnee erfrieren lassen will, weil sie ihr Kind trösten wollte!

      Tief erniedrigt ward Marianne in jener Nacht. Sie hatte geträumt, daß sie eine Königin sei, und lag nun dort, nicht viel besser als eine gepeitschte Sklavin.

      Aber sie erhob sich in kaltem Zorn. Noch einmal schlug sie ihre blutige Hand gegen die Tür und rief: »Höre, was ich dir sage, du, der du meine Mutter schlägst. Du sollst weinen, Melchior Sinclaire, weinen sollst du!«

      Dann ging die schöne Marianne hin und legte sich in den Schnee zur Ruhe. Sie warf den Pelz ab und lag dort in ihrem schwarzen Samtkleide, daß sich von dem weißen Schnee grell abhob. Sie lag da und malte es sich aus, wie ihr Vater am nächsten Tage bei seiner frühen Morgenwanderung herauskommen und sie dort finden würde. Sie hatte nur den einen Wunsch, daß er selber sie finden möge.

      *

      Auf Ekeby waren alle Lichter gelöscht, alle Gäste hatten sich verabschiedet. Die Kavaliere standen oben im Kavalierflügel allein um die letzte, halbgeleerte Punschbowle.

      Da schlug Gösta an die Bowle und hielt eine Rede auf euch, ihr Frauen entschwundener Zeiten. Von euch zu reden, sagte er, sei, als rede man vom Himmelreich, eitel Schönheit wäret ihr, eitel Licht. Ewig jung, ewig schön wäret ihr und milde wie die Augen einer Mutter, wenn sie ihr Kind anschaut. Weich wie die jungen Eichhörnchen hinget ihr an dem Halse des Gatten. Niemals hörte man eure Stimme im Zorn erbeben, niemals legte sich eure Stirn in Falten, eure weiche Hand würde niemals rauh und hart. Sanfte Heilige wäret ihr, geschmückte Bildsäulen im Tempel des Hauses. Die Männer lägen euch zu Füßen, euch Räucherwerk und Gebete opfernd. Durch euch verrichte die Liebe ihre Wunder, um eure Stirn schlänge die Poesie ihren goldstrahlenden Glorienschein.

      Und die Kavaliere sprangen auf, wirr vom Wein, wirr von seinen Worten, ihr Blut wallte auf vor Festesfreude. Der alte Onkel Eberhardt und der träge Vetter Kristoffer hielten sich nicht zurück von dem Scherz. In fliegender Eile spannten die Kavaliere Pferde vor die Schlitten und eilten hinaus in die kalte Nacht, um denen noch eine Huldigung zu bringen, denen man niemals genügend huldigen kann, um einer jeden von denen, deren rote Wangen und helle Augen vor wenigen Stunden in Ekebys großen Sälen gestrahlt hatten, eine Serenade zu bringen.

      Aber die Kavaliere kamen nicht weit auf diesem Zuge, denn gleich, als sie nach Björne kamen, fanden sie die schöne Marianne an der Tür ihres Heims im Schnee liegen.

      Sie schauderten und ergrimmten, als sie sie daliegen sahen. Es war, als hätten sie ein angebetetes Heiligenbild zertrümmert und beraubt vor der Kirchentür gefunden, es war, als habe ein Missetäter den Bogen einer Stradivariusgeige zerbrochen und die Saiten zerrissen.

      Gösta drohte mit geballter Faust in der Richtung nach dem dunklen Hause zu. »Ihr Kinder des Hasses!« rief er. »Ihr Hagelschauer, ihr Nordwinde, ihr Zerstörer von Gottes Paradies!«

      Beerencreutz zündete seine Hornlaterne an und beleuchtete das totenbleiche Antlitz. Da sahen die Kavaliere Mariannens zerfleischte Hände und die Tränen, die in ihren Wimpern gefroren waren, und sie jammerten wie die Weiber; denn sie war doch nicht nur ein Heiligenbild und ein Saitenspiel, sondern eine schöne Frau, die ihrem alten Herzen eine Freude gewesen war.

      Gösta Berling warf sich neben sie auf die Knie.

      »Hier liegt sie nun, meine Braut!« sagte er. »Vor wenigen Stunden gab sie mir den Brautkuß, und ihr Vater hat mir seinen Segen versprochen. Sie liegt und wartet, daß ich kommen und ihr weißes Bette teilen soll.«

      Und Gösta hob die Leblose auf seine starken Arme.

      »Heim mit ihr, nach Ekeby«, rief er. »Jetzt ist sie die Meine! Im Schnee habe ich sie gefunden, jetzt soll niemand sie mir wieder nehmen. Die da drinnen wollen wir nicht wecken. Was hat sie hinter den Türen zu tun, gegen die sie ihre Hände blutig geschlagen hat?«

      Und sie willfahrten ihm. Er legte Marianne in den ersten Schlitten und setzte sich neben sie. Beerencreutz stellte

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