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hoben sich leise und sie blickte mich forschend an.

      »Wenn ich dies Vermögen erhalte, so danke ich es Ihnen.«

      »Nein, nein,« antwortete ich. »Nicht mir, sondern meinem Freunde Sherlock Holmes. Mit allem guten Willen von der Welt hätte ich die Lösung nicht finden können, die selbst sein Genie hart auf die Probe gestellt hat. Noch im letzten Augenblick hätten wir um ein Haar alles verloren.«

      »Bitte setzen Sie sich und erzählen Sie mir, Herr Doktor.«

      Ich berichtete kurz, was sich zugetragen hatte, seit ich sie zuletzt gesehen. Holmes’ neue Methode, die Entdeckung der ›Aurora‹, die Beteiligung von Athelney Jones an unserer nächtlichen Expedition und die wilde Jagd auf der Themse. Sie horchte mit geöffneten Lippen und glänzenden Augen der Schilderung unserer Abenteuer. Als ich von dem Bolzen sprach, dem wir mit genauer Not entgangen waren, ward sie so bleich, als sei sie einer Ohnmacht nahe.

      »Es ist nichts,« sagte sie, als ich nach einem Glas Wasser griff. »Ich bin ganz wohl. Mich erschreckte es nur zu hören, daß ich meine Freunde einer so gräßlichen Gefahr ausgesetzt habe.«

      »Das ist nun alles vorüber. Ich werde Ihnen keine so düsteren Einzelheiten mehr erzählen; wir wollen uns zu etwas Heiterem wenden. Hier ist der Schatz. Was könnte erfreulicher sein? Mir ist erlaubt worden, ihn mit her zu bringen, da ich glaubte, es würde Ihnen lieb sein, wenn Sie die erste wären, die ihn betrachtet.«

      »Natürlich wird mich das aufs höchste interessieren,« sagte sie; doch klang keine Begierde aus den Worten. Mir schien, sie wollte sich nur nicht gleichgültig gegen einen Preis zeigen, den zu gewinnen wir uns so viel Anstrengung hatten kosten lassen.

      »Ein hübscher Kasten,« sagte sie, sich über denselben beugend. »Vermutlich indische Arbeit?«

      »Ja, es ist Metallarbeit, wie sie in Benares gemacht wird.«

      »Und so schwer!« rief sie aus, indem sie versuchte, ihn zu heben. »Der Kasten allein muß schon von Wert sein. Wo ist der Schlüssel?«

      »Small hat ihn in die Themse geworfen; ich muß mir Frau Forresters Schüreisen borgen.«

      Vorn an dem Kasten befand sich eine schwere, breite Haspe mit dem Bild eines sitzenden Buddha. Ich schob die Spitze des Eisens darunter, es als Hebel gebrauchend. Der Versuch glückte. Die Haspe sprang mit einem lauten Knall auf, und zitternd vor Erregung schlug ich den Deckel zurück. Wer schildert aber unser Erstaunen – der Kasten war leer! –

      Kein Wunder, daß er so schwer wog. Die Eisenwände ringsum waren fast zolldick, und augenscheinlich so massiv und gut gearbeitet, um Dinge von hohem Wert darin aufzubewahren; aber nicht ein Krümel, noch Brocken von Metall und Edelstein lag darin. Er war, wie gesagt, vollständig leer.

      »Der Schatz ist verloren,« sagte Fräulein Morstan ruhig.

      Als ich diese Worte hörte und ihre Bedeutung begriff, atmete ich erleichtert auf. Ich hatte nicht gewußt, wie schwer dieser Agra-Schatz mich niederdrückte, bis mir die Last jetzt von der Seele genommen ward. Es war ohne Zweifel eigensüchtig, unredlich, sündhaft – aber ich hatte kein anderes Gefühl, als daß die goldene Scheidewand zwischen uns gefallen war.

      »Gott sei Dank!« rief ich aus tiefstem Herzensgrund.

      Ein Lächeln flog über ihre Züge; sie sah mich fragend an.

      »Warum sagen Sie das?«

      »Weil Sie wieder in meinem Bereich sind,« versetzte ich, ihre Hand ergreifend, die sie mir nicht entzog. »Weil ich Sie liebe, Mary – so innig wie jemals ein Weib geliebt worden ist. Weil dieser Schatz, diese Reichtümer, mir die Lippen versiegelten. Nun sie fort sind, darf ich Ihnen meine Liebe gestehen. Und deshalb sage ich: ›Gott sei Dank.‹«

      »Dann sage auch ich ›Gott sei Dank‹, flüsterte sie, während ich sie in meine Arme schloß. Mochte jener große Schatz immerhin verloren sein, ich wußte an dem Abend, daß ich einen weit größeren Schatz gewonnen hatte.

       Inhaltsverzeichnis

      Mein Polizeibeamter in der Droschke war wirklich ein geduldiger Mann, denn die Zeit, bis ich wieder kam, muß ihm lang geworden sein. Sein Gesicht verfinsterte sich bedeutend, als ich ihm den leeren Kasten zeigte.

      »Da ist unser Lohn zum Henker,« sagte er mißmutig. »Wo kein Geld ist, giebt’s keine Bezahlung. Diese Nachtfahrt hätte uns jedem eine halbe Guinee eingebracht, Sam Brown und mir, wenn der Schatz nicht fort wäre.«

      »Thaddäus Scholto ist ein reicher Mann,« beruhigte ich ihn, »er wird sorgen, daß eure Mühe belohnt wird – mit oder ohne Schatz.«

      Aber der Polizist schüttelte den Kopf. »Ein schlechtes Geschäft,« wiederholte er, »Herr Athelney Jones wird das auch finden.«

      Sein Vorgefühl erwies sich als richtig. Der Geheimpolizist machte ein bestürztes Gesicht, als ich in der Bakerstraße ankam und nur den leeren Kasten mitbrachte. Sie waren soeben erst angelangt, Holmes, der Gefangene und er; denn sie hatten ihren Plan geändert und sich schon auf dem Wege bei einem Polizeiamt gemeldet. Mein Gefährte lag mit gleichgültiger Miene im Armstuhl, während Small ihm stumpfsinnig gegenüber saß, sein hölzernes Bein über das gesunde geschlagen. Beim Anblick der leeren Kiste lachte er laut auf.

      »Das habt Ihr gethan, Small,« sagte Jones grimmig.

      »Ja, ich habe es alles ins Wasser geworfen, damit es euch nicht in die Hände fällt,« schrie er triumphierend. »Es ist mein Schatz und weil ich ihn nicht behalten kann, habe ich dafür gesorgt, daß ihn niemand bekommt. Es hat kein Mensch auf der Welt ein Recht daran, ausgenommen drei Männer, die in den Andamanen als Sträflinge sind, und ich. Jetzt weiß ich, daß ich niemals in den Besitz des Schatzes gelangen kann und sie auch nicht. Was ich gethan habe, geschah gerade so gut für sie, wie für mich selber. Meine Kameraden hätten den Schatz auch lieber in die Themse geworfen, als ihn der Verwandtschaft oder Freundschaft des Majors Scholto oder Morstans überlassen; das weiß ich. Nicht um sie reich zu machen, sind wir dem Achmet zu Leibe gegangen. Sucht nur den Schatz, wo der Schlüssel ist und der kleine Tonga. Sobald ich sah, daß euer Boot uns fangen mußte, that ich die Beute an einen sichern Platz. Für die Fahrt bekommt ihr keinen Lohn.«

      »Ihr betrügt uns, Small,« sagte Jones streng; »wenn ihr den Schatz in der Themse versenken wolltet, wäre es doch leichter gewesen, ihn auf einmal mit der Kiste ins Wasser zu werfen.«

      »Leichter für mich zu werfen und leichter für euch zu finden,« antwortete er mit einem schlauen Seitenblick. »Der Mann, der klug genug war, meiner Fährte zu folgen, ist klug genug, eine eiserne Kiste vom Grund des Flusses zu holen. Nun die Juwelen verstreut sind, über fünf Meilen und mehr, möchte es ein saures Stück Arbeit sein. Freilich schnitt mir’s ins Herz, es zu thun. Fast wahnsinnig war ich, als ihr naher kamt. Aber, was hilft’s sich zu grämen. Es ist mit mir im Leben aufwärts gegangen und abwärts gegangen, aber ich habe gelernt nicht zu heulen, wenn die Milch verschüttet war.«

      »Es handelt sich hier um eine sehr ernsthafte Sache, Small,« sagte der Detektiv. »Wenn ihr der Gerechtigkeit beigestanden hättet, statt ihr hinderlich zu sein, so wäre euch das vor Gericht zu gute gekommen.«

      »Eine schöne Gerechtigkeit!« höhnte der Exsträfling. »Wessen Fang war es, wenn nicht unserer? Ist das Gerechtigkeit, daß ich die Beute denen überlassen soll, die gar keinen Anspruch daran haben? Seht dagegen, wie ich sie erworben habe:

      »Zwanzig lange Jahre in der sumpfigen Fiebergegend, den Tag über bei der Arbeit unter dem Mangrovenbaum, die Nacht hindurch fest eingeschlossen in den kotigen Sträflingshütten, von Moskitos zerbissen, von Fieber gemartert, angeschrieen von jedem schwarzen Aufseher, dem’s eine Lust war, den weißen Mann zu quälen. Unter solchen Umständen habe ich mir den Agra-Schatz verdient. Und solchen Preis soll ich gezahlt haben, nur damit ein anderer den Lohn genießen

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