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von der Schule geflogen. Er hatte seine Lehrerin mit dem Messer bedroht. Bens Eltern hatten total fassungslos reagiert. „Zum Glück wird so etwas in einer Kleinstadt nicht passieren. Da ticken die Uhren anders“, war sich seine Mutter sicher.

      Ben war davon nicht so überzeugt und ließ es auf einen Versuch ankommen, seine Meinung zu äußern.

      „Stress mit Lehrern oder Schülern kann man garantiert auch in einer Kleinstadt haben. Wer weiß, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass ...“

      „Willst du etwa das Verhalten dieses Jungen auch noch verteidigen?“, unterbrach ihn seine Mutter schrill.

      Ben zuckte die Achseln und bemühte sich, ruhig und vernünftig zu klingen. „Man weiß nicht, was ihn dazu gebracht hat. Und in die Köpfe der anderen kann man schließlich nicht hineingucken.“

      „Unsinn!“, mischte sich sein Vater ein, und Ben merkte schon an seinem Tonfall, dass er keinen Widerspruch dulden würde. „Wir haben den Paukern auch gerne einen Streich gespielt. Und einige hatten das garantiert auch verdient. Da waren ganz schön harte Knochen dabei. Aber was die Jugendlichen, ach was sag ich, die Kinder von heute sich den Lehrern gegenüber erlauben, das hat mit harmlosen Streichen nichts mehr zu tun.“

      Seine Mutter nickte zustimmend und damit war das Thema für Bens Eltern erledigt.

      Ben hatte sich ein neues Shirt übergezogen und war auf dem Weg in die Küche, um nach etwas Essbarem zu suchen. Doch so weit kam er nicht. Die Haustür wurde aufgeschlossen und seine Mutter, schwer bepackt mit Plastiktüten, trat in den Flur.

      „Schnell. Nimm mir was ab“, keuchte sie.

      Mit zwei Schritten war er bei ihr und nahm ihr die Tragetaschen aus den Händen. Er schleppte sie in die Küche und stellte sie auf den Tisch. Dann begann er die Einkäufe auszupacken und in den entsprechenden Schränken zu verstauen.

      „Die Milch in den Kühlschrank“, sagte seine Mutter, als sie mit einer weiteren prall gefüllten Tasche in die Küche geeilt kam.

      „Großeinkauf?“, fragte Ben.

      Sie nickte. „Und, wie war es heute in der Schule?“, wollte sie wissen, während sie zwei Fertiggerichte in die Mikrowelle stellte.

      „Wie immer“, sagte Ben.

      „Arbeit geschrieben oder zurückbekommen?“, bohrte sie nach.

      „Nein. Aber morgen schreiben wir Bio. Deswegen muss ich auch gleich noch kurz zu Marcel rüber. Der weiß noch nix von seinem Glück.“

      Seine Mutter schaute ihn an, zog verwundert die Augenbrauen hoch und sagte: „Warum? War der schon wieder nicht in der Schule?“

      „Nein, war er nicht.“

      „Du kannst ihn doch anrufen. Vielleicht hat er was Ernstes. Nicht, dass du dich bei ihm ansteckst!“, gab sie zu bedenken.

      „Der hat sich nur den Magen verdorben. Nichts Schlimmes“, log Ben.

      Seine Mutter schaute ihm unverwandt in die Augen – eine kleine Ewigkeit, so schien es Ben. Dann ließ sie langsam den Blick zu der Tageszeitung wandern, die auf dem Küchentisch lag, und murmelte: „Wenn du meinst ...“

      Sie fing an in der Zeitung zu blättern. Das Gespräch war beendet – und Ben war erleichtert darüber.

      2. Kapitel

      Ben hatte schon den Finger auf dem Klingelknopf, als er es sich anders überlegte. Neulich war er schon einmal unangemeldet bei Marcel aufgetaucht – und der hatte sich nicht gerade erfreut darüber gezeigt.

      „Mensch, Alter. Ruf mich vorher an. Und zwar auf dem Handy. Jetzt hast du mit dem Gebimmel meine Mutter geweckt. Scheiße!“ Marcel war stinksauer gewesen.

      Also kramte Ben sein Handy aus der Hosentasche hervor und wählte Marcels Nummer. Nach drei Freizeichen nahm Marcel ab.

      „Ja!“

      „Hi, ich bin`s. Kann ich hochkommen oder kommst du runter?“, fragte Ben.

      Marcel zögerte einen Moment. Dann schlug er vor: „Treffen wir uns in einer halben Stunde hinterm Neukauf?“

      Ben dachte an Johannes und seine Clique. Denen wollte er heute auf keinen Fall mehr begegnen. Das sagte er auch Marcel.

      „Warum? Hast du wieder Ärger mit den Trotteln gehabt?“ Marcels Stimme klang erstaunt.

      In zwei Sätzen berichtete Ben Marcel von der Aktion in der Schulcafeteria.

      „Blödes Arschloch“, ärgerte sich Marcel. „Dann werde ich den wohl mal wieder in seine Schranken weisen müssen. Bin gleich unten!“

      Ben dachte noch darüber nach, was er damit gemeint haben könnte, als sich die Haustür öffnete und Marcel heraustrat.

      „Ich muss nur noch schnell in die Apotheke, um für meine Mutter etwas zu besorgen. Aber die in der Friedrichstraße hat mittwochnachmittags zu. Hast du dein Fahrrad nicht dabei?“

      Ben schüttelte den Kopf.

      „Wir müssen in den Nachbarort. Die Markt-Apotheke hat Notdienst. Egal, nimmst du eben das Rad von meiner Mutter. Das merkt die heute sowieso nicht.“

      Er verdrehte bedeutungsvoll die Augen und gab Ben mit dem Kopf ein Zeichen, ihm in den Keller des Mehrfamilienhauses zu folgen.

      Im Keller wurden sie von einer feuchten Kälte empfangen. Ben fröstelte. Es roch stark nach modrigen Kartoffeln und Fahrradschmiere. Einige Räder standen in zwei gegenüberliegenden Reihen in den dafür vorgesehenen Ständern. Die helle Farbe an den Wänden war an vielen Stellen abgesprungen. Der Fußboden war rissig und ziemlich dreckig. Mehrere zerfledderte Werbeblätter lagen herum. Nicht gerade das beste Haus, in dem man wohnen konnte, fuhr es Ben durch den Kopf. Im nächsten Moment kam er sich deswegen äußerst mies vor.

      Nur weil er mit seinen Eltern in einem schicken Einfamilienhaus wohnte, hatte er noch lange nicht das Recht, schlecht über Marcels Wohnsituation zu denken. Außerdem hatte Marcel ihm ja erzählt, wie es dazu gekommen war.

      „Das kann verdammt schnell gehen, Alter. An einem Tag stehst du noch auf der Sonnenseite und am nächsten liegst du schon mitten im schlimmsten Dreck.“ Seine Stimme klang sehr bitter.

      „Ich habe echt nicht gedacht, dass wir nach dem Tod meines Vaters aus unserem Haus raus müssten. Mein Alter war immer so ein Überkorrekter, dachte ich jedenfalls. Da hätte man doch eigentlich auch erwarten können, dass der seine Familie für so ‘nen Fall absichert.“

      Er spielte den Lässigen. Aber Ben konnte ihm trotzdem ansehen, wie schwer er an seinen eigenen Worten schlucken musste.

      „Warum hat er das nicht getan?“, fragte Ben nur, um überhaupt was zu sagen.

      Die Frage überraschte Marcel anscheinend. Er dachte einen Moment angestrengt darüber nach, bevor er mit zusammengebissenen Zähnen zischte: „Keine Ahnung. Weil er sich wohl für unsterblich gehalten hat.“ Marcel atmete scharf ein, bevor er weitersprach. „Er war wohl schlicht der Typ, der sich über so etwas keine Gedanken gemacht hat. Nach mir die Sintflut, oder so ähnlich. Hat er ja schließlich schon mal ...“ Er stockte. Fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und durch die Haare. Für einen Moment wirkte er weich und verletzlich. Doch genauso schnell, wie der Moment gekommen war, war er auch schon wieder vorbei. „Was für ein Idiot. Lässt uns einfach sitzen. Völlig ohne Kohle“, regte er sich auf. „Na ja, wenigstens habe ich seinen PC geerbt. Und die neue Spielekonsole.“ Marcels Stimme war laut und hart geworden, als ob er mit der Lautstärke und Härte seiner Worte ihre Richtigkeit erzwingen könnte.

      „Der Tod meines Vaters macht mir nichts aus! Absolut gar nichts!“

      Doch seine Augen, sein Gesichtsausdruck, seine ganze Körperhaltung sagten etwas ganz anderes darüber aus, wie es tief in ihm drinnen aussah.

      Das

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