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Der Hinduismus. Gottfried Hierzenberger
Читать онлайн.Название Der Hinduismus
Год выпуска 0
isbn 9783843802475
Автор произведения Gottfried Hierzenberger
Жанр Документальная литература
Серия marixwissen
Издательство Bookwire
1. Die älteste Sammlung ist der Rig-Veda (= Wissen der Verse), der aus 1028 Hymnen und mehr als 10.000 Strophen besteht, die in zehn Kreisen (Mandalas) oder Büchern angeordnet sind und wohl weitgehend während der Okkupation der Induskultur – also zwischen 1700 und 1200 v. Chr. – entstanden sind. Vorherrschend sind Bitt- und Lobgebete an die Götter, welche der Hotar (= leitender Priester) verwendete, der die Götter zum Opfer einlud und die Gussopfer (Schmelzbutter ins Feuer) vollzog.
Der Rig-Veda ist von hohem literarischem Wert, weil er das älteste und zugleich am besten erhaltene dichterische Werk aus der indoeuropäischen Sprachfamilie darstellt. Den Kern bilden die sogenannten Familienbücher (II-VII), die bestimmten Sängerfamilien zugeschrieben werden. Buch IX enthält alle dem Gott Soma zugeschriebenen Hymnen, I und VIII haben verschiedene Inhalte, der X. Teil enthält die zeitlich jüngsten Texte. Im folgenden Text geht es um die Schöpfung des Alls:
»Tausend Köpfe hatte Purusha (= Urwesen), tausend Augen, tausend Füße. Er bedeckte die Erde allerseits und überragte sie um zehn Finger.
Dieser Purusha ist alles, was geworden ist und was werden wird.
Der Unsterblichkeit Herr ist er und Herr über das, was durch Speise aufwächst.
So gewaltig ist seine Größe, ja größer noch ist Purusha.
Alle Wesen sind ein Viertel nur von ihm; drei Viertel sind im Himmel unsterblich.
Mit drei Vierteln stieg Purusha empor, ein Viertel von ihm entstand wieder hier.
Dann schritt er allseits aus, über alles, was nicht ist und was ist.
Aus ihm ward Viraj (= weibliches Urwesen) geboren, aus Viraj dann wieder dieser Purusha.
Sobald er geboren, erstreckte er sich nach Osten und nach Westen über die ganze Erde.
Als die Götter das Opfer bereiteten mit Purusha als Opfergabe, da war der Frühling sein Öl, die heilige Gabe war der Herbst, der Sommer war das Brennholz. Sie salbten das Opfer auf der Opferstreu, den Purusha, den in Urzeiten Geborenen.
Mit ihm vollzogen die Götter und alle Sadhyas (= ehemalige Götter) und Rishis (= Seher) das Opfer.
Von diesem großen vollständigen Opfer wurde das tropfende Fett gesammelt. Man machte daraus die Geschöpfe der Luft, die wilden und die zahmen Tiere.
Aus diesem großen und vollständigen Opfer entstanden die Rig- und Sama-Lieder, die Metren entstanden daraus, die Yajurveda-Sprüche.
Aus ihm entstanden die Pferde, aus ihm alle Geschöpfe mit doppelter Zahnreihe, die Rinder auch entstanden aus ihm, die Ziegen und die Schafe.
Als sie den Purusha zerstückelten, wie viele Teile machten sie aus ihm?
Was ward sein Mund, was wurden seine Arme, was seine Schenkel, seine Füße?
Der Brahmane (= Priester, oberste Kaste) ward sein Mund, aus seinen Armen wurde der Rajanya (= Herrscher, 2. Kaste) gemacht, seine Schenkel wurden zum Vaishya (= Bauer, 3. Kaste), zum Shudra (= Diener, 4. Kaste) seine Füße.
Der Mond entstand aus seinem Geist, und die Sonne ward aus seinem Auge, Indra und Agni aus seinem Mund, der Wind aus seinem Hauch. Aus seinem Nabel wurde der Luftraum, der Himmel wurde aus seinem Haupt gestaltet, die Erde aus seinen Füßen, die Weltteile aus seinem Ohr. Auf diese Weise bildeten sie die Welten.« (Rig-Veda X, 90)
In diesem letzten Teil nähert sich der Rig-Veda sogar dem Monotheismus an – im folgenden Text geht es um die Verehrung eines unbekannten und unergründlichen Gottes, der alle Gottheiten transzendiert und nicht mit einem Namen, sondern mit dem Wort Ka (= Wer oder Er) angesprochen wird:
»Er, der Atem gibt, der Kraft gibt, dessen Befehl all die lichten Götter verehren, dessen Schatten unsterblich ist, dessen Schatten Tod ist: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Der durch seine Macht einziger König der atmenden und funkelnden Welt wurde, der all dies beherrscht, Mensch und Tier; wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Durch dessen Macht diese Schneeberge sind und das Meer, wie es heißt, mit dem fernen Fluss, von dem diese Gegenden in Wirklichkeit die beiden Arme sind: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Durch den der schreckliche Himmel und die Erde festgemacht wurden, er, durch den das andere aufgerichtet wurde und das Firmament; er, der die Luft am Himmel maß: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Er, zu dem Himmel und Erde, die durch seinen Willen fest stehen, aufschauen, zitternd in ihrem Geist; über den die aufgegangene Sonne fort scheint: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Als die großen Wasser anderswohin gingen, Keim haltend und Licht erzeugend, da erhob sich von ihnen der einzige Atem der Götter: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?
Er möge uns nicht Schaden zufügen, er, der der Urheber der Erde ist, oder er, der Gerechte, der den Himmel erzeugte, der auch die hellen und mächtigen Wasser erzeugte: Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?« (Rig-Veda X, 121.)
Das Pantheon der vedischen Gottheiten und Mächte, die angerufen und mit Opfern gnädig gestimmt werden, ist zahlreich, aber es besitzt keine eindeutig hierarchische Struktur. Und der Rig-Veda, dem wir hauptsächlich ihre Kenntnis verdanken, gehört nicht zu den ältesten Teilen der vedischen Literatur.
Varuna herrscht im Rig-Veda – zusammen mit seinem Bruder Mitra (dies ist ein sehr früher Beweis für das im indischen Denken so wichtige Zusammenfallen der Gegensätze) – über die Welt, die Götter (devas) und die Menschen: Er »hat die Erde auseinander geschlagen wie ein Fleischer die Haut, damit sie für die Sonne ein Teppich sei«. Er besitzt als Weltherrscher auch bestimmte Attribute der alten Himmelsgötter und ist Garant der das Leben sichernden Ordnung, die in einzelnen Stellen des Veda als das höchste Weltprinzip erscheint, welches über allen Göttern steht.
Varuna ist Herrscher über das Rita (= ewige Weltordnung, welche sich in Natur, Sitte und Ritus als Wahrheit offenbart) und Bewahrer dieser Ordnung und hütet sie gemeinsam mit seinem Bruder. Es entgeht ihnen Tag und Nacht keine einzige Untat, denn sie sind allwissend und schauen in das Herz der Menschen, kennen auch ihre verborgenen Gedanken und führen die Übeltäter ihrer Strafe zu.
Als wunderbar Schaffender nimmt Varuna in der Rig-Veda bereits die Stelle des in vielen anderen Überlieferungen bezeugten indoeuropäischen Himmelsgottes Dyaus ein und verfügt auch über die Binde- und Lösekräfte (maya). Es liegt daher an ihm, wenn in der Nacht der Mond über den Himmel wandert, dass es die Gezeiten gibt und dass das Meer nicht über die Ufer tritt, obwohl so viele große Flüsse ihr Wasser ständig einfließen lassen.
Mitra ist der Gott der Verträge, die Sonne ist sein Auge (d. h. er wacht bei Tag) und er schafft den Menschen und ihren Tierherden befriedete Räume.
Indra, ein divinisierter Heroe, der Anführer der »jungen Götter« (devas), überschattet bereits den Kult der Asura-(= Erhabenen) Götter Varuna und Mitra. An ihn wenden sich nicht weniger als 250 Hymnen des Rig-Veda. Indra ist mit seiner Vajra (= Wurfkeule, Blitz) Herr und Krieger zugleich, ewig jugendlich, die personifizierte kosmische Energie als sahasramuska (= mit tausend Hoden), der Festungen zerstört und seinen Freunden reiche Beute schafft. Unermüdlich trinkt er Soma (= der Göttertrank) und kämpft gegen den Drachen Vrtra, der die Gewässer in den Schluchten der Berge zurückhält.