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Seit 1807 war Zentralasien sein Hauptziel, wenn es dieses nicht überhaupt immer seit der Festlegung in Punkt 3 gewesen ist. Jahrzehntelang hat sich Humboldt auf eine solche Expedition vorbereitet. Hierbei hat ihn das mehr und mehr erscheinende Riesenwerk seines Berliner Kollegen Carl Ritter über Asien und eine umfangreiche Korrespondenz mit Philologen, Orientalisten, Sinologen und englischen Himalaya-Forschern unterstützt. Er hat die Literatur über den Himalaya und Tibet erstaunlich gut gekannt.

      1810 bis 1812 schien das Ziel Tibet und die Indus-Quellen greifbar nahe. Ende 1808 glaubte er an den Reisebeginn in 1810. Er war in Paris dem russischen Minister Grafen N. P. Rumjancev begegnet, der ihm die Hilfe seiner Regierung anbot. Alexander hat diese Verlockung vermutlich nicht abgewiesen. Am 7. Januar 1812 hat er für diese Reise ein ausführliches Forschungsprogramm entworfen. Eindeutig wurde hier erneut die physikalisch-geographische Klammer deutlich. Die Napoleonischen Kriege und die schon erwähnten inneren Gründe haben das Unternehmen verhindert.

      7. Nun warf sich Humboldt auf das Studium der persischen und arabischen Sprache. Er wollte wie später Sven Hedin auf dem Landweg Indien erreichen. Vorderindien und Insulinde wurden fortan wichtig.

      Vergeblich zwischen Hardenberg und dem Bruder Wilhelm in einem unnötigen Streit um die preußische Verfassung vermittelnd, erreichte Alexander die grundlegende Unterstützung des preußischen Staatskanzlers. Preußen bewilligte ihm 1818 erhebliche Mittel. 1814, 1817 und 1818 hatte er in London die Durchsetzung seiner Reise nach Indien versucht. Alles war vergeblich, weil wahrscheinlich die Englisch-Ostindische Kompanie sich weigerte. Sie fühlte sich vor einer künftigen Kritik Humboldts vermutlich nicht sicher. Und doch schien sich damals alles erfüllen zu wollen. Der Botaniker C. S. Kunth und der Geodät J. J. Bayer, der Vater des späteren Nobelpreisträgers, standen bereits als Reisebegleiter fest.

      Er wollte über Persien nach Indien gehen, wurde von Briefen und Teilnahmewünschen gequält und gab den Seeweg an, um Dilettanten abzuschütteln, wie er meinte.

      Nie wieder war Humboldt vergleichbar niedergeschlagen, als ihm das Scheitern seiner Wünsche bewusst wurde. Er verschwieg die Hintergründe und verglich entmutigt das, was er bis dahin geleistet hatte, mit dem, was er hätte leisten können. Diese Verhinderung der Expedition nach Zentralasien des größten Forschungsreisenden und Geographen seiner Zeit ist eine der kulturfeindlichsten Machenschaften des 19. Jahrhunderts.

      So blieb praktisch nur noch der riesige russische Länderraum. Russland hatte Humboldt stets begünstigt. Am 19.11.1827 ließ er den russischen Finanzminister, Grafen Georg v. Cancrin, wissen, sein »heißester Wunsch« sei, ihm in Russland selbst seine Aufwartung zu machen. Die Verwandtschaft des preußischen und des russischen Herrscherhauses erleichterte alles. Diese Gesamtkonstellation hat gewiss 1827 zu Humboldts Heimkehr nach Berlin beigetragen.

      Jetzt im 60. Lebensjahre verwirklichte sich tatsächlich doch noch die asiatische Reise, wenn auch in zuvor nie geahnter Form. Ein Finanzminister, der loyal zu seinem Zaren stand und deutscher Herkunft war, wollte Humboldt alles erleichtern, um ihn zugleich besser kontrollieren zu können.

      Wer glaubt, dass Humboldt nur wegen der Geologie, Klimatologie und des Erdmagnetismus sowie wegen »Bergwerksbesichtigungen« nach Russland strebte, wie man es bis heute noch lesen kann, übersieht sein brennendes Interesse am Menschen, verkennt zudem, dass auch diese Reise durch Humboldts Gespräche, seine Briefe und gelegentlichen Mitteilungen zum Politikum geworden ist. Humboldt hat das russische Volk geliebt, seine Unterdrücker verabscheut, seine offiziell festgelegten Reisewege erheblich erweitert und Verbannten praktisch geholfen – auch wenn sich ein allmächtiger staatstreuer Finanzminister das alles verbeten hatte.

      So hat die Englisch-Ostindische Kompanie doch wohl recht gehabt, als sie Humboldt nicht ins Land ließ? Sie hat sich die vermutlich gewichtigste Kritik erspart, die ihr in dieser oder in jener Form, frontal oder zwischen den Zeilen, zuteil geworden wäre.

      Humboldt wäre nicht der gewandte Diplomat gewesen, wenn er aus dem großen Misserfolg des Scheiterns seiner indisch-zentralasiatischen Reise nicht noch zwei große Erfolge abgeleitet hätte: der eine war seine russisch-sibirische Forschungsreise von 1829 mit all ihren moralischen und physikalisch-geographischen Folgen bis zur großartigen Auswertung (siehe S. 174).

      Der andere Erfolg war die Indien- und Himalaya-Reise der drei Brüder Adolf, Robert und Hermann v. Schlagintweit 1854 bis 1857; sie wurde von Humboldt ermöglicht und gemäß seiner physikalisch-geographischen Leitvorstellung durchgeführt.

      Es gibt Gelehrte, die alles verwerfen, wenn ihnen der Erfolg nicht selbst beschieden ist. Humboldt dagegen konnte entsagen wie der alte Goethe, und er konnte zeitlebens jüngeren Gelehrten Erfolge ermöglichen, die ihm nicht beschieden waren.

      Aus den folgenden Ausführungen ergibt sich der Charakter der Humboldtschen Russland- und Sibirienreise von 1829 noch mehr. Der Leser wird eingeladen, den Spuren Humboldts zu folgen.

      Bonn und Eschwege / Werra, 24. März 1983

       Prof. Dr. Hanno Beck

      Anmerkung: Eine Umrechnungstabelle für russische Maße und Gewichte findet sich auf S. 250 f. in Anmerkung 62.

      VORAUSSETZUNGEN DER RUSSISCH-

      SIBIRISCHEN REISE

      BRIEFWECHSEL MIT CANCRIN

      Der fast sechzigjährige Alexander v. Humboldt wirkte noch jung, obgleich sich Falten in seinem Gesicht zeigten und sein Haar längst ergraut war. Nach der damaligen Lebenserwartung und vor allem in der eigenen von daher rührenden psychologischen Überzeugung galt er als alt. Das Element des Jugendlichen bestimmte ihn nicht mehr, mochten seine blauen Augen auch noch voller Ironie blitzen. Die Entschlossenheit, die sich in seinem Selbstbildnis von 1814 ausdrückte, als er neben der Auswertung seiner amerikanischen Reise eine asiatische Expedition anstrebte, war einer gewissen Resignation gewichen. In seinen Plänen klaffte trotz aller Erfolge eine große schmerzliche Lücke: die asiatische Forschungsreise hatte sich nicht verwirklicht.

      1822 wurde im Ural Platin gefunden. Bald gelangen den Bergleuten Verbesserungen in der Aufbereitung, so dass sich in staatlichen Depots eine beträchtliche Menge des edlen Metalls, scheinbar sinnlos, anhäufte. Der russische Finanzminister Graf Georg v. Cancrin war sparsam und auf jede Kopeke bedacht.1 Er war 1774 in Hanau in Hessen geboren worden. Sein Vater hatte das hessische Bergbau- und Salinenwesen geleitet und war 1783/84 nach Russland gegangen. Vermutlich war er zu Unrecht in Verbindung mit einem Hofmarschall finanzieller Untreue beschuldigt worden (siehe Literatur-Ergänzung am Schluss der Anmerkungen). Während der Vater die Saline von Staraja Russa leitete, an der Münzreform unter Paul I. mitarbeitete und verschiedene Ämter bekleidete, wuchs der Sohn in Deutschland heran. Er studierte in Gießen und Marburg Rechts- und Staatswissenschaften und veröffentlichte 1797/98 seinen Roman »Dagobert«, dessen Helden republikanische Offiziere waren. Eine Verwaltungsstelle befriedigte ihn nicht. So ging er 1797 nach Russland und musste sehr um seine Existenz kämpfen, da ihn der Vater nicht unterstützte. Seit 1800 im Staatsdienst, entwickelte er sich zu einem bedeutenden Militärschriftsteller, der z.B. eine »cunctatorische Strategie« entwickelte, die Raum und Klima Russlands im Falle einer Auseinandersetzung mit Napoleon berücksichtigte. Im März 1813 wurde er Generalintendant des russischen Heeres. Sein Name wurde anerkennend genannt, als er 1815 die Forderungen der Verbündeten an sein Land auf ein Sechstel herunterdrückte, weil er sämtliche Rechnungen als Beweisstücke gesammelt hatte.2 In einem Werk über die Bauernbefreiung war Cancrin für die Sicherung der Bauern eingetreten, hatte sich dabei vermutlich etwas die Finger verbrannt und dann 1821 in einem in Russland sehr beachteten Werk Physiokratismus und Merkantilismus oft zu hitzig angegriffen. Eine »möglichst gleichförmige wohlhabende Bevölkerung« war nach ihm höchster Staatszweck. Dieses Werk trug wesentlich zu seiner Berufung zum Finanzminister Ostern 1823 bei. Er übernahm das herabgewirtschaftete Erbe Gurevs und kämpfte seither um eine aktive Bilanz. Zur Finanzverwaltung gehörte damals auch das Salinen- und Bergwesen, dessen Verbesserung er betrieb. Russland kannte keine Münzeinheit und duldete drei verschiedene Kurse. Hier versuchte er, Ordnung zu schaffen.

      Der sparsame Cancrin dachte auch, das in steigenden Mengen gehortete Platin auszuwerten. Er fragte Humboldt

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