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sie die Aa bei hohem Wasserstand. In Riga aßen sie beim preußischen Generalkonsul Wöhrmann, der ihnen »ganze Teller frischer Erdbeeren, Himbeeren und Weintrauben aus seinen Treibhäusern vorsetzte. Die Stadt«, schrieb Humboldt weiter, »gefiel mir sehr, sie gleicht einer reichen Hansestadt.«61 Der preußische Botschafter am Zarenhof, General v. Schöler, ein Jugendfreund Humboldts, hatte ihnen einen Kurier entgegengeschickt, der sie in Riga erwartet hatte, um von da an voranzureiten und die Pferde vorzubestellen. So legten sie die 239 Werst von Riga bis Dorpat in 33 Stunden zurück.62 Rose bedauerte es nicht, da ihm die Gegend »uninteressant, sandig und zum Theil mit Fichtenwaldung bedeckt« erschien und keine Forschungen lohnte.63 Sie erhielten einen ersten Begriff, wie schnell man in Russland auch in der verkehrsungünstigen Jahreszeit reiste, als sie schon am 27. April 1829 sehr früh am Morgen bei einem heftigen Schneegestöber in Dorpat eintrafen.64

      Leider konnten sie sich hier in der Universitätsstadt mit ihren vielen berühmten deutschen Gelehrten nicht die erforderliche Zeit gönnen. Dorpat war ein Mittelpunkt der geographisch-geologischen Erforschung Russlands. Prof. Parrot führte gerade eine Expedition zum Ararat aus. Prof. Moritz v. Engelhardt hatte allgemein bekannte Forschungen im Ural eröffnet und schon 1826 geschrieben: »Die platinhaltigen Sandablagerungen der … Nishneturinskischen Werke bieten die auffallendste Ähnlichkeit mit den Bezirken dar, die in Brasilien Diamanten führen.«65 Humboldt hatte unabhängig davon Cancrin gegenüber die Möglichkeit des Fundes von Diamanten im Ural angedeutet. Engelhardt wie Humboldt kannten die Berichte v. Eschweges,66 bei dem der russische Botschafter in Brasilien Graf v. Pahlen bereits Erkundigungen eingezogen hatte. Eschwege war daraufhin Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften geworden.67 Beide standen dicht an der Lösung eines wichtigen Problems, das die geologische Analogie zweier entfernter Strukturen gestellt hatte.

      Schon bei der ungewöhnlich frühen Ankunft hatten sich Vertreter der Universität und der Professorenschaft eingefunden. Die Reisenden taten sofort etwas Sinnvolles: sie trennten sich, damit jeder einzeln seine besonderen Fragen im Gespräch mit den Gelehrten klären konnte. Feierlichkeiten blieben ihnen nicht erspart. Man stellte ihnen eine Universitätsequipage mit vier Pferden. Humboldt machte oder empfing von 8 Uhr morgens bis 9 Uhr abends Professorenbesuche, erzählte gut und verstand, wie stets, geschickt das ihm Wichtige herauszufragen. »Die ganze Universität« gab ihnen »ein ungeheuer labendes Diner … mit allen obligaten toasts, daneben aber doch wieder Belehrung, interessante Menschen (Kruse, Engelhardt, der als Geognost im Ural, Ledebuhr [= Ledebour], der als Botaniker im Altay gewesen war, Eisholz [= Eschscholtz], Chamisso’s Begleiter, ein trefflicher Zoologe, vor allem aber Struve mit seinen 2000 Doppelsternen und dem herrlichen Fernrohr).«68 Humboldt benutzte die Gelegenheit und überprüfte bei Struve einige Instrumente. Rose war mit Engelhardt ins mineralogische Museum gegangen, Ehrenberg mit v. Ledebour und Meyer in den botanischen Garten. Im mineralogischen Museum traf Rose in Herrn Ulprecht einen Bekannten aus Schweden. Er war früher Zeichenlehrer gewesen und darauf aus freien Stücken als Mineraloge die Hauptstütze bei der Vervollständigung der Engelhardtschen Sammlung geworden. Die Kollektion war in hellen Räumen in tischförmigen Schränken vorbildlich geordnet und untergebracht. Engelhardt zeigte Belegstücke seiner letzten Uralreise und händigte Rose Notizen aus, die diesem »bei der weitern Reise sehr schätzbar waren«.69 A. v. Humboldt kam schließlich noch hinzu und zwischen ihm und Engelhardt entwickelte sich eine Diskussion. Rose wie Humboldt interessierten sich nämlich für die vollständigen Sammlungen, die von Engelhardt in Estland und Livland zusammengetragen hatte. Die Küsten Estlands bestanden nach ihm am Finnischen Meerbusen hauptsächlich aus einem dichten Kalkstein, der auf einem feinkörnigen Sandstein ohne Versteinerungen, aber mit Bernsteineinschlüssen, lag. Südlich von der Küste zwischen den Flüssen, die dem Finnischen Meerbusen zufließen, und den Gewässern, die sich in den Peipus-See und den Pernauschen Meerbusen ergießen, zieht ein Bergrücken in einer Höhe von 400 Fuß hin. Der Embach hat sein Bett bis in den Sandstein eingeschnitten, der hier fossile Zähne und Knochenfragmente von Sauriern enthielt. Da sich der gleiche Kalkstein wie an der Küste darunterbefand und im gleichen Niveau lag, hatte Engelhardt beide Sandsteine gleichgesetzt und auch den Kalkstein, der in Mittel- und Südlivland den Sandstein bedeckt, überall dem Küstenkalkstein gleichgestellt, »wiewohl er nur an einzelnen Stellen die gewöhnlichen Trilobiten-Versteinerungen führt«.70 Humboldt mischte sich hier ein und ersuchte Engelhardt, seine Ideen in einer Abhandlung darzustellen und ihm mitzuteilen.71 Engelhardt übergab Humboldt auch ein Verzeichnis seiner Sammlung aus Estland, Nord-, Mittel- und Südlivland.72 Rose und Humboldt betrachteten in den Sammlungen auch die Stücke, die Dr. Ernst Hofmann von der Weltumsegelung unter Otto v. Kotzebue 1823/26 mitgebracht hatte. Humboldt erbat sich ein Stück von einem Meteoriten, der auf der Insel Oahu (Hawaii) niedergegangen war, für die königlichen Sammlungen in Berlin. Prof. Göbel führte Rose noch in das chemische Laboratorium und das physikalische Kabinett des abwesenden Prof. Parrot; beide Institute waren vortrefflich ausgerüstet.

      Trotz der Kürze der Zeit wurde die spezielle Präparation in Dorpat erheblich vervollständigt. Das schon erwähnte gemeinsame Diner, das der Rektor, Staatsrat v. Ewers, gab, vereinigte die Reisenden mit sämtlichen Mitgliedern der Universität und beschloss den Tag.

      Schon am 28. April 1829 früh verließen sie Dorpat, fuhren am meeresähnlichen Peipus-See vorbei, näherten sich bei Nacht den Küsten des Finnischen Meerbusens und kamen am 29. April in Narwa an. Sie reisten zwar schnell, aber teuer. Der voranreitende Kronpostkurier gab ihnen »ein so vornehmes Ansehen«, dass sie die Nacht mit 15–18 Silberrubeln bezahlen mussten; statt der sechs bis acht Pferde, die bis Königsberg für beide Wagen genügt hatten, mussten sie jetzt für 12 Pferde bezahlen. Humboldt, der mit jeder Kopeke rechnete, weil es fremdes Geld war, glaubte nun, die Hinreise würde 900 Taler kosten, immerhin nur ein Viertel von den 1200 Dukaten (= 3927 Taler), die ihm Cancrin hatte übergeben lassen. In Narwa mussten sie anderthalb Tage warten, bis der Eisgang des gleichnamigen Flusses nachließ. Oberst v. Pott und Oberstleutnant v. Bulmering zeigten ihnen inzwischen die Stadt, führten sie auf die hohen, nicht mehr unterhaltenen Wälle, von denen sie das enggebaute und unschöne Narwa übersehen konnten.73 Den Kalkstein fanden sie in einem Aufschluss ohne Versteinerungen, dagegen enthielten die entsprechenden Bausteine des Hermannsturmes Trilobiten. Am Nachmittag des 30. April 1829 konnten sie endlich auf der Fähre übersetzen und kamen von da an auf der Chaussee nach Petersburg schnell voran. Sie sahen die schöne Silhouette Narwas verschwinden. Am Abend bemerkten sie bei Jamburg an der Luga, dass der Fluss dieselben Schichten freigelegt hatte wie bei Narwa.

      AUFENTHALT IN ST. PETERSBURG

      Beim Zaren Nikolaus I.

      Bei Strelna, der letzten Poststation vor Petersburg, begann »eine fortlaufende Reihe der schönsten Landhäuser«.74 Länger als eine Stunde fuhren sie durch breite Straßen, bis sie vor dem Sitz des preußischen Gesandten, Generalleutnant v. Schöler, ankamen, der Humboldt »als einen alten Freund begrüßte«.75 Er hatte ihn schon in Riga brieflich eingeladen, da er gerade über besonders viel Platz verfügte. Trotz aller Verzögerungen trafen sie am 1. Mai 1829 in Petersburg ein. Bereits am Tage nach der Ankunft lud der Zar Humboldt für 15 Uhr »ohne Zeremonien« ein und speiste mit ihm, der Zarin und Frau v. Wildermet, deren Erzieherin als Prinzessin Charlotte von Preußen. Der Zar fragte nach Wilhelm v. Humboldt und Hedemann und bekundete seine Teilnahme am Tod Carolinens. Nach Tisch bot er Humboldt den Arm und zeigte ihm »die herrlichen Gemächer des Winterpalais«.76 Am Abend des 2. Mai 1829 gab der französische Botschafter ein großes Fest, bei dem Humboldt »viele alte Bekannte« sah. Am Morgen des 3. Mai, am Geburtstag der Kaiserin, war er schon wieder am Hofe und fand selbst die Musik »herrlich«, eine sehr seltene Feststellung bei ihm und seinem Bruder. Der Kaiser lud ihn zum Mittagessen ein. Humboldt sagte, sein Reich sei groß wie der Mond. »Wenn es drei Viertel kleiner wäre, würde es verständiger regiert werden«, antwortete der Zar »geschmackvoll«, wie Humboldt schrieb.77 Am Abend war er bei der Kaiserin eingeladen. Cancrin ließ ihm auf Befehl des Zaren 20000 Rubel aushändigen, das Doppelte der ursprünglich versprochenen Summe.78 Innerhalb kürzester Zeit wusste Humboldt mehr über politische Pläne und Ziele in Petersburg als der dortige preußische Gesandte in einem Jahr. »Fast

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