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und für meine Begeisterung Spott und Verachtung.

      »Ich habe es auch verstanden, gleich den Kindern Kains, auf Kosten Anderer von dem Schweiße meiner Brüder zu leben, welche ich zu meinen Knechten, meinem Werkzeug erniedrigte, und habe mich nicht bedacht, mit fremdem Blute meine Genüsse und Belustigungen zu bezahlen. Aber ich habe auch mehr als einmal das Joch getragen, die Peitsche gefühlt, für Andere mich gemüht, und habe unermüdlich nach Gewinn gestrebt, und rastlos gearbeitet vom Morgen bis zum Abend, und im angstvollen Traume der Nacht noch meine Zahlen summirt, und bei Tag und Nacht, im Glück und im Unglück, Noth und Ueberfluß habe ich stets nur Eines gefürchtet – den Tod. Ich habe vor ihm gezittert; bei dem Gedanken, von diesem geliebten Dasein zu scheiden, Thränen vergossen; bei dem Gedanken der Vernichtung, mich und die ganze Schöpfung verflucht. O! ich habe entsetzliche Angst gelitten und entsetzliche Qualen, so lange ich noch etwas hoffte.

      »Aber es kam die Erkenntniß über mich. Ich sah den Krieg der Lebendigen – ich sah das Menschenleben, wie es ist – und sah die Welt, wie sie ist.«

      Der Alte nickte mit dem weißen Haupte vor sich hin und versank in Nachdenken. »Und welche Erkenntniß ist dir geworden?« sprach ich nach einer Pause.

      »Die erste große Erkenntniß,« fuhr er fort, »ist die, daß ihr armen thörichten Menschen in dem Wahne lebt, Gott habe diese Welt in seiner Weisheit, Güte und Allmacht so gut als möglich erschaffen und eine sittliche Ordnung in diese Welt gesetzt, und Jener, der böse ist und böse handelt, störe diese Ordnung und diese gute Welt und verfalle der zeitlichen und ewigen Gerechtigkeit. Ein trauriger verhängnisvoller Irrthum! Die Wahrheit ist, daß diese Welt schlecht und mangelhaft und das Dasein eine Art Buße ist, eine schmerzliche Prüfung, eine traurige Pilgerschaft, und alles was da lebt, lebt vom Tode, von der Plünderung des Anderen!«

      »Der Mensch ist also nach deiner Einsicht auch nur eine Bestie?«

      »Allerdings! die vernünftigste, blutgierigste und grausamste der Bestien. Keine andere ist so erfinderisch ihre Brüder zu berauben, zu knechten, und so ist, wohin du blicken magst, im Menschengeschlechte wie in der Natur der Kampf um das Dasein, das Leben auf Kosten Anderer, Mord, Raub, Diebstahl, Betrug, Sklaverei. Der Mann der Sklave des Weibes, die Eltern ihrer Kinder, der Arme des Reichen, der Bürger seines Staates. Alles Mühen, alle Angst ist nur um dieses Dasein, das keinen anderen Zweck hat, als sich selbst. Leben! Leben! will ein Jeder, nur sein Leben weiter fristen und dies unselige Dasein auf Andere fortpflanzen. Und die zweite große Erkenntniß – aber du wirst mich nicht verstehen, Kain!«

      »Vielleicht doch.«

      Der Greis sah mich mitleidig an.

      »Die zweite Wahrheit ist,« sprach er mit sanftem Ernst fort, »daß der Genuß nichts Wirkliches ist, nichts an sich, nur eine Erlösung von nagendem Bedürfniß, von dem Leiden, das dieses schafft, und doch jagt ein Jeder nach Genuß und Glück, und schließlich fristet er doch nur das Leben, er mag im Reichthum oder Armuth seine Tage beschließen. Aber glaube mir, nicht in der Entbehrung liegt unser Elend, nur in dieser immer wachen Hoffnung auf ein Glück, das nie kommt, nie kommen kann! Und was ist dieses Glück, das immer nah und greifbar, und doch ewig fern und unerreichbar uns vorschwebt von der Wiege bis zum Grabe? Antworte mir, wenn du kannst.«

      Ich schüttelte den Kopf und fand keine Antwort.

      »Was ist das Glück,« fuhr der Alte fort, »ich habe es gesucht beim Weibe, im Eigenthum, in meinem Volke, überall wo nur Athem und Leben weht – und sah mich überall betrogen und genarrt.

      »Ja das Glück? vielleicht ist es der Friede, den wir hier vergebens suchen, wo es nur Kampf gibt, und seine Erfüllung der Tod, den wir so sehr fürchten. Das Glück! wer hat es nicht vor Allem in der Liebe gesucht, und wer hat nicht in ihr die bittersten Täuschungen erfahren? Wer war nicht in dem Wahne befangen, die Befriedigung dieser übermenschlichen Sehnsucht, die ihn erfüllt, der Besitz des geliebten Weibes müsse ihm vollkommenes Genügen, namenlose Seligkeit bringen, und wer hat nicht zuletzt trübselig über seine eingebildeten Freuden gelacht? Es ist eine beschämende Erkenntniß für uns, daß die Natur diese Sehnsucht in uns gelegt, nur um uns zu ihrem blinden, willigen Werkzeug zu machen, denn was fragt sie um uns? Sie will unser Geschlecht fortpflanzen! wir können zu Grunde gehen, wenn wir nur ihre Absicht erfüllt, für die Unsterblichkeit unserer Gattung gesorgt haben, und sie hat das Weib mit so viel Reiz ausgestattet, nur damit es uns zu sich zwingen, uns sein Joch aufladen und uns sagen kann: arbeite für mich und meine Kinder.

      »Die Liebe ist der Krieg der Geschlechter, in dem sie darum ringen, eines das andere zu unterwerfen, zu seinem Sklaven, seinem Lastthier zu machen, denn Mann und Weib sind Feinde von Natur, wie alle Lebendigen, für kurze Zeit durch die Begier, den Trieb sich fortzupflanzen, in süßer Wollust gleichsam zu einem einzigen Wesen vereinigt, um dann in noch ärgerer Feindschaft zu entbrennen, und noch heftiger und noch rücksichtsloser um die Herrschaft zu streiten. Hast du je größeren Haß gesehen, als zwischen Menschen, welche einst die Liebe verband? Hast du irgendwo mehr Grausamkeit und weniger Erbarmen gefunden als zwischen Mann und Weib?

      »Ihr Verblendeten! Ihr aberwitzigen Thoren. Ihr habt einen ewigen Bund gestiftet zwischen Mann und Weib, als wäret ihr im Stande, die Natur zu verändern, nach euren Gedanken und Einbildungen, zu der Pflanze zu sagen: blühe, aber verblühe nie und trage keine Frucht.«

      Der alte Wanderer lächelte, aber in diesem sonnigen Lächeln lag weder Bosheit noch Geringschätzung, noch Spott, nichts als die heitere Klarheit der Erkenntniß.

      »Ich habe auch den Fluch kennen gelernt,« sprach er weiter, »der im Eigenthum, in jeder Art von Besitz liegt. Durch Raub und Mord, durch Diebstahl und Betrug entstanden, fordert er zu demselben heraus, und zeugt Haß und Streit, Raub und Mord, Diebstahl und Betrug weiter fort ohne Ende! Als stände nicht das Korn auf dem Felde, als wäre nicht die Frucht auf dem Baume, die Milch der Thiere für Jedermann. Aber in den Kindern Kains ist eine dämonische Gier nach dem Eigenthum, eine Grausamkeit, Alles an sich zu reißen, und wäre es auch nur, damit Andere es nicht erlangen können. Und nicht genug, daß der Einzelne durch Gewalt oder List für sich allein von dem Besitz ergreift, wovon Hunderte, ja oft Tausende leben könnten, es ist als wollte sich Jeder für die Ewigkeit da einrichten, sich und seine Brut, und so vererbt er es noch auf seine Kinder, seine Enkel, die ihren Unrath auf seidene Polster leeren, während die Kinder dessen, der nichts hat, erbärmlich verderben. Der Eine sucht zu erringen, der Andere, was er hat, festzuhalten. Der Besitzlose führt Krieg gegen den Besitzenden, ein Ringen ohne Ende, der Eine steigt, der Andere fällt und beginnt von Neuem emporzuklimmen. Und nie ein Ausgleich, eine Gerechtigkeit, täglich wird Joseph von seinen Brüdern verkauft, täglich vergießt Kain das Blut seiner Brüder, das gegen ihn zum Himmel schreit.«

      Der Greis streckte die Hände wie abwehrend in erhabener Empörung von sich.

      »Aber der Einzelne ist zu schwach Krieg zu führen gegen die Zahl seiner Brüder,« fuhr er fort, »so haben sich die Kinder Kains vereint zu Plünderung und Mord, in Gemeinden, Völkern und Staaten. Wohl wird da die Selbstsucht des Einzelnen in Vielem beschränkt, seine Raub-und Mordlust eingedämmt, aber dieselben Gesetzbücher, welche gegen neue Verbrechen schützen sollten, verleihen zu gleicher Zeit erst den Verbrechern früherer Geschlechter und Zeiten Weihe und Kraft. Auch wird im Staate nicht der Selbstsucht allein Zwang angethan. Es wird uns – je nach den Zwecken, welche die Regierenden verfolgen – ein fremder Glaube, eine fremde Sprache, eine fremde Ueberzeugung aufgedrungen, oder doch die unsere bedrängt und verkümmert; wir werden Absichten dienstbar gemacht, die wir verabscheuen, und in unserem Streben gehemmt; unser Schweiß, ja unser Blut wird gemünzt zu Geld, um die Launen Jener zu bezahlen, welche den Staat lenken, diese Launen mögen Pracht und Ueppigkeit, Jagd und Weiber, Soldaten, Wissenschaften, oder schöne Künste heißen. Nichts ist heilig, Verträge aller Art werden geschlossen und gebrochen ohne Vernunft, ohne Scham. Wie oft wurde schon die Zukunft eines ganzen Volkes der fürstlichen Verlockung eines Augenblicks geopfert! Spione schleichen sich in die Familien und lösen alle Bande des Gemüthes, der Sittlichkeit, die Frau verkauft den Mann, der Sohn den Vater, der Freund den Freund, das Recht wird gefälscht, die Bildung des Volkes, das einzige Mittel eines allgemeinen Umschwunges, mit einem schnöden Almosen abgefertigt, und so das Wissen, die Erkenntniß in enge Kreise gebannt. Jene, die das Volk

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