Скачать книгу

sehen's, das weiß ich nit ganz genau; der Herr Lehrer hat gesagt, daß es Raubritter gewest sind. Warten's nur, er hat's auch einmal genannt, wie sich die geschrieben haben; aber jetzt fallt mir's nit ein. Ist halt auch schon lang her, gewiß hundert Jahr, daß die da gewohnt haben.«

      »Raubritter!« Ich mußte lachen im stillen. Wenn der Eilzug durch die Thäler schnaubt und da und dort von steilen Höhen die kühnen Trümmer einer alten Bergveste ins Land hinaus grüßen, dann schaut wohl einer aus den weichen Kissen empor, dehnt sich und freut sich über seine gebildete, friedliche, gerechte Zeit, freut sich, daß die böse und grausam rohe Raubzeit aus ist, freut sich – und nimmt sein Börsenblatt zur Hand.

      Und wenn an linden Sommernachmittagen der biedere Spießbürger mit den Seinen sich draußen ergeht, auszuruhen von den Mühen der Woche – dann nimmt er wohl im Drange des Belehrungseifers seinen Jüngsten bei der Hand, heißt ihn emporschauen zu einer alten Burg und sagt ihm, daß dort oben einst vor langen Zeiten ein Räubergeschlecht in eisernen Kleidern gesessen sei und die Leute im Thal gedrückt und geschunden habe. Und dann sagt er sicher noch: »Dank deinem Schöpfer, Michel, daß die nimmer sind.« Der Brave ahnt nicht, wie vielleicht diese Herren da oben lange, schreckliche Jahrhunderte hindurch mit starker Hand das Land schützten, er weiß es nicht, daß unter diesem Schutze der Bauer friedlich seinen Acker bestellen, der Bürger seinen Hantierungen nachgehen, Frauen und Kinder ruhig und unbehelligt leben konnten!

      Wohl haben an vielen Orten ritterbürtige Männer ihre Ritterehre vergessen und ihre Kraft und ihre festen Häuser mißbraucht. Aber die gedankenlose Menge feindet alles an, was aus den Niederungen emporragt, und so macht sie aus jeder Burg ein Raubnest, aus jedem Ritter einen Räuber – gerade, wie sie in jedem alten Kloster nichts sieht als einen Sumpf. Sie kann ja nicht denken, sie weiß nicht, daß unsere Kultur nicht nur aus den stolzen Städten des späten Mittelalters, sondern auch aus Tausenden von Klöstern und Edelsitzen erblüht ist, die lange vor diesen Städten gewesen sind.

      »Raubritter!« Hier kannte ich die »Raubritter« recht genau: Zwei Generationen hindurch hatten im sechzehnten Jahrhundert Glieder meines eigenen Geschlechtes die kleine Burg im Moos bewohnt, während sie in dem Städtlein eine halbe Stunde flußabwärts eifrig dem friedlichen Pflegamt oblagen, für das Wohl ihrer Untergebenen sorgten und ein ehrbares Leben führten. Der Herr Lehrer aber sagt, es seien Raubritter gewesen – nun, der Mann mußte es ja wohl wissen.

      »Sehen's,« sagte der Alte, schmunzelte und griff in einen Wandschrank, »da haben's im Fruhjahr 'was von dem Geschloß aus dem Erdboden 'rausgeackert. Das ist alles, was noch von dem Geschloß übrig ist.« Und damit reichte er uns einen gewaltigen, verrosteten Schlüssel herüber. Er hatte einen großen, kunstvollen Bart, ein Meisterwerk altdeutscher Schlosserkunst.

      Der Vater nahm ihn und schaute ihn lange an; hierauf fragte er, ob wir ihn vielleicht für Geld und gute Worte haben könnten. Da kicherte die Kleine auf der Bank am Ofen und wurde noch röter, als wir hinsahen. Der Alte aber sagte: »Wär' schon recht grob, wenn ich für so 'was Geld nehmen wollt! Den können's so einstecken. Geh', Johann, weis die Herrn an's Gschloß.«

      Wir dankten dem Bauern und gingen mit dem Soldaten, der sporenklirrend vor uns herschritt, aus der Stube. Er führte uns durch den schattigen Grasgarten, an einigen Äckern vorüber, und nach wenigen Minuten kamen wir auf eine große Wiese.

      Drüben zur Rechten stieß sie an den Fluß und an die Erlen, und links dehnten sich die dunkelgrünen Waldhügel, so weit das Auge sah. Gerade vor uns aber, mitten in der Wiese, erhob sich ein mäßig großer Erdring, um den ein Graben lief. Die ganze Wiese war sumpfig und hatte sauere Gräser, und als wir auf dem schmalen Wege an den Graben gekommen waren, sahen wir, daß braunes Wasser in ihm stand.

      Wir gingen auf einem engen, festen Damme hinüber, und jetzt bemerkten wir, daß in der Umwallung ein Stoppelfeld war. Dort hatten sie den Schlüssel aus der Erde gepflügt, den der Vater in der Hand hielt. Seltsam, der alte, verrostete Schlüssel, der versumpfte Graben, der Wall und der Acker mit den gelben Stoppeln!

      Ich ging auf die andere Seite des Feldes, warf mich auf den Boden, lehnte meinen Kopf an den Erdwall und schaute hinauf in die blaue, flimmernde Luft. Und während vorne der Vater bald da bald dort auf den Boden stampfte und auf den hohlen Klang horchte, und während der Bursch wieder durch die sumpfige Wiese zu seinem Schatz in die Sonntagsstube zurückging, und während die Grillen rings um mich her um die Wette zirpten, träumte ich mit offenen Augen, und aus dem Sumpf stiegen mir die grauen Mauern der alten Moosburg empor und streckten und reckten lustig ihre Türmchen und Dächer in den Sonnenschein hinaus und grüßten aus kleinen Fenstern hinüber zu den grünen Hügeln, und die grünen Hügel grüßten herüber, wie sie heute herübergrüßten – aber die Fenster waren längst zerbrochen und die Mauern waren vertilgt vom Erdboden.

      Ich sprang auf und ging über den Acker. Da stand mein Vater auf seinen Stock gestützt, schaute nachdenklich auf den großen Schlüssel und wog ihn hin und her in den Händen. Er bemerkte mich nicht. Ich aber trat hinter ihn und sagte leise die Worte des französischen Emigranten:

      »So stehst du, o Schloß meiner Väter,

       Mir treu und fest in dem Sinn,

       Und bist von der Erde verschwunden,

       Der Pflug geht über dich hin.«

      Nun wandte er sich zu mir, lächelte und sagte: »Es ist wahr! Es gibt doch nichts, was nicht auch schon ein anderer vor uns empfunden hat.«

      Die Grillen zirpten, und ein leichter Luftzug strich über die Stoppeln des Ackers. Langsam gingen wir auf dem engen Pfad über die feuchte Wiese zurück; sorgfältig steckte der Vater seinen Schlüssel in die Tasche und sagte: »Auch eine alte Urkunde.«

      Hinter uns rauschte das Schilf im versumpften Graben, und bald waren wir in dem Wald auf dem Hügel verschwunden.

      Aus meiner Kindheit.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir wanderten durch die Wälder und schwiegen. Mir aber trat plötzlich in voller Frische ein Erlebnis aus meiner Kindheit vor die Seele. An einem Herbsttag war's gewesen vor vielen Jahren, und lange hatten wir zu steigen gehabt; endlich standen wir auf der Höhe. Es war einer der schönsten Berge im bayerischen Walde.

      Eine frische Luft strich über den Bergrücken, man rief die erhitzten Kinder herzu und hüllte sie in warme Überkleider.

      Dann standen die großen Leute auf dem höchsten Punkte des Grates und schauten über das wogende Waldmeer hinein in das hellbeleuchtete böhmische Land. Ich hatte meinen Steinhammer gezogen und klopfte an den schwarz und weiß gesprenkelten Felsblöcken, den letzten Resten eines uralten Gemäuers. Der Fernblick kümmerte mich wenig; was wissen Kinder mit dem anzufangen, das sie nicht zu greifen, in ihren Besitz zu ziehen vermögen? Später freilich bin ich einmal an derselben Stelle gestanden, und da ist mir die gewaltige Rundschau tief zu Herzen gegangen, und ich habe mich fast nicht zu trennen vermocht von dem Blick auf das unendliche Land, das sich von diesem Berge hinzieht, soweit die Wolken gehen, das ein Menschenherz hinlockt über seine grünen Wellen und eine mächtige Sehnsucht in ihm entbrennen läßt, hinabzusteigen und zu wandern, immer weiter zu wandern.

      Das alles war damals auch schon vorhanden, ich sah es nicht. Zuletzt ward ich müde, setzte mich auf einen Stein und schaute einem Käfer zu, der neben mir über den Rasen kroch.

      Da stand auf einmal mein Vater hinter mir und fragte mich: »Georg, siehst du den Wald dort unten?«

      Ich wandte meinen Kopf und sagte: »Ja wohl, Vater.«

      »Dann schau' auch dorthin! Siehst du das glänzende, weite Land und die Hügel ganz draußen, zu denen der große Wald hinläuft?«

      »Ja, ich sehe sie.«

      »Wie weit mag es wohl bis dorthin sein, Georg, wenn einer rüstig ginge?«

      Ich besann mich und sagte: »Eine gute Stunde.«

      »Nein,« antwortete

Скачать книгу