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meine Mutter aber beugte sich herab auf mich und sah mich an, wie aus dem Bilde, und das große goldene Kreuz, das sie auch auf dem Bilde trägt, hing an dem breiten, blauen Bande vor meinen Augen. Sie strich mir die Haare aus der Stirne und sagte: »Du mußt geduldig sein, Willy; ich habe dich ja so lieb.« Da griff ich nach dem Kreuz an ihrer Brust, sie aber knüpfte es rasch ab und legte mir's in die Hände, indem sie sagte: »Willy, ja, nimm das Kreuz. Das hilft uns allen.« Und sie küßte mich. Ich schlief mit dem Kreuze ein und empfand meine Schmerzen nicht mehr.

      Das stand deutlich vor mir und erfüllte mich mit einem wunderbaren Frieden. Ich erhob mich und schürte das Feuer. Alles war stille im Haus und auf den Straßen. Dann kniete ich nieder vor dem Bilde und sagte leise: »Ja, Mutter, das Kreuz will ich halten. Ich weiß, was du mir auch heute sagen wolltest. Mutter, ich will geduldig sein.«

      Die Erinnerung an das Kreuz, Georg, hat mich auch später noch in mancher bösen Ungeduld zur rechten Zeit gemahnt, und ich habe es erfahren, daß nur der Geduldige stark ist. Georg, nimm auch das Kreuz, und sei geduldig. –

      Endlich kam der Vater die Treppe herauf. Ich hörte, wie ihm der Reitknecht den Mantel abnahm. Dann trat er ein, und ich grüßte ihn mit dem festen Vorsatz: ja, Mutter, ich will geduldig sein.

      »Nun, Willy?«

      »Ich darf nicht mit, Vater? Sagen Sie mir's, ich glaube, ich kann's ertragen.« Es stieg mir aber dabei das Blut gegen das Gesicht.

      Da trat der Vater zu mir heran und legte mir seine Hände auf die Schultern:

      »So ist's recht, mein Sohn! Du bist jetzt ruhiger als vorher. Das geziemt einem Soldaten. Des Königs Majestät hat dich zum Fahnenjunker in meinem Regiment ernannt. Sei mir gegrüßt, Kamerad!«

      Da ward's mir heiß vor Freude, und ich rief: »Vater, Mutter!« – –

      Georg, jeder Mensch hört in wichtigen Augenblicken Stimmen, sei es nun von innen oder von außen. Aber das Eine gehört dazu: Nicht auf eigene Faust vorwärts laufen – manchmal stille stehen und horchen, horchen!!

      In den letzten Tagen vor unserm Ausmarsch schrieb mir ein alter Freund unseres Hauses einen Spruch in mein Stammbuch und machte eine Zeichnung dazu. Der Spruch lautete: sic fata eunt. Die Zeichnung war einfach: es war eine Linie im Zickzack. Dieser Mann kannte unsere Geschicke und wußte, daß Spruch und Zeichnung auf unser Geschlecht passen. Denn unser Geschlecht mußte auch immer auf und ab gehen und wird wohl auch noch lange Wege auf und ab gehen müssen, bis sie dereinst zu dem Letzten seinen zerbrochenen Schild in die Grube legen. –

      Ich erzählte dir viel von den Schicksalen unserer Väter, als ich im vergangenen Herbste von meiner süddeutschen Reise zurückgekehrt war. Du wirst selbst sagen müssen, daß der Spruch und die Zeichnung wahr sind. Es ist aber sehr gut, wenn man die Vergangenheit immer vor Augen behält; dann kann ja das Kommende nicht überraschen. Mein Urgroßvater starb im Unglück; ich teilte dir alles mit, was ich davon aus alten Briefen weiß und im vergangenen Herbste in dem Kirchenbuch gelesen hatte. Du weißt, daß sein jüngerer Sohn zu Ansehen und Vermögen gelangte, du weißt, daß der Sohn dieses Mannes als armer Offizier in unsere jetzige Heimat zog und nach harten Schicksalen wieder zu großem Besitz gelangte, du weißt, daß mein Vater, der im Glücke aufwuchs, noch kurz vor seinem Tode bei Polozk die Kunde von dem Verlust von Erckhoff bekam. Die Untreue und die Kriegszeit hatten es uns zu Verlust gebracht. Mit bitteren Sorgen um meine und meiner Schwester Zukunft starb er – du weißt aber, daß ich ein sorgenloses Leben habe und daß meine Schwester auf einem der größten Rittergüter der Mark sitzt. Auf und ab, auf und ab gingen unsere Wege, auch der deine kann wieder abwärts gehen – aber, Georg, das wahre Glück ist nur wenig von vergänglichen Dingen abhängig.

      Darum gehe ruhig deine Straße, und wenn dir's einmal im Leben enge werden will, dann schau' empor zum Himmel, der sich auch über dem dunkelsten Thale wölbt, und gehe aufrecht; denn unser Herrgott will keine gebeugten Nacken.

      Damit du das aber könnest, mußt du auch alles vermeiden, was dich zum Knechte machen würde – und das brauche ich dir wohl nicht erst aufzuzählen.

      Ich sprach dir niemals viel von Grundsätzen. Belade dich nicht mit vielen Grundsätzen; die machen hochmütig. Dein einziger Grundsatz sei: ich will treu sein. Den halte fest. Mein alter Lehrer in Erkhoff, der selige Pastor, von dem ich dir schon oft erzählte, schrieb mir damals vor dem russischen Feldzug in mein Stammbuch:

      »Sei treu! Die Treue gleicht einem Edelsteine, der im Lichte lag und alle Strahlen der Sonne in sich aufsog. Hernach leuchtet er im Dunkeln mit all dem fremden Glanze. Nach allen Seiten streckt sich die Treue, alles im Menschenleben umspannt sie: das Herz bewahrt sie, daß es rein bleibt, sie neigt es hin zum Feinde und tilgt den Haß, und aus einer andern Welt hat sie ihre Kraft.«

      Ja, halte die Treue, Georg!

      Als ich in jenen Tagen zum letztenmale bei dem Pastor saß, da sagte er zu mir: »Werde anders als dein Bruder war, Willy.«

      Ich wußte nicht, was er meinte, und sah ihn lächelnd an; denn ich hatte ja keinen Bruder.

      Aber ich hatte doch einen Bruder gehabt. Auch du weißt bis heute nichts von ihm; heute will ich dir von ihm zum erstenmal erzählen, was mir damals der Pastor von ihm sagte. Er war viel älter als ich und aus der ersten Ehe meines Vaters geboren. Der Pastor schenkte mir damals ein Gemälde in einer blauen Samtkapsel, welches ihn als Knaben darstellt. Es geht nun in deine Hände über und mit ihm dieser alte, ganz mürbe gewordene Brief von seiner Hand. Möge das Bild und der Brief samt dem, was der Pastor schrieb, dich ebenso geleiten, wie es deinen Vater durch seine Jugend führte.«

      Ich hielt inne und schaute fragend auf die alte Dame. Sie nahm aus einer kleinen Ledertasche zwei vergilbte Papiere und reichte sie mir herüber, indem sie sagte: »Das Bild haben Sie ja heute schon in meinem Zimmer gesehen.«

      Ich las:

      »Wohlehrwürdiger Herr Pastor! Da lieg ich in dem einsamen Bauernhof. Es ist jetzt zehn Wochen her, daß ich mich hierher geschleppt habe. Was mir fehlt, weiß ich selbst nicht recht. Ich muß viel husten und kann mich nicht auf den Beinen halten. Wenn nur der Winter aufhörte. Ich sah seit diesen zehn Wochen keinen Sonnenstrahl mehr, weil der Hof fast den ganzen Winter über im Schatten liegt. Ich komme wohl nicht mehr in die Heimat hinaus; ich glaube auch, es wäre gar nicht gut. Ich will tot sein für meinen Vater.

      Ich habe viel böse Zeit zum Nachdenken, und das thut weher als mein Husten. Ich will's Ihnen noch sagen. Nehmen Sie's für eine Beichte, aber nicht für eine Kirchenbeichte, an die glaub' ich nicht. Sie wissen ja die Geschichte, Sie wissen, wie schlecht ich gehandelt habe und daß mir mein Vater nicht vergeben konnte, daß ich die Treue gebrochen habe. Aber das wissen Sie nicht: es brennt mich wie höllisches Feuer, daß ich das Mädchen betrog. Und das will ich: sagen Sie meinem Bruder, wenn er in die Jahre kommt, daß er nie solle ein Weib betrügen. Ein Weib ist so sehr vertrauensvoll, ist um so vertrauensvoller, je unschuldsvoller sie ist. Ein Weib ist so ganz Hingebung und Liebe. Darum ist der ein Schurke, der ein liebendes Weib betrügt. Ich habe es verlernt, was Sünde und was Tugend ist. Man kann's auch nicht so recht auseinanderhalten. Aber das weiß ich, wenn einer ein Weib betrügt, dann geht's ihm schlecht. Er hat kein Glück und findet keine Ruhe, die Rachegeister verfolgen ihn, wohin er geht. Wenn ich an Schutzengel glaubte, dann glaubte ich auch, daß so ein unschuldiges Weib einen ganz besonderen Engel besitzt und daß mich der Schutzengel des Mädchens seither durch alle Länder verfolgt. Wohin ich überall kam, das kann ich nicht schreiben, ich schreibe den Brief überhaupt in Zwischenräumen, weil ich so müde bin. Ich war überall, wo Napoleon war. Ich habe nirgends Ruhe gefunden; bloß in der Schlacht war mir's wohl. Derhalben lebte ich als ein wilder Soldat.

      Unsinn ist's, es gibt ja keine Rachegeister, weil es keine Geister gibt. Ich glaube nichts mehr von Ihrer Lehre. Ich habe alles verloren. Aber warum fürchte ich mich denn so? Ich komme mir vor wie jener Mann, der in der Hölle saß und Pein litt und nur wünschte, daß seine Brüder nicht auch an diesen Ort kämen. Herr Pastor, Himmel und Hölle sind Märchen. Die Qual aber ist kein Märchen. Und ich will nicht, daß mein Bruder einst auch solche Qualen leidet. Darum sagen Sie ihm, aus meiner Qual rufe ich ihm zu, er solle kein Weib betrügen.

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