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handelt sich lediglich um familiengeschichtliche Forschungen,« fuhr der Vater mit der Zähigkeit des Genealogen fort. »Unser Geschlecht ist vor Zeiten aus Böhmen in die Oberpfalz eingewandert. Ist Ihnen darüber Näheres bekannt?«

      »Ja, sollen aus Böhmen stammen,« meinte der Baron und betrachtete uns wieder mißtrauisch. »Hab's schon gehört. Und Sie wollen also auch Kerdern heißen, am Ende gar mit mir verwandt sein?«

      Dabei prüfte er wieder unsere Kleider, die von Sonnenschein und Regen allerdings etwas arg mitgenommen waren, und – griff mit der Hand in die Tasche.

      Der Vater, dem in seinem genealogischen Eifer diese Wendung völlig unerwartet kam, stand einen Augenblick sprachlos. Der Baron aber hielt uns nachlässig ein Geldstück hin.

      Da trat ich rasch einen Schritt vor, nahm ihm den halben Gulden aus den Fingern und lachte ihm hellauf und lustig ins Gesicht. Dann machte ich eine tiefe Verbeugung und sagte, noch immer lachend: »Schönen Dank, Herr Vetter, der kommt zum ewigen Gedächtnis an meine Uhrkette!«

      Ich weiß nicht, was so sehr wirkte: war es mein Lachen oder waren es meine Worte. Aber die Wirkung war vollkommen da; der Baron verbeugte sich höflich und sagte: »Verzeihung, meine Herren, es ist hier sehr dunkel. Ich glaube, etwas Arges gethan zu haben. Ich kann es wohl durch nichts mehr gut machen!«

      »O ja,« versetzte nun der Vater mit feinem Lächeln, »wenn Sie uns alles sagen, was Sie über unser Geschlecht wissen.« – –

      Wir haben nach diesem komischen Empfang einen sehr schönen Abend mit dem wohlthätigen Vetter verbracht, und er hat uns auch alles erzählt, was er von der Vergangenheit wußte. Aber es war nicht viel, und die alte Urkunde besaß er – nicht.

      Den halben Gulden trage ich heute noch an meiner Uhrkette und schaue ihn oft mit stillem Behagen an. Wenn einer auf Geneanomie, Genealogie, Heraldik und Sphragistik reist, dann verdient er wohl selten einen halben Gulden. Uns aber war das Glück hold gewesen.

      Der Eisenhammer.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie ist hoch auf die Felsen gebaut, eine uralte Stadt. Sie hat nur eine einzige breite Straße, aber eine Menge von reinlichen Seitengäßchen, und um ihre Mauern schlingt sich gleich einem Kranze ein Laubgang von Lindenbäumen. Vor Zeiten war sie ein berühmter Fürstensitz, und dort, wo die Felsen so schroff ins grüne Thal abfallen, erhebt sich heute noch das große Schloß mit seinen vielen hundert Fenstern. Aber die alte Herrlichkeit ist versunken, längst haben sie den letzten Herzog unter die kühlen Steinplatten der Kirche zur Ruhe gelegt, die stolze Residenz ist zum Gefängnis geworden, vergrämte Gesichter schauen aus den erblindeten Scheiben hinaus in das wellige Land, und die Fürstenstadt hat sich in ein Landstädtchen verwandelt.

      Ein klarer Herbstmorgen war aufgegangen, als wir diesen Ort verließen. Wir sahen vom nächsten Hügel zurück und freuten uns, wie hell die Sonne auf den Zwiebelkopf der Pfarrkirche, die braunen Dächer der Häuser und des Schlosses und die halbzerfallenen Türmchen an der Stadtmauer herabschien.

      Dann wandten wir uns und gingen weiter in den Morgen hinein und trugen ein Bild im Herzen.

      Das Bild war ein Herrenhaus mit starken Mauern, mit Wall und Graben, eine kleine Burg an einem Fluß, und rings um dieses Haus lagen die Werkstätten, geschäftige Menschen mit rußigen Gesichtern hantierten darinnen, Tag und Nacht trug der Fluß seine Wellen unter den Mauern vorüber, trieb die großen Räder des Werks, die schweren Hämmer fielen dröhnend auf das Eisen, die Hochöfen glühten, die Essen sprühten, auf der Straße durch das Thal fuhren ächzende Wägen, und in dem Herrenhaus saß ein glücklicher Mann mit einem lieblichen Weib und guten Kindern.

      Mit diesem Bilde gingen wir hügelauf, hügelab durch dunkle Wälder, über weite Thalgründe und stiegen zuletzt auch in das Thal hinunter, das uns so lebhaft vor Augen stand.

      Dort sind wir lange auf einer zerfallenen Mauer unter einer Weide gesessen. Die Weide ließ ihre Zweige im Wasser treiben – und – – –

      Wohl waren die Hügel noch von Wäldern bedeckt, wie ehedem, wohl trieb der Fluß noch wie damals sein Wasser thalabwärts, wohl hing noch ein Rad in den Wellen und drehte langsam die moosgrünen Schaufeln – aber das Herrenhaus mit seinen Hammerstätten war vom Erdboden verschwunden.

      Das alte Wasserrad trieb eine ärmliche Spiegelschleife, rostrot waren die Hütten, rostrot die Zäune und Planken, rostrot der Sand des Bodens und die zerlumpten Gestalten der schmutzigen Schleifer, das Wasserrad drehte sich ächzend und knarrend und erzählte uns eine düstere Geschichte, die wir doch selbst schon wußten, und die Wellen rauschten dazu: Hofgunst – Laub am Baum; heute grün – morgen dürr.

      Georg Kerdern, der zweite von den Söhnen des greisen Pfarrherrn, der die Dokumente seines Geschlechts verbrannt hatte, war von seinem Schicksal in dieses Thal geführt worden.

      Das war also zugegangen:

      Der junge Ingenieuroffizier hatte die Aufmerksamkeit seines Fürsten auf sich gelenkt und verkehrte viel bei Hofe. Seine ritterliche Art gewann ihm mit der Zeit sogar die Freundschaft seines Herrn, und man erzählt, daß in vertrauten Stunden auch die letzten Schranken zwischen dem Diener und dem Fürsten fielen und das trauliche Du in Anwendung kam.

      Georg Kerdern hatte einen feurigen Geist und eine eiserne Energie, der Herzog war ein weit angelegter Mensch und gerechter Fürst, der seiner Zeit um ein gutes Stück voranging. Er hätte sicher Großes geleistet, wenn ihn das Geschick an die Spitze eines Reiches gestellt und nicht auf den engen Fürstenstuhl eines Ländchens gesetzt hätte.

      Georg Kerdern sollte diese Fürstenfreundschaft teuer zu stehen kommen.

      Wie ist doch das vorige Jahrhundert in seiner ganzen Kleinlichkeit dem heutigen Geschlechte so schwer verständlich. Der entsetzliche Krieg lag dem Volk noch immer in den Gliedern. Wenn die Kindlein sich nicht ruhig verhalten wollten, dann sangen die Mägde wohl:

      Der Schwed' ist kommen,

       Hat alles mitg'nommen,

       Hat d'Fenster 'neing'schlagen,

       Hat's Blei davontragen,

       Hat Kugeln draus gossen,

       Hat d'Leut mit erschossen.

      Und die Kindlein schwiegen und fürchteten sich. Aber nicht nur die Kindlein, auch die Alten fürchteten sich. Sie fürchteten sich vor neuem Kriegslärm, sie fürchteten sich vor Serenissimus und seinen Steuern, sie fürchteten sich vor der Justiz, sie fürchteten sich vor Teuerung, sie fürchteten sich wohl auch vor Ihresgleichen. Die Bauern säeten und ernteten, aber der schwere Herrendruck lag auf ihnen, die Äcker, auf die der Wald geflogen war, ließen sie ruhig liegen, die versumpften Wiesen durften weiter und weiter versumpfen, und die Armut war Königin. In den Städten hantierten wie ehedem die Bürger, aber die mannhaften Geschlechter des Mittelalters waren ausgestorben, und ihre Nachkommen waren ganz andere Leute geworden; ruhig trugen sie die engen Ringe, die man um ihr Dasein geschmiedet hatte.

      Besonders trübe ist das Bild des vorigen Jahrhunderts in den unglücklichen Landstrichen, wo die beiden christlichen Bekenntnisse neben einander geübt wurden. Da waren die armen Menschen, die doch aus einem und demselben Stamm gekommen, durch eine breite Kluft voneinander getrennt und auseinander gerissen, zwei Geistliche standen sich im Dorfe feindselig gegenüber, die Kirche war geteilt, der Altar war geteilt, die Einkünfte waren geteilt, und die Religion, die alle Schranken zwischen den Menschen aufheben und sie als Kinder dem ewigen Gott zuführen soll – gerade die Religion wurde zu einer nie versiegenden Quelle der Zwietracht, und oft will es mir dünken, wenn ich in die vergilbten Akten jener Zeit schaue, als wäre damals mehr gestritten und gezürnt denn geliebt und gebetet worden.

      So will es mir dünken; aber eine Zeit darf gewiß nicht allein aus den Akten beurteilt werden, sonst steigt statt eines Kulturbildes ein unwahres Zerrbild aus den Nebeln der Vergangenheit empor. Und so sehe ich im Geiste auch durch diese öde Zeit der Erschöpfung, durch diese Zeit des bösen Herrendrucks und

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