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alles nichts, er wurde krank. Das kranke Herz machte auch den Körper krank. Er kehrte heim, ich hätte ihn kaum wieder erkannt. Er war nur von einem Gedanken beherrscht: »Ich bin übergangen!« Und der Gedanke nagte wie ein Wurm an seinem Mark. Tagelang saß er da in dumpfem Brüten. Er konnte sich nicht emporreißen. Er sah nur auf den staubigen Weg, auf dem die Göttin in der Ferne verschwand, seine Göttin.

      Da kam ein Mächtiger. Der streckte seine eisigen Hände aus und rührte ihn an. Da verdunkelten sich seine Augen, und seine Pulse stockten. – –

      Ich stand lange vor seiner Leiche und schaute in das tote Antlitz. Die Züge waren noch härter, noch schärfer als ehedem. Der Mund war krampfhaft geschlossen, auf der wachsgelben Stirne waren tiefe Furchen zu sehen. »Dies Leichenantlitz ist so friedlos,« dachte ich bei mir.

      Und wie friedlich hätte dieser Mensch leben können, wenn er bei Zeiten das wahre Erdenglück erkannt hätte. Er war gewiß nicht unedel gewesen, dieser hochbegabte Mann; aber er hatte sein Leben in einem Wahn vergeudet.

      Ich stand und dachte an die Verblendeten, die keuchend einherlaufen hinter der Göttin, und ich wünschte, sie möchten einen Augenblick innehalten und auf diesem friedlosen, starren Antlitz ihr Spiegelbild schauen können.

      Und den andern, den Streber, wünschte ich zum Bahrrecht her an diesen Schragen, den Günstling, für den man dem Toten das Steinchen in den Weg geworfen hatte. Auch wäre es gut, wenn solche Menschen den Jammer ihrer Opfer ansehen müßten, sie sollten dabei sein, wenn diese sich totwund verkriechen und zum Sterben legen! –

      »Du Thor!« wird da der eine oder der andere sagen. »Du Thor! das ist eben einmal so im Leben, das ist der Kampf ums Dasein, das ist die Carriere!«

      »Ja wohl,« sage ich, »du Thor, das ist die Carriere!«

      »Vater,« begann ich, nachdem wir lange schweigend neben einander hergegangen waren. »Vater, hältst du also das Verlangen nach Auszeichnung überhaupt für verwerflich? Diese Geschichte, die ich in ihrem ganzen Zusammenhange nie gekannt habe, hat mich erschüttert. Aber ich glaube, daß es doch auch ein Streben gibt, das sehr achtenswert ist.«

      »Gewiß, mein Sohn,« erwiderte der Vater. »Ich habe deinen Einwand erwartet. Höre weiter:

      »Es liegt dem Menschen im Blute, sich zur Geltung zu bringen, sich hervorzuthun, und dieser Drang ist eine der mächtigsten Triebfedern der menschlichen Gesellschaft. Wer die Kraft in sich fühlt, hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, nach der Stellung im Staate zu ringen, die ihm volle Entfaltung möglich macht; denn das Wort vom vergrabenen Pfunde ist ein furchtbar ernstes Wort, und der Zweck unseres Daseins ist nicht die Beschaulichkeit, sondern die Arbeit.

      »Aber gleichwie alle großen, gottgewollten Einrichtungen, so kann auch dieser Trieb mißbraucht und zu Knechtsdiensten herabgewürdigt werden, und das rechtschaffene Streben verwandelt sich in eine wilde Jagd nach dem Glück!

      »›Nit eitel Ruhm!‹ hat vor Zeiten einer unseres Geschlechts in das Spruchband seines Wappens als Wahlspruch geschrieben. ›Nit eitel Ruhm!‹ möchte auch ich dir auf deine Frage antworten.

      »Arbeite, ringe, kämpfe – steig' auch meinetwegen, aber thue alles um der Sache willen; nur dann wirst du Frieden haben. Niemals strebe um deiner selbst willen; denn das ist ein jämmerlicher Lebenszweck, bei dem das Herz verdorrt, bei dem die Augen blöde werden. Und wenn du nicht lediglich um der guten Sache willen arbeitest, so wirst du auch wohl dann und wann im stande sein, das gute Recht des unbequemen Nächsten deinem Ich zu opfern.

      »Ich mag es nicht hören, das welsche Wort Carriere, dieses Wort, das so viele unserer besten Geschlechter seit Generationen vergiftet, das schon so manchen kraftvollen Jüngling unvermerkt zum gefügigen Ja-Herrn gemacht hat.

      »Ein anderer unseres Geschlechtes, ein Mann vom Scheitel bis zur Sohle, der unter den widrigsten Verhältnissen durch treue Arbeit zu hoher Stellung emporgestiegen war und zuletzt in stolzer Bescheidenheit einen Ministerstuhl ausschlug, hat, als er sich zum Sterben legte, seinem Sohne gesagt: ›Du sollst mir kein Ja-Herr werden.‹

      »Hüte auch du dich, mein Sohn, jemals das letzte Ziel alles unseres Strebens aus den Augen zu verlieren. Dann wird alles, was du thust, einen großen Hintergrund bekommen, dann wirst du dir von selbst klar über die unendlich feinen Grenzen, die zwischen dem Guten und dem Bösen gezogen sind. – –

      »Wir Menschenkinder tragen zu tiefst im Herzen ein stilles Heimweh, ein Sehnen nach unbekannten, unvergänglichen Gütern; denn unsere Heimat ist nicht in dieser Welt.

      »Dies Sehnen dürfen wir nicht unterdrücken, wir dürfen es nicht ungehört verhallen lassen im Lärm des Lebens. Dies Sehnen ist unser bestes Teil. Es wird mächtiger und mächtiger, je älter und reifer wir werden, je klarer wir das Leben durchschauen, das uns umgibt. Und mit diesem Sehnen werden dereinst die Glockentöne der Ewigkeit in wunderbaren Harmonieen zusammenklingen.

      »Über all dem Kämpfen und Streben hienieden vergiß niemals das Wort:

      »Mach' deinen Raupenstand

       Und deinen Tropfen Zeit

       Den nicht zu deinem Zweck,

       Die nicht zur Ewigkeit.«

      Beim Geschlechtsältesten.

       Inhaltsverzeichnis

      Von den »Herren im Walde« war zu Anfang dieses Jahrhunderts ein Zweig entsprossen, der lebte fern von der alten Heimat am Rande des Gebirgs. Da es der älteste Sohn gewesen, der einstmals im Unmut aus dem Hause seines strengen Vaters gegangen war, so wohnte jetzt auf dem entlegenen Gute der Älteste unseres Gesamtgeschlechts.

      Auch dort suchten wir die alte Urkunde. –

      Es war nicht weit zu gehen gewesen vom letzten Flecken. Wir standen vor einem großen Holzgarten, in dem gewaltige Stämme lagen. Mitten hindurch schoß ein reißender Gebirgsbach, aus einer schönen Gruppe von Erlen und Weiden tönte das Kreischen der Sägen, und im Hintergrunde, am Berge, lag ein behäbiges, schloßartiges Wohnhaus.

      Wir stiegen die Freitreppe empor und fragten im kühlen Flur einen Knecht nach dem Herrn Baron.

      »Der junge Herr Baron ist nicht zu Hause, aber der alte Herr Baron ist droben,« sagte der Knecht.

      »Dann melden Sie uns beim alten Herrn,« erwiderte der Vater.

      Der Mann sah uns verwundert an, ging dann die Stiege hinauf, winkte uns, schritt durch einen langen Korridor, machte vor einer Thüre Halt, drehte sich rasch zu uns her, zeigte ein pfiffiges Gesicht und verschwand schleunig.

      Wir klopften einmal, zweimal, dreimal. Endlich rief eine Baßstimme »Herein!«

      Wir standen in einem geräumigen, düsteren Gemache. An den Wänden hingen gekreuzte Schwerter und Hellebarden, alte, verdunkelte Gemälde, viele Jagdtrophäen. Ganz hinten in der düstersten Ecke saß auf einem Ledersofa an einem großen Ahorntisch ein Mann mit schneeweißem Haupthaar und Bart.

      Der erhob sich voll Feierlichkeit und rief uns entgegen: »Ich heiße Sie willkommen! Ich wußte gar wohl, daß Ihre Ankunft erfolgen werde. Nehmen die Herren Platz!«

      Dieser Empfang war ein recht freundlicher, und der Vater besann sich, ob eine förmliche Vorstellung unter solchen Verhältnissen überhaupt noch statthaft wäre. Er zog es aber doch vor, seinen und meinen Namen zu nennen, und wollte gerade damit beginnen. Da erhob sich der Greis noch einmal und sagte mit seiner tiefen Stimme: »Thut nichts zur Sache. Setzen sie sich nur!«

      Er selbst saß auch schon wieder, und jetzt bemerkten wir, daß seine Augen so seltsam glanzlos an uns vorüber ins Leere starrten.

      Wir nahmen von zwei Stühlen Besitz, und es entstand eine Pause.

      Wie schön doch der greise Mensch vor uns war. Wie edel war der Schnitt seine Antlitzes, wie groß und kräftig war die Gestalt des Achtzigjährigen, kaum ein klein wenig gebückt erschien sie mir. Nur die Augen waren so glanzlos,

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