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ist's doch Schönes um die Carriere, Vater,« sagte ich einmal, als wir auf unserer Fahrt wieder eine große Fußwanderung zu machen hatten.

      »Arbeiten, ringen, steigen und herrschen! Es liegt für mich ein zauberhafter Klang in dem Worte Carriere. Ich möchte wohl auch einst Carriere machen, ich denke, daß dies gerade eines alten Geschlechts sehr würdig ist.«

      Der Vater sah mich einen Augenblick von der Seite an, aber er entgegnete kein Wort.

      »Vater,« begann ich wieder, »hältst du das Streben nach Ansehen und Einfluß für verwerflich? Warum antwortest du nicht?«

      »Weil ich an eine Geschichte denke. Ich will sie dir erzählen. Unterbrich mich nicht, wenn dir auch einzelnes davon schon bekannt ist. Du warst ein Kind, als sie sich zutrug, und ich habe es später vermieden, von ihr zu sprechen. Aber heute will ich sie erzählen, diese fast unglaubliche Geschichte aus dem Leben. Höre sie; denn in ihr spiegelt sich – unsere Zeit.

      Es war kurz nach meiner Versetzung in die Hauptstadt vor dreizehn Jahren. Ein schöner Herbstmorgen war angebrochen, und die glänzende Sonne lachte in die Straßen herein. Ich trat aus der Hausthüre, du und Fritz waret bei mir.

      Zu einem bedeutungsvollen Gange schickten wir uns an: zum ersten Gang in die Lateinschule.

      »Arme Kinder!« dachte ich, und die alten, halbvergessenen Gespenster von Skriptionen, Jahreszahlen, unregelmäßigen Zeitwörtern und mathematischen Sätzen gingen mir durch den Kopf.

      Ihr »armen Kinder« aber waret seelenvergnügt und schautet ahnungslos in die Welt. Ihr wußtet ja nicht, daß sich in diesem Augenblick leise hinter euch eine Thüre schloß, die Thüre eurer goldenen Kindheit.

      Wir schritten weiter. Die Spatzen schrieen so lustig auf den Dächern, die Sonne glänzte so golden, die frische Morgenluft wehte so erquickend um die Gesichter. Ich aber that ein Gelübde in meinem Herzen. Das hieß: ich will die harmlosen Geschöpfe da neben mir, den eigenen Sohn und das anvertraute Kind des verstorbenen Bruders, treu und gewissenhaft zur Arbeit erziehen, aber ich will sie mit weiser Hand leiten, ich will es ihnen leicht machen, wo ich es nur immer leicht machen darf. Von Stufe zu Stufe will ich sie führen, will ruhig abwägen, was für ihre Schultern paßt und was ihnen zu schwer ist. Das Alles will ich thun, weil ich wünsche, sie möchten dereinst dem wirklichen Leben mit starken Leibern und mit frischen Herzen entgegentreten und noch als Greise das Andenken ihres Erziehers segnen.

      So dachte ich. Da zupftest du mich am Arme und sagtest: »Vater, da kommt hinter uns der Onkel und Hans.«

      Ich wandte mich um, begrüßte den Vetter und strich seinem Hans über die Wange. Der zog die Mütze und gab mir die Hand. Da bemerkte ich Thränen in seinen Augen.

      »Ja, Hans!« sagte ich, »was ist denn das? Sei doch tapfer! Schau' dir meine Buben an! Die gehen ohne schwere Sorgen in die Lateinschule und glauben, sie werden jetzt große Herren. Kopf in die Höh', Herz auf, daß die Sonne drein scheint!«

      Hans sah mich betrübt an. Sein Vater aber sagte: »Es schadet nichts, wenn er bei Zeiten den Ernst des Lebens erfaßt und etwas nachdenklicher wird. Gestern noch war er so ausgelassen, daß ich ihn gehörig vornahm. Ich habe es ihm gesagt: jetzt ist's aus mit dem kindischen Wesen, jetzt gibt es nur noch Arbeit. Er versteht es noch nicht ganz. Aber an mir soll's nicht fehlen!«

      Ich schritt schweigend neben dem Vetter und machte mir meine Gedanken. Ich kannte ihn ja seit langen Jahren. Er war ein Mensch von sehr großer Begabung und von ebenso großem Fleiße – aber größer noch als alle seine sonstigen Eigenschaften war sein Ehrgeiz. Wie oft hatten wir schon über unsere Lebensanschauungen gesprochen, und wie oft hatten wir erkannt, daß sie ganz unendlich weit von einander abwichen! Sein Ehrgeiz verzehrte ihn. Wir waren auf einer Schulbank miteinander gesessen – Streben und Glänzen waren dort seine Ideale gewesen, Streben und Glänzen, das blieb seine Losung auch auf der Hochschule. Er wurde älter, er trat ins Amt, und ein Zaubergebilde tanzte vor ihm: das hieß Carriere. Die nahm sein Dichten und Trachten ein, die beherrschte sein Thun und Lassen, für sie lebte er, sie gab seinem Dasein Wert und Inhalt, sie war seine Göttin. Die Vorgesetzten wurden aufmerksam auf ihn, er stieg, und Seher in seinem Amte weissagten ihm eine glänzende Laufbahn.

      »Es ist doch etwas Entsetzliches,« sagte der Vetter gedankenvoll, während wir durch einen Strom von Knaben hindurchgingen, die alle demselben Ziele zusteuerten. »Es ist etwas Schreckliches um diese Konkurrenz! Sieh' nur her, diese Menge, diese Menge! Was soll aus den Kindern werden?«

      »Darüber mache ich mir zur Zeit noch nicht die geringste Sorge,« sagte ich, während ihr drei Knaben außer Hörweite vor uns dahinschrittet. »Mir bereitet nur das Eine Kummer und Kopfzerbrechen: wie bewahre ich meine gesunden Kinder, daß sie mir in den acht Jahren nicht durch das verrückte Schulhocken an Körper und Geist krank werden? Ich habe mir's aber auch fest vorgenommen, sie in jeder freien Stunde in Feld und Wald zu führen, und gestern habe ich für die Regentage ein prächtiges Reck zwischen die Pfosten der Wohnzimmerthüre bauen lassen. Ich rate dir, mach's mit deinem Hans auch vernünftig und gib ihn mir recht oft in die Kur. Für alles andere sorge nicht.«

      Der Vetter verzog den Mund. »Ich bin gewiß auch für Bewegung im Freien,« erwiderte er, »aber meine erste Sorge ist die, daß Hans arbeiten lernt. Unsere Ansichten sind ja in diesen Sachen von jeher auseinander gegangen. Ich kenne die deinigen recht gut, aber ich verstehe sie nicht. Die Menschheit zerfällt für mich in zwei große, ungleiche Teile: in die Herrscher und in die Beherrschten. Das war von jeher und wird auch immerdar so bleiben. Du hältst doch sehr viel auf das Alter unseres Geschlechts und hast mir schon so manchen Vortrag darüber zum besten gegeben. Auch mir war es immer interessant, zu wissen, daß unsere Vorfahren je und je, bald in größeren, bald in kleineren Kreisen, zu den Herren gehört haben. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich auch zu Hans schon öfter über die Vorfahren gesprochen; denn ich wünsche, daß auch er einst zu der herrschenden Kaste gehöre. Von Anfang an will ich ihn zu meinen Idealen erziehen, und er muß mit seinen Gaben glänzen. Der Sporn des Daseins ist der Ehrgeiz. Ich habe mich kalt und nüchtern umgesehen in der Welt und habe als letzte Triebfeder hinter allem den Ehrgeiz und immer wieder den Ehrgeiz gefunden.«

      Ich schwieg eine Zeit lang. Es war ja der alte Zwiespalt. Dann sagte ich: »Dein tiefsinniger Satz über den Ehrgeiz findet vor allem in einem schönen Pferderennen oder in einem Hahnenkampf ganz prächtige Bilder.« – –

      Wir waren am Ziele. Unter dem großen Thore des Gymnasiums schoben und drängten sich die Haufen. Ich gab euch die Hand. Der kleine Hans blickte ängstlich aus seinen großen Augen zu seinem Vater empor. Der hatte die Linke schwer auf des Knaben Schulter gelegt und hob drohend den Zeigefinger der Rechten.

      Ich stand und sah euch lange nach, und wieder wollten die schweren Gedanken kommen – aber es waren nicht mehr eure Krausköpfe, um die ich mich sorgte.

      Zwei Jahre waren ins Land gegangen. Der Vetter war an der goldenen Leiter eine Sprosse höher gestiegen.

      Ihr Knaben saßet in der dritten Lateinklasse, aber Hans hatte längst seine roten Backen verloren. Denn er mußte den Lebensanschauungen seines Vaters entsprechen und nicht nur ordentlich lernen, sondern auch glänzen, glänzen in den Lehrfächern der Schule, glänzen in der Musik, glänzen in der französischen Sprache – und auffallend oft erkundigte sich damals der Vetter bei mir über die Beweise unserer adeligen Herkunft. Ich bin überzeugt, er hatte seinen Hans zum Diplomaten bestimmt.

      Es war in der That erstaunlich, welche Kenntnisse der überreizte Knabe in Dingen besaß, die sonst weit über die Fassungskraft dieses Alters hinausgehen. Ich habe mich durch dieses Strohfeuer nie blenden lassen, sehr oft aber den Kopf darüber geschüttelt.

      Auch ihr hattet euch brav emporgelernt; aber ungestört befandet ihr euch noch im Besitze eurer Gesundheit; denn ich verlangte von euch das Glänzen ebensowenig, wie ich euch auferlegte, auf dem Seile zu tanzen. –

      An einem Abend gegen Ende Oktober war ich in Gesellschaft gewesen und bog um halb zwölf Uhr in meine Straße ein. Alles war still, die meisten Fenster lagen dunkel da, und ein leiser Regen ging zur Erde nieder.

      Ich hüllte mich fester in meinen Mantel, summte ein Liedlein

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