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Düfte hinhauchen über das, was gleich ihnen verfallen ist der Verwesung.

      Es liegt ein Totes in der Kammer, die Lebenden aber sind gezwungen zur Geschäftigkeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend und wandeln leise, leise im Dufte der Blumen.

      Es liegt ein Totes in der Kammer. Die Zukunft hat sich klein gemacht und kauert draußen vor der Türe. Zu Häupten des Sarges aber steht, so unbewegt, wie der Tote in seinem Sarge liegt, mit geöffneten Augen die Vergangenheit. Und aus ihrem faltenreichen Gewande kommen in buntem Gewimmel die Tage, die gewesen sind, umdrängen den Trauernden und zeigen ihm ihre Stirnen, die leuchten im Abglanz eines versunkenen Glückes, ihre Augen, an denen noch die Tropfen längst vergossener Tränen blinken. Lautlos huschen sie vorüber und schlüpfen in die dunklen Falten zurück. Es liegt ein Totes in der Kammer. Hoheitsvoll ist das Antlitz, hoheitsvoll, wie es niemals im Leben gewesen. Still brennen die Kerzen, und über Vergangenheit und Gegenwart duften die sterbenden Blumen.

      Fahl wie eine Tote geht die andere, die Lebende, im Hause umher, die andere, die der Toten da drinnen den ungestörten Augenblick des Sterbens mit der Ehre eines Lebens erkauft hat. Ja, fahl wie das der Toten ist ihr schönes Antlitz, aber die Unruhe der wilden Gedanken blickt aus der Tiefe der Augen, zuckt um den krampfhaft geschlossenen Mund. Wohl der Toten, die da stille liegen darf im zitternden Lichte kleiner Kerzenflammen, umduftet von sterbenden Blumen. O, wie so gerne möchte die Lebende liegen, wo die Tote ruht in unantastbarem Frieden. Aber die Lebende ist in bitterkalte Einsamkeit gestellt auf die Gedankenscheide zwischen Vergangenheit und Zukunft. Vielhundertmal am Tage gleitet ihr Blick zurück, dorthin, wo riesengroß das Entsetzliche steht und alles verdunkelt, was jemals gewesen ist. Da vorne aber hebt aus wallenden Nebeln im tiefen Tale die andere, die blutleere Zukunft ihr starres Antlitz und richtet lautlos ihre unbarmherzigen Fragen an sie.

      Schier unerträglich war der Geruch der verwesenden Blumen geworden. Da pochten die schwarzen Männer an die Türe, kamen mit schweren Tritten herein, nahmen die Kränze vom Sarge, schlossen ihn und stampften unter ihrer Last aus dem Hause.

      Mit gefalteten Händen, mit tränenlosen Augen steht die Magd in der Stube zur ebenen Erde hinter den Vorhängen und starrt hinaus auf den Marktplatz, wo die Menge Kopf an Kopf sich drängt bis an den Grafenbrunnen hinüber. Und nun singen die Kinder, nun läuten die Glocken, nun schwankt der blumenbedeckte Sarg um die Ecke, nun zieht die Tote ihren letzten Weg.

      Den letzten Weg! Und was hindert die Magd?

      Schlaff sinken ihre Arme herab, schmeichelnd kommt es herangekrochen und ringelt sich empor an ihr – legt sich um ihren Leib, zieht sich zusammen und züngelt ihr von der Seite her in die Augen. Ein scheuer Blick mißt die Höhe des Kirchturmes drüben vom großen Schalloch bis herab aufs Pflaster, und ein anderer Blick schweift hinüber in die Ecke, wo des Doktors Handapotheke steht und die versperrte Lade mit dem gemalten Totenkopfe. Aber nicht lange, gar nicht lange. Dann richtet sie sich hoch auf, schlingt die Finger fest ineinander und betet seufzend: ›Führe uns nicht in Versuchung!‹

      Da löst sich das Tier machtlos von ihrem Halse, gleitet herab und entschwindet.

      Das Tier kann warten und kann wiederkommen. Es wird wiederkommen, immer wieder kommen und wird sich süß und immer süßer um sie schlingen. –

      Die Glocken schweigen, der Markt ist leer. Die helle Nachmittagsonne leuchtet herab. Ein tiefblauer Himmel ist ausgespannt, und das vergoldete Schwert des steinernen Grafen funkelt über dem fließenden Brunnen.

      Noch immer steht die Magd am Fenster hinter den zusammengezogenen Vorhängen und sucht nach einem Wege hinaus in die Zukunft. –

      Allmählich kommen auch die Leute vom Kirchhofe zurück: die Männer im schwarzen Rocke, die Frauen im Abendmahlkleide, um den Kopf ein schwarzes Tuch. Und alle tragen die großen, schwarzen Gesangbücher mit dem gelben Schnitt.

      Endlich biegt der Doktor um die Ecke. Er geht langsam, und sein blonder Bart leuchtet im Sonnenschein. Rechts und links führt er seine zwei Buben. Der Kleine trippelt vergnügt neben seinem Vater und fährt mit dem freien Händchen hin und her. Der größere aber ist bleich, er geht mit gesenktem Kopfe und bemüht sich, so lange Schritte zu machen wie sein Vater. Es ist fast lächerlich anzusehen, und dennoch treibt es der Magd zum ersten Male wieder das Wasser in die vertrockneten Augen. Denn es ist anzusehen, als wollte das Kind im Unglück einherschreiten wie sein Vater, der Mann.

      Der Doktor geht nicht in seine Behausung. Er biegt mit den Kindern in die Bachgasse ein. Denn die Kinder dürfen heute bei der Baronin bleiben, bei der Kusine seiner seligen Frau.

      Nach einer Weile kommt er zurück. Jetzt geht der Nachbar Martin neben ihm, der Pietist. Auch der schreitet im schwarzen Rock; denn auch er kommt vom Kirchhofe.

      »Die Meine begraben, Nachbar Martin, die Euere –.«

      »Verrückt,« ergänzt der alte Mann die Rede. »Und Ihre fromme Magd –.« Nun stockt auch er. Dann aber vollendet er mit fester Stimme: »Alles ist Gottes Schickung, mein lieber Herr.«

      Der Arzt ist stehen geblieben. »Gottes Schickung? Das ist schwerlich zu glauben.«

      Der andere ist auch stehen geblieben. Er hat die Hand ans glatte Kinn gelegt und sieht den Arzt mit großen Augen an. Aber er sagt nichts, gar nichts.

      »Wenn solches von dem da droben kommt, dann lös' ich mich heut noch von ihm,« sagt der Arzt.

      Der alte Mann reibt nachdenklich sein Kinn und sieht unverwandt auf den andern: »Das kenn' ich, so hab' ich auch schon gedacht.«

      »Ihr, solch ein frommer Mann?«

      »Jawohl, Herr, ich, ein solcher frommer Mann. Denn auch ich sitze nicht in fester Wasserburg – wie tobende Wogen kommen die Gedanken und schlagen über mir zusammen. Und da könnte es wohl sein, daß ich mich endlich mit klappernden Zähnen lossagte von Gott. Aber –.«

      »Aber –?« fragt der Arzt.

      Der Alte lächelt. »Ich kann ja nimmer los von ihm. Ich bin so fest an ihn gebunden, daß kein Engel und kein Teufel, am wenigsten ich selber mich von ihm zu reißen vermöchte.«

      »So habt Ihr Euch das ausgedacht?«

      »Ausgedacht? O nein, nicht ausgedacht, Herr Doktor. Das ist so geworden und kann gar nimmer anders werden.«

      »Ei wohl, es kann auch anders werden!« ruft der Arzt.

      Tränen rinnen der Magd über die Wangen, als sie auf den Vorplatz geht, dem Herrn zu öffnen.

      Sie steht hinter der Türe; denn sie fürchtet die mitleidigen, neugierigen Augen der Leute. Sie steht ganz hinten in der Dunkelheit.

      Mit schweren, müden Schritten kommt der Doktor die Freitreppe empor, herein in den Hausflur.

      Liebreich dankt er der Magd für ihren Gruß. Seine gütigen Augen blicken sie an. Er streckt ihr die Hand hin: »Gute Klara, gutes, tapferes Mädchen. Immer muß ich dran denken – und kann's gar nicht zu Ende denken.«

      Sie hat ihre harte Hand in die seinige gelegt und sieht ihn vertrauensvoll an, mit kinderfrommem Blick, wie ein Krankes den Arzt.

      Da schießt es ihm heiß in die Augen. Er möchte sich bücken und ihre Hand küssen. Aber das wäre lächerlich. Nur sagen muß er etwas – jawohl, irgend etwas. Und es legt sich mit unbezwinglicher Gewalt auf seine stockende Zunge, und langsam, fast feierlich, sagt er: »Sei getrost, dein Gott ist bei dir.«

      Er wendet sich hastig ab und geht in seine Stube. Er hat die Hände geballt. Wie kann er so schwach sein? Wie kann er sie trösten mit dem, was ihm gerade jetzt im Zwielichte der Vergangenheit wie ein wesenloser Schatten versinken will?

      Je nun, was wäre denn sonst zu sagen gewesen –?

      Sie aber geht langsam über die roten Steine des Vorplatzes in ihre Küche. Sie steht mit gefalteten Händen am vergitterten Fenster, vor dem sich leise die Blätter der Holunderstaude bewegen im Lufthauche des sinkenden Tages. Und sie wiederholt halblaut: »Sei getrost, dein Gott ist bei dir.«

      Dann schlägt sie Feuer.

      Es

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