Скачать книгу

allen Seiten kommen die Bürger, und im Umsehen ist aus dem Trüpplein ein großer, dunkler Haufe geworden.

      Der Doktor weiß, was er will. Es ist über ihn gekommen wie ein Befehl aus der Höhe, und in seinen Ohren summt es: »Burschen heraus!« Sind freilich keine Burschen, diese da. Nun kommt aber auch der dicke Notar. Der ist ja ein Bursche gewesen. Und neben ihm der Kanzleiassessor. Burschen, Ordensmänner! Und da drüben am Eingange zur Bachgasse liegt auch der zerbrochene Wagen mit einem Teil der geraubten Waffen – es muß gelingen.

      Wäre nur nicht jetzt gerade der kleine Direktor vor seine Behausung getreten. Er stelzt heran und hat das hochmütige Gesicht wie vordem in guten Zeiten. Denn die Gefahr ist vorüber, und jetzt will er abrechnen mit denen da. Lottchen ist der gleichen Meinung wie er, und Lottchen steht droben hinter den Gardinen. Das weiß er ganz gut. Darum tritt er auch hocherhobenen Hauptes vor den Haufen und hindert den Doktor am Sprechen. Dürfte nur der Doktor sprechen. So aber muß er doch höflich sein und dem andern den Vortritt lassen.

      Und mit seiner hohen, dünnen Stimme beginnt der Kanzleidirektor: »Da seht ihr nun, Leute, wohin die Unbotmäßigkeit gegen die Obrigkeit, die Rebellion gegen alles, was recht ist, das Jakobinertum, das gottverdammte, führen.«

      Die Bürger haben die Köpfe gehoben und beginnen zu murren. Und einer im Haufen ruft: »Hat man denn auch gestern und heute nacht was gesehen oder gehört von unserer hohen Obrigkeit?«

      Der Direktor ist rot geworden und will etwas sagen. Ein anderer aber fällt ihm in die Rede: »Oder ist's wahr, daß die hohe Obrigkeit gestern am hellichten Tag im Bett gelegen ist?«

      »Mitbürger, Freunde!« ruft nun der Doktor. »Ist es jetzt an der Zeit, daß wir stehen und uns zanken?«

      Etliche murmeln ihm Beifall.

      »Jetzt, wo unsere Häuser noch stinken von den fremden Soldaten?«

      »Stinken, da hat er recht,« ruft einer im Haufen.

      Aber der Direktor gedenkt dem Arzte das Feld nicht zu räumen. Lottchen steht doch am Fenster, und die da sind vom Feinde geduckt. Also jetzt oder nie. Und mit kreischender Stimme beginnt er eine Rede über die Pflichten des gemeinen Mannes und über die Sünden der letzten Tage.

      Die Bürger murren; etliche lachen. Aber die Angst liegt ihnen noch in den Gliedern, sie sind geneigt, sich unter jede Obrigkeit, auch unter die kläglichste, zu fügen. Nur wollen sie ihn nicht reden hören, den feigen Mann. Und so geht einer nach dem andern fort, heim, nach dem Seinen zu sehen.

      Zuletzt sind nur noch wenige beisammen; aber der Direktor läßt sich nicht stören: er fährt weiter in seiner Strafrede.

      Dem Doktor ist zu Mute, als stehe er auf der heißen Asche eines zusammengesunkenen Wachtfeuers. Er sieht die Bürger auseinanderlaufen und ahnt doch, daß sie beisammen bleiben sollten. Er möchte sie allesamt an den zerbrochenen Wagen hinführen und möchte sie bitten, daß sie sich waffnen; denn es ist unsichere Zeit. Aber der Direktor spricht und spricht. Dann wendet er sich und geht befriedigt in seine Behausung.

      Nur ein Häuflein steht noch vor dem Rathause.

      Da – – Hufschlag galoppierender Rosse!

      Vom Bachtor herauf klingt's. Was ist denn? Da klappert's auch schon auf den Markt herein und hallt wider von den Häusern. Chasseurs sind's.

      Woher denn kommen diese Chasseurs? Sie sind doch fortgeritten, die Herren Chasseurs? Sind's Nachzügler?

      Wie die Hühner vor dem Falken sind die Bürger auseinandergestoben, dahin und dorthin. Etliche erreichen ihre Haustüren, die andern werden zu Boden gerissen. Was vermag man gegen die Übermacht? Man kann sich nicht wehren, man kann nicht schreien – Burschen heraus! Man muß sich binden lassen und ist den Teufeln übergeben auf Gnade und Ungnade.

      Des Doktors Knecht hat vom Fenster des ersten Stockes alles mit angesehen. Er rennt auf den Vorplatz hinunter zur Küche. Er reißt die Türe auf und schreit hinein: »Die Franzosen kommen!« Dann rennt er zur hinteren Haustüre hinaus.

      Klara ruft ihm nach. Helfen soll er. Die Frau ist mit den Kindern im Garten. Aber der Knecht hört nicht; er rennt über den Hof in den Stall. Er will auf den Boden klettern, sich verkriechen im Heu und sein kostbares Leben retten vor dem wütenden Feind.

      Da dröhnen auch schon Kolbenstöße an die Haustür, und eine Stimme brüllt auf französisch: »Macht auf, ihr Hunde, die Sauvegarde kommt!«

      Einen Augenblick steht die Magd, als wäre sie vor den Kopf geschlagen, und horcht dorthin, wo sie die Stimme gehört hat. Denn sie kennt diese Stimme.

      Dann aber rast sie aus dem Hause, über den Hof, durch das Pförtchen hinein in den Garten. Sie schlägt die Holztüre zu, sie stößt den Riegel vor die morsche Türe.

      Dort unter dem Bäumchen sitzt die Mutter mit den beiden Kindern. Sie blickt untätig vor sich hin, und die Kinder spielen im Sande.

      Hinter ihnen ragt der hohe, graue Turm. Seine Zinnen sind da und dort abgebrochen wie schlechte Zähne, und Grasbüschel stehen zwischen den Fugen der steinernen Brüstung.

      Schüsse knallen in den Gassen, und wildes Geschrei tönt in den Garten herein.

      Die Doktorin ist aufgesprungen. »Die Franzosen!« keucht die Magd und rafft den Kleinen von der Erde. Die Doktorin steht wie erstarrt, sie bewegt tonlos die weißen Lippen. Dann greift sie an ihr Herz und sinkt zurück auf die Bank.

      »In den Turm!« Die Magd umfaßt die Herrin, zerrt sie auf und mit sich fort, hinein zwischen die Johannisbeerstauden, dem Turme zu.

      Der Knabe auf ihrem Arme beginnt zu schreien. Der größere heult; er hat sich eingekrallt in den Rock der Mutter und läßt sich hinter ihr herschleifen.

      Sie sind am Turme. Die zerbrochene Holztüre hängt halb in den Angeln. »Hinauf!« befiehlt die Magd und zieht und hebt die wankende Frau die steilen Treppen empor.

      Draußen, vor dem Rathause, stehen sie, der Doktor und ihrer fünf oder sechs. Die Hände sind ihnen auf den Rücken gebunden, und mit stieren Augen sehen sie zu, wie die Räuber in ihre Häuser dringen. Sie hören das Krachen der Türen, das Schreien der Weiber, das Kreischen der Kinder, das Bellen der Hunde. Die Stricke schneiden in ihr Fleisch, sie beißen die Zähne in ihre Lippen, ihre Zungen speien Blut. Regungslos müssen sie stehen; denn vor ihnen halten etliche Kerle, stinkend von Schweiß und Schmutz, halten vor ihnen mit gespannten Pistolen und rollenden Augen. Und wie im Spiele setzen sie bald diesem, bald jenem die Mündung auf die Brust: »Taisez-vous, chien allemand!«

      Fünfzig zerlumpte Chasseurs sind's, nicht mehr als fünfzig. Aber ihnen ist das Städtchen übergeben auf Leben und Tod.

      Spute dich, Erbgraf! Laß die Pferde laufen, was sie können! Noch eine Viertelstunde, dann kannst du das Städtchen erreichen mit deiner französischen Schutzwache.

      Spute dich!

      Ach, du weißt ja gar nicht, wie bitter not dein Schutz den Deinen wäre.

      Im schlanken Trab geht's dahin auf der staubigen Straße. Man hat lange genug parliert mit dem Leutnant; jetzt ist das Gespräch verstummt.

      Aber so spute dich doch!

      Da lichtet sich der Wald und jetzt – jetzt –!

      »Hören Sie das Schießen, Herr Leutnant?«

      »Jawohl, mein Herr Graf.«

      »Vorwärts – ich bitte Sie sehr!«

      Wohl sind nun die beiden Frauen hoch droben in dem Gartenturm, in der runden Stube mit den Guckfenstern, aus denen man so weit hinaus zu sehen vermag über die Dächer des Städtleins, hinauf zur Grafenburg, hinunter ins Land. Die Türe zur Stube ist verriegelt. Aber ein kräftiger Knabe vermöchte mit einem Stoße die morschen Bretter zu sprengen. Dort steht ein schwerer Mörser aus der Zeit, wo der Doktor hier oben zuweilen laborierte. An einem Fensterchen aber steht der Tubus, mit dem der Doktor jetzt noch in hellen Nächten droben auf der Plattform des Turmes –

      »Auf die Plattform!« Der Magd ist's

Скачать книгу