Скачать книгу

es wohl sogleich von einem Mitbürger beschaffen.«

      »So gehen Sie. Zuvor aber sperren Sie uns Ihre Schreibstube auf. Ich will die Quittung aufsetzen.« Er wandte sich zum Kommissär: »Die Quittung über die Abfindungssumme können Sie gleich unterschreiben.«

      Da fauchte der Franzose: »Was schreib? Ick nix schreib. Donnez-moi l'argent et baisez -!«

      »Auch recht,« lachte der Handelsmann.

      »Wenn ich das gewußt hätt', daß man so umgehen darf mit einem Franzosen, dann hätt' ich den Ehrhardt auch nicht gebraucht. Aber wer denkt denn an so was?« Also pflegte der lange Schultheiß späterhin mürrisch zu erklären, wenn man beim Weine auf dieses Geschäft zu sprechen kam. Und ganz später, als viel Gras über dieser Geschichte und auch über anderen Geschichten gewachsen war, fügte er dann und wann noch bei: »Das hat ja ein Blinder sehen können – er hat geschmiert sein wollen, der Franzosenhund. Na, und das hab' ich ihm halt auch besorgt.« – Damals aber, an jenem Schreckenstage und noch längere Zeit hernach, war der Schultheiß dem Handelsmann von Herzen dankbar.

      Die Hausglocke ging, und Klara kam unter die Stubentüre, meldete, sie habe den Nachbar Martin durchs Guckloch gesehen.

      »Mach auf!« sagte der Arzt und trat ans Fenster.

      Drüben vor dem Kommissär stand nun der lange Koram mit der roten Mütze auf dem wackeligen Kopfe und mit einem Packen Kleider über dem Arm. Aber Koram fürchtete sich nicht wie der Schultheiß vor dem kleinen Fremden. Er, der Bürger Koram, der gestern mit all den französischen Brüdern auf dem Marktplatze getanzt und getrunken hatte! Und wenn der Kommissär kreischte, dann brüllte Schneider Koram. Es ging um die Hosen, die man bestellt hatte und nicht zu zahlen wünschte – sechs Hosen, die der lange Koram krampfhaft umschlungen hielt.

      Gleichgültig blickte der Arzt hinüber auf den zappelnden, hüpfenden Jakobiner.

      Da pochte es an der Stubentüre, und ein älterer Mann trat herein. Er hatte nur Hemd und Hose am Leibe, blieb wortlos stehen und stierte her.

      »Nachbar Martin – aber was ist Euch, wie seht Ihr denn aus?«

      Da lallte der Mann, seine Zähne schlugen aufeinander, nochmals versuchte er zu sprechen, und stoßweise kam's endlich heraus: »Herr Doktor – mein Weib – geschwind –!« Wieder schlugen seine Zähne aufeinander, und klappernd, als käme er aus kaltem Wasser, vollendete er: »Sechs Franzosen – sind's gewesen – heut' früh.«

      Der Doktor riß eine Flasche vom Schrank und goß ein Gläschen voll: »Da trinkt den Kirschgeist, der wird Euch Kraft geben.«

      Der Nachbar streckte die zitternde Hand abwehrend gegen das Schnapsglas: »Kommen S', Herr Doktor!« Und er zerrte ihn am Ärmel hinaus in den Hausflur, die Freitreppe hinab.

      Die Pferde standen gesattelt, die Chasseurs waren zum Abmarsch bereit. Der Arzt und Nachbar Martin mußten nahe am Rathaus vorüber und drängten sich zwischen Rossen und Reitern und Wagen hindurch.

      Koram stand noch immer vor dem Kommissär, und der Wortkampf war allgemach zum Handgemenge geworden. Koram hielt seine Hosen fest, und ein Soldat zerrte an den Hosenbeinen. Da kreischte der Kommissär. Zwei Soldaten stürzten sich auf den langen Schneider und warfen ihn zu Boden, ein dritter riß ihm die Hosen aus den Armen, und während ihn die andern noch immer festhielten, zog ihm ein Vierter unter Lachen und Schreien die eigene Hose vom Leibe. Dann gab man ihn frei.

      Händeringend stand der Schneider auf seinen nackten, dürren Beinen, er trippelte von einem Fuß auf den andern, und sein Kreischen und Heulen übertönte den Lärm der aufbrechenden Soldateska. Lachend und schreiend begannen die Franzosen um das hohe Wesen zu tanzen und seinen schmalen Rücken mit flachen Klingen zu dreschen.

      Der Arzt und der Nachbar gingen um die Ecke. Der Arzt wußte, daß der Nachbar zu den Stillen im Lande gehörte. Das reizte ihn. »Es ist ein satanisches Unglück, das uns getroffen hat,« begann er, während sie mit eiligen Schritten vorwärts strebten.

      »Gottes Heimsuchung,« antwortete der Nachbar mit dumpfer Stimme.

      Der Arzt zuckte die Achseln. »Gottes Heimsuchung? Das ist schwerlich zu glauben.« Und er ging hinter dem andern ins kleine Haus.

      *

      Die Pferde stehen gesattelt, die Herren Chasseurs warten des Befehls. Gellende Rufe hallen über den Marktplatz, Pferde drehen sich am Zügel im Kreise, Hufe klappern auf dem Pflaster. Die zerschlissenen Reiter sitzen in den Sätteln. Trompeter blasen eine lustige Weise, die Pferde tänzeln, die Chasseurs reiten in langem Zuge hinunter zum Bachtor, hinaus über die hölzerne Brücke.

      Festverschlossen sind die Türen und Fenster in der kleinen Stadt. Nur da und dort lugt ein Kopf hinter dem Vorhang heraus. Öde liegen die Gassen.

      Drunten im Grunde auf Müllers schöner dreimähdiger Wiese sammeln sich die Fußsoldaten. Kommandorufe tönen empor ins Städtchen. Trommeln rasseln. Da und dort rennt noch ein kleiner, zerlumpter Kerl zwischen den Häusern hervor.

      Auf der Ringmauer, im Wehrgange hinter den Gucklöchern, drängen sich Leute und spähen hinaus: armes Volk, das in winzigen, an die uralte Mauer hingepappten Hüttchen sein Wesen treibt.

      Wolkenloser Himmel ist ausgespannt über dem Getümmel der Erde. Dunkelgrün ragen die friedlichen Linden hinter der Stadtmühle im Grunde, ragen die Kastanien draußen an der Heerstraße über des Ochsenwirts Bierkeller. Bepackte Wagen rasseln in langem Zuge von der Brücke zu Tal.

      Schon trotten unter Trommelschlag die Fußsoldaten im Staube dahin. Weit unten im Grunde reiten die Chasseurs. Noch eine kurze Weile, dann zerflattert ihre Musik.

      Das Fußvolk wandert unter Trommelschlag, und die vielen Wagen und Karren rollen im Staub der Straße. Soldaten und Wagen werden kleiner und kleiner. Die Trommeln schweigen. Langsam senkt sich der Staub.

      »Wo ziehen sie hin?« fragt einer von denen auf der Mauer.

      »Gegen den Kaiser,« antwortet ein anderer.

      Gegen den Kaiser. Das ist ihnen ein gleichgültiges Wort; denn der Kaiser wohnt weit von ihnen. Sie haben eine dumpfe Ahnung, daß zahllose Kolonnen dieser Art zur gleichen Zeit in der Morgensonne nach Osten marschieren, sie vermuten, daß es zur Schlacht kommen wird, aber sie wissen, es wird ferne von ihnen sein. Der eine oder der andere gedenkt wohl auch des Kaisers und sieht ihn noch sitzen in der großen Reisekutsche, wie er vor etlichen Jahren durch das Städtchen gerollt ist. Aber was ist ihnen der Kaiser? Mögen die da drunten, die da drüben weithin ziehen gegen den Kaiser. Was ist diesen gräflichen Untertanen der Kaiser?

      *

      Auf dem Marktplatz liegt das zerwühlte Stroh, zwischen dem Stroh glimmen die zusammengesunkenen Kochfeuer, und die Morgenluft trägt den Gestank des verlassenen Lagers in die Fenster, die sich allgemach öffnen. Gefährlich glimmen die Kohlen zwischen dem Stroh. Da kommt ein vorsichtiger Bürger mit der Butte zum Brunnen, füllt sie und trägt auf dem Rücken von Feuerstätte zu Feuerstätte das einzige, was rein geblieben ist in diesen Tagen – das Wasser. Wo eine Kohle glimmt, macht er halt, beugt sich seitwärts und gießt das Wasser in die Glut, daß sie leise zischt und erlischt. Immer wieder kehrt er zum Brunnen zurück und füllt die Butte und geht seinen Weg. –

      Vor dem Rathause stehen nun etliche Bürger. Sie stehen im Kreise, haben die Hände in die Hosentaschen gesteckt und blicken zu Boden.

      Der Schultheiß kommt die Freitreppe vom Rathaus herunter. Sein Gesicht ist grau, und mit heiserer Stimme sagt er den andern sein Gutenmorgen. Wer eine Kappe auf dem Kopfe hat, der hebt die Hand und rückt ein wenig daran. Wer barhäuptig ist, der nickt. Dann stehen sie wieder und schweigen. Und auch der Schultheiß findet kein Wort. Er sieht sich wohl noch knieen vor dem kleinen, schwarzen Kerl da vorn auf dem Pflaster.

      Die rote Mütze aber hat keiner von den Bürgern mehr auf dem Schädel.

      Der Doktor kommt von seinem Hause herüber. Er geht mit hocherhobenem Haupte und machte große Schritte. Sein langer, blonder Bart leuchtet im Morgensonnenscheine. Dort, wo vorgestern der Schneider Koram gestanden ist, steht nun der Doktor, und alle

Скачать книгу