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lispelte sein merci madame, wenn ihm die mitleidige Schneiderin einen labenden Trunk reichte. Der Schneider selbst kam den ganzen Tag nicht heim. Und bis spät in die Nacht hinein sah man seine rote Mütze auf dem Marktplatze. Ja, er und noch drei von den Bürgern tanzten im Knäuel der Fremden um die blaue Flamme des höchsten Wesens und berauschten sich mit dem Branntwein, den man hernach in irdenen Schüsseln kreisen ließ am qualmenden Feuer. Spät erst fand er sein Haus. Lallend blieb er mitten in der Stube stehen. Sein Weib deutete auf zwei Strohsäcke, die im Winkel lagen, und murrte: »So leg dich halt hin und schlaf ihn aus.«

      Aber Koram wollte noch nicht zur Ruhe gehen. Er nahm seine Mütze vom Kopfe, schwenkte sie, torkelte von einem Fuß auf den andern und stieß zornig heraus: »Es ist schändlich, genau weiß ich's jetzt. Lug und Trug ist's, was sie uns gelehrt haben von Kindesbeinen an – nix ist es mit unserer ganzen Religion.«

      »Da kannst du recht haben,« meinte die Koramin.

      »Gelt, du sagst's auch! Ganz genau hab ich's jetzt erfahren. Da ist einer dabei, ein Pfälzer, der hat mir alles haarklein bewiesen. Mich soll aber noch einer von den Pfaffen in der Kirche sehen – gar nix ist's mit unserer ganzen Religion –«

      »Mit deiner Religion, da hast du recht Koram,« bestätigte sie. »Aber jetzt schlaf!«

      Er sah sie mißtrauisch an, als besänne er sich. Dann aber murrte er. Es war ihm nicht recht, daß sie ihm so beistimmte. »Von meiner Religion ist da gar keine Rede, daß du's weißt. Von der ganzen Pfaffenreligion, vom Grafen seiner und von der Gräfin ihrer und von deiner eigenen Religion.«

      »Leg dich nur schlafen!« rief sie und stellte das schwelende Licht auf den Tisch.

      »Ich muß aber doch noch die Hosen zusammenrichten.«

      »Welche Hosen?«

      »No, die vom Stelz Hannes und die vom Schmied Görg und – und – und –«

      »Das hat morgen auch noch Zeit; die werden s' heut nimmer brauchen.«

      »Ach die!« Er torkelte brummend gegen den Schneidertisch. »Die brauchen s' freilich nicht. Rekeriert sind s'– verstehst mich?«

      »Ei, du wirst aber doch nicht die guten, geflickten Hosen –?« Sie schlug die Hände zusammen.

      »Gegen bare Bezahlung –!« lallte er.

      »Du wirst aber doch an deinen Kunden nicht zum Dieb werden wollen, Koram?«

      »Ach was – gegen bare Bezahlung!« Er wurde nun sehr zornig und torkelte auf sie zu. »Wo sind die Hosen?«

      »Geh schlafen!«

      »Auf – der Stell – gibst mir die Hosen oder ich schlag alles kurz und klein.«

      Da erschrak die Frau, denn so hatte er schon öfter im Rausche gehandelt. Und sie ging hinaus in die Schlafkammer und holte die Hosen unter der Bettlade des Franzosen hervor.

      Koram hatte sich auf den Tisch gesetzt und murmelte vor sich hin. Die Frau kam und legte die Hosen neben ihn. Da griff er zu und begann zu zählen – von eins bis fünfe.

      »Sechs Hosen sind's gewesen.«

      »Koram, die eine, die ist ja noch so gut wie neu – die vom Herrn Dekan.«

      »Grad die will ich. Gibst sie gleich 'raus?«

      »Sie gehört dir aber nicht.«

      Da nahm er den irdenen Krug vom Tisch und warf ihn mitten in die Stube. »Gibst sie jetzt 'raus, die Hos'?«

      Zitternd brachte sie die sechste Hose, die gute schwarze Hose des hochwürdigen Herrn Dekan. Und nun torkelte Koram mit den sechs Hosen im Arm zum Strohsack und sank darauf. Das Weib aber suchte die Scherben zusammen.

      *

      Nacht war's. Die Feuer auf dem Marktplatz waren in Asche gesunken.

      Kein Sternlein leuchtete. Nur lautlose Blitze flammten. Aber es kam zu keinem Gewitter, kein Regen löschte den Staub der Straße.

      Wie ein vielhundertfaches Raubtier lag der Feind auf dem Städtlein. Fest saßen die Dächer auf den Häusern, die hohen Schindeldächer auf den alten Häusern, und die Stuben und Kammern waren umschlossen von Wänden und Dielen und Decken. So hörte man nicht viel voneinander. Und das war gut. Konnte sich doch kein Bürger um den andern bekümmern; hatte ein jeder genug zu tragen an eigener Last. Zuweilen drang freilich aus einem dunklen Hause ein dumpfer Schrei. Die Nachbarn hörten ihn. Aber wer getraute sich, dem andern über die Straße zu Hilfe zu kommen? Zu Hilfe? Wer konnte überhaupt helfen in jener lichtlosen Nacht? Die Brüder aus Westen saßen unter den Schindeldächern der deutschen Stadt, und die Brüder aus Westen waren die Herren. –

      In seinem Lehnstuhle ruhte der Arzt. Er wollte wachen die ganze Nacht.

      Anfangs hörte er noch das Schreien und Lachen der Soldateska, das Stampfen der Rosse. Dann senkte sich allmählich die Ruhe herab aus der Tiefe der unermeßlichen Wälder. Da wurden seine Lider schwer, und sein Haupt sank auf die Brust. Etliche Male fuhr er noch auf und lauschte. Dann begann er zu schlafen.

      Ein Uhr schlug's. Da wachte er auf, und das Bild seiner Frau stand in rührender Hilflosigkeit vor seiner Seele. Sehnsucht, sie leise zu küssen, ergriff ihn. Aber das war ja nicht möglich; denn die Magd schlief in der Kammer der Frau. Da stand er auf, schlich an die Verbindungstüre und lauschte. Tiefe Atemzüge der Schlafenden klangen durcheinander. Auf den Fußspitzen kam er an seinen Lehnstuhl zurück.

      Mit gefalteten Händen saß er und starrte ins Dunkle.

      Und es war ihm, als sollte er sich winden in dumpfer Sehnsucht nach einem Schutzherrn. Doch wer war dieser Herr? Wo war dieser Herr? Das wußte er nicht. Er selbst erinnerte sich keines solchen Herrn, seine Eltern hatten ihm auch von keinem erzählt. Aber andere Stämme, andere Völker hatten solche Herren gehabt; aus der Vergangenheit seines eigenen Volkes tönte verworrene Kunde von solchen Herren – in der Tiefe der Geschichte flammte manch ein scharfes Schwert, funkelte manch eine Königskrone, ganz von ferne strahlten sie, gleichwie aus leise zitternden Märchen, herein in eine armselige Gegenwart.

      So träumte dieser Deutsche mit brennenden Augen. So sehnte er sich. Er, der gestern noch die ganze Welt in träumender Sehnsucht umfangen zu müssen – gewähnt hatte.

      Und es ist gewißlich wahr – solche Nächte der Angst haben in zahllose deutsche Herzen die Samenkörner gestreut, die kleinen Samenkörner, aus denen hernachmals die tausend und abertausend mannhaften Gedanken emporwuchsen und der hochauflodernde Wille zur Einheit. –

      Gegen das Ende der schrecklichen Nacht sank er wieder in Schlaf. Und Zeit seines Lebens gedachte er des Traumes, den er nun sah:

      Es war etwas Wüstes geschehen. Er, er allein hatte Kunde davon; denn alle die andern schliefen. Und siehe, er war Student und lag in seiner Stube. Er hatte die hohen, weiten Stiefel an den Beinen, und in der Rechten hielt er den blanken Hieber. Und es war ihm, als läge er mit vielen Schnüren an den Fußboden gefesselt. Aber die Gefahr kam näher, und er mußte empor; denn er allein kannte die Gefahr. Er zerrte an seinen Banden, und sie gaben nach. Er sprang auf und rannte die Treppen hinunter, hinaus in die stille Gasse. Er schwang den Hieber und rief mit gellender Stimme: »Burschen heraus! Burschen heraus!« Er sprang und schrie von Gasse zu Gasse und hörte es wohl, hinter ihm rannten sie aus allen Häusern, schwangen ihre Hieber und schrieen gleich ihm: »Burschen heraus! Burschen heraus!« Und er sprang und schrie vor ihnen her. Dann standen sie alle auf dem Marktplatze vor der Universität. Fackeln glühten, Musik spielte. Sie standen im weiten Kreise, und wie Meeresbranden tönte ihr Gesang zum sternfunkelnden Himmel empor. – Aber wie seltsam, es war nicht das Gaudeamus, das sie sangen, sondern der alte Choral: Nun danket alle Gott –!

      Er fuhr auf und rieb sich die Augen, er dachte nach und fand sich wieder zurecht. Über dem Rathause war der Himmel blutrot gefärbt, und eine Trompete weckte mit Schmettern die Schläfer. Der Tag begann.

      Der Traum versank hinter dem Erwachten. Aber seine Augen blickten zornig hinab auf den Marktplatz, wo sich die kleinen, wüsten Kerle vom Lager erhoben und mit den Fingern das Stroh aus

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