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du, dann sind wir verloren.

      Verloren? Was denn? Die Grafschaft? Das Reich? Ach was – mochte die Grafschaft zu Grunde gehen, mochte das Reich gar zerfallen. Das war's nicht, was ihn quälte. Und doch: wieder und wieder mußte er denken – verloren! Ja um Gottes willen, was denn? Etwas Unbeschreibliches, etwas, das ihm von Minute zu Minute zu höherer Wertschätzung emporwuchs, etwas, das er, der Weltbürger von gestern, sich noch nicht zu nennen getraute mit einem bestimmten, nüchternen Worte.

      Und so kämpfte er mit den Beinfiguren um das Unnennbare. So kämpfte er, ohne es klar zu wissen, in Gedanken um die hart gefährdete deutsche Art.

      Als aber zehn Schläge von der Turmuhr dröhnten über all das Geschrei des Lagers herein in die stille Stube, da sagte sein Gegner mit leiser Stimme verächtlich: »Matt!«

      Der Arzt erhob sich zu seiner ganzen Länge und begann in fließendem Französisch: »Herr Oberst, ich bin der Besiegte. Aber ich erbitte mir nun für ein paar kurze Fragen Ihr Gehör.«

      Der Oberst lehnte sich zurück und sog an seiner Pfeife. »Sie wünschen?«

      Es klang so unsäglich hochmütig, daß der Doktor die Hände ballte.

      »Herr Oberst, ist es Ihnen bekannt, daß man hierzulande die Franzosen als Freunde zu begrüßen geneigt ist?«

      Der Oberst bückte sich, hob den Krug und tat einen tiefen Zug: »Ich und meine Offiziere haben die roten Jakobiner mit Lachen gesehen.«

      »Sie aber, Herr Oberst, Sie behandeln uns zum Dank als Feinde, als Besiegte, die Ihnen auf Gnade und Ungnade unterworfen sind.«

      Der Oberst richtete die glitzernden Augen auf den Arzt: »Mein Herr, ich habe Sie meines Wissens zum Schachspiel eingeladen?«

      »Requiriert,« sagte dieser. »Nun aber bin ich hier, und ich hielte mich für einen Feigling, wenn ich den Mund nicht auftäte für meine armen Mitbürger. Mann gegen Mann, Herr Oberst –!«

      Er hatte seine Stimme erhoben, und der Leutnant im Vorzimmer öffnete die Türe.

      »Man lasse uns allein!« rief der Oberst. »Es hindert mich zwar nichts, Sie sofort in Ketten legen zu lassen, mein Herr –«

      »Nichts als Ihre Ehre, Herr Oberst.«

      »Meine Ehre – wie soll das?« Der Oberst erhob sich.

      »Ihre Ehre, die Ihnen verbietet, sich an einem Wehrlosen zu vergreifen.« Dem Arzte war, als ob sich die enge Stube weitete. Um zwei Köpfe überragte er den Fremden. Und er sah ihn plötzlich in seinem wahren Werte – als den viel kleineren Mann – lediglich ausgerüstet mit der Macht des Zufalls. Und ruhig fuhr er fort: »Die Leute haben von Ihnen die Freiheit erhofft.«

      Der andere erwiderte höflich mit unbewegtem Antlitz. »Und woher vermuten Sie, daß wir uns im Besitze dieses Gutes befinden?«

      Der Arzt hatte das Richtige getroffen: Er stand nun nicht mehr vor dem Machthaber, sondern vor einem im Grunde wohlerzogenen Franzosen.

      »Seit Jahren ertönt der Ruf der Freiheit von Westen über mein Vaterland, Herr Oberst.«

      »Und wissen Sie nicht, mein Herr, daß die Hungrigen am heftigsten nach Brot schreien?«

      »Ja, was wollen Sie uns dann überhaupt bringen, Herr Oberst?«

      »Bringen?« Der Oberst lächelte. »Ich wüßte nicht, mein Herr, was wir Ihnen bringen sollten.«

      Wiederum war dem Arzte das Blut ins Gesicht gestiegen. Er kam sich so kindlich vor diesem Fremden gegenüber: »Ja, warum sind Sie dann über den Rhein gekommen?«

      Zum zweiten Male zitterte das Lächeln um den schmalen Mund des Obersten. »Eine seltsame Frage, mein Herr. Weil ich Soldat bin.«

      »Aber Sie fühlen sich doch als Träger einer besonderen Mission?«

      »Derselben Mission, die den Alexander nach Indien und den Cäsar über die Alpen nach Gallien gehen hieß,« lautete die stolze Antwort.

      »Aber Sie wollen doch den Völkern die Früchte der großen Revolution bringen?«

      Der Franzose kreuzte die Arme. »Und woher wissen Sie, mein Herr, ob wir, ich und meinesgleichen, nicht den ganzen Unrat der Revolution von Herzen zum Teufel und für uns und unsre Truppen die einzige Institution wünschen, die nach meiner Ansicht ein Recht hat im Leben der Völker –?«

      »Und diese wäre?« Der Arzt blickte erregt auf den Franzosen.

      »Das Königtum, mein Herr,« sagte der Fremde mit Lachen. »Aber beliebt's, so gebe ich Ihnen Revanche.«

      »Dann wäre alles, was von da drüben kommt, Phrase, Lüge, Betrug? Dann gäbe es unter unsern Feinden sogar Royalisten?«

      »Im Heere Jourdans gibt es nur Soldaten, mein Herr.«

      Vom Marktplatze tönte wildes Lachen und Schreien. Dann schrillte der Hilferuf eines Weibes durch die Luft.

      Der Arzt sprang ans Fenster und riß es auf. »Herr Oberst, Ihre Soldaten vergreifen sich an einer Wehrlosen!«

      Der Franzose trat neben ihn und sah hinab in den rotqualmenden Dunst. Noch einmal ertönte in der Mitte des Platzes, hinter dem Grafenbrunnen, der Hilferuf.

      »Herr Oberst – im Namen der Menschlichkeit – helfen Sie!«

      Der Franzose wandte sich ab und sagte verächtlich: »Nicht der Rede wert. Das ist der Krieg.«

      »Herr Oberst, ich empfehle mich.«

      »Sie bleiben!« sagte der Oberst. »Man bringe Wein und Tabak!« herrschte er gegen die Türe hin.

      »Ich muß heim, ich weiß ja nun, daß nicht einmal unsre Frauen und Kinder sicher sind vor Ihren Soldaten.«

      »Sie bleiben, mein Herr! In Ihrem Hause liegt eine Schutzwache.« Der Oberst setzte sich an den Spieltisch und nahm die frische Pfeife aus der Hand eines Soldaten. »Noch eine Partie, dann können Sie gehen.«

      Und nun spielte der Arzt mit zusammengepreßten Lippen, mit starren Augen im Scheine der flackernden Kerzen. Und er setzte Zug auf Zug und achtete nicht auf den dritten Schrei, der vom Marktplatze herübergellte. Er spielte, als ob es um sein Leben ginge, und er hatte nur noch den einen, den brennend heißen Gedanken: Siegen über den da drüben und über die da drunten. Und er stellte Figur vor Figur und griff mit solcher Wucht an, daß der andere sein Spiel gar nicht zu entwickeln vermochte. Mit zuckenden Lippen saß der Franzose. Die Pfeife war ihm ausgegangen, mit zitternden Fingern setzte er seine Figuren. Er hatte seine Ruhe verloren. Der Deutsche aber rückte fast im Takte vorwärts. Nach zwanzig Zügen war der Franzose in die Enge getrieben, und nach ein paar weiteren Zügen sagte der Deutsche verächtlich: »Matt!«

      Und nach Jahren noch erzählte er von diesem Spiel mit dem Feinde am Abende des 12. August 1796, und jedesmal fügte er bei: »Es war mir so ruhig, so tröstlich zu Mute. Und ich sah so klar – wir dummen Deutschen können ja doch viel mehr als sie, nur das Vertrauen müssen wir haben.«

      Der Oberst bezwang seinen Verdruß und erhob sich: »Mein Herr, ich danke Ihnen.«

      Von unten herauf ertönte lauter Gesang.

      »Die Leute amüsieren sich,« sagte der Oberst gleichgültig. »Wollen wir zusehen?«

      Schweigend trat der Arzt ans Fenster neben ihn.

      Im weiten Kreise hielten die Soldaten und sangen ein wildes Lied. Mitten im Kreise aber stand ein großes Faß, über dem eine bläuliche Flamme wallte.

      »Sie sehen, wie sich unsere Soldaten die Gottheit vorstellen. Wünschen Sie diese Art des Gottesdienstes in Ihrem Vaterlande? Nur zu! Die Kosten des Kultus sind unbedeutend.«

      »Noch verstehe ich das Ganze nicht,« sagte der Arzt.

      »Der Kessel auf dem Fasse ist mit Schnaps gefüllt, und in den Flammen des brennenden Schnapses verehren die Kerle das höchste Wesen.«

      Der Gesang wurde wilder. Etliche hatten sich

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