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ihm zur Küche begab. Höflich machte der Franzose halt, öffnete die Türe und ließ der Dame den Vortritt.

      Die Küche war finster, als Frau Lotte über die Schwelle schritt; aber vom Ausgusse herüber glühten zwei Augen durch die Dunkelheit, daß sie zusammenschrak. Dann kam der Schwarze mit seiner brennenden Kerze, und sie sah, daß auf dem Ausgusse ein zweiter Soldat hockte. Auf dessen Schulter saß eine Katze.

      »Wir tun Ihnen nichts zuleide,« sagte der Führer. »O nein, wir müssen Sie nur bitten, uns ein wenig Gesellschaft zu leisten.« Er rückte ihr einen Schemel zurecht. »Und machen Sie keinen Lärm, wenn Ihnen an Ihrem Leben gelegen ist.«

      Frau Lotte war sehr bleich, als sie sich niederließ.

      Auf dem Herde, unter dem gähnenden, schwarzen Kamine flackerte das Licht der Talgkerze, und vom Ausgusse herüber funkelten die Augen der Katze.

      Fast unhörbar glitt nun der andere vom Steinborde des Ausgusses und kam mit seiner Katze heran. Es war ein alter, grauköpfiger Mann.

      Der Schwarze schob den Riegel der Küchentüre vor. Da griff Frau Lotte wieder in das Strandgut ihrer feinen Bildung, faltete die Hände und brachte stoßweise hervor: »O monsieur, je vous prie, avez grand pitié!«

      Der Schwarze grinste und sprach: »Haben Sie keine Angst, wir krümmen Ihnen kein Haar.« Dann ließ er sich auf den Boden nieder und lockte die Katze.

      Er saß mit gekreuzten Beinen und gekreuzten Armen, und sein Gesicht war schwach beleuchtet vom flackernden Lichte.

      Die Katze schnurrte und glitt am Leibe des Alten herunter, machte einen hohen Rücken und begann den Schwarzen zu umkreisen. Der schnalzte kaum hörbar mit der Zunge, da stand sie auf seiner Schulter und rieb sich an seinem Ohre.

      Frau Lotte saß regungslos auf ihrem Schemel; sie hatte die Hände in ihr Kleid gekrallt und starrte mit entsetzten Augen auf den Franzosen und seine Katze.

      »Sie müssen sich immer ganz ruhig verhalten,« mahnte nun der Alte auf deutsch und trat seitwärts zwischen sie und seinen Kameraden.

      Frau Lotte hielt den Atem an.

      »Katzen sind kluge Tiere,« sagte er und warf eine kleine Kugel auf den Boden.

      Die Katze ließ sich nicht stören. Sie stand noch immer mit hohem Rücken auf der Schulter des Schwarzen und rieb sich an seinem Ohr.

      Es fiel eine zweite und eine dritte Kugel.

      Mit hohem Rücken stand die Katze, rieb sich und schnurrte.

      Da begannen sich die Kugeln von selber zu bewegen. Mit Grauen sah Frau Latte zu. Sie zog das Kleid an sich und wollte den Schemel wegrücken. Aber der Alte flüsterte drohend: »Rühren Sie sich nicht!« Und die Kugeln begannen zu hüpfen, und der Alte raunte mit dumpfer Stimme die Melodie eines Tanzes. Immer geschwinder bewegten sich die Kugeln, immer wilder klang der raunende Sang.

      Hatte der Schwarze mit der Zunge oder mit den Fingern geschnalzt? Mit den Fingern kaum; denn er hockte noch immer mit gekreuzten Armen. Die Katze aber sprang plötzlich von seiner Schulter und begann im ungewissen Lichte zu spielen mit den tanzenden Kugeln.

      Immer höher hüpften die Kugeln, immer wilder wurde die Katze, und nun bewegten die tanzenden Kugeln und die springende Katze sich von der Mitte der Küche dorthin, wo die zwei dickbauchigen Wasserkannen auf dem niedern Schemel blinkten.

      Noch immer hockte der Schwarze auf den Steinen. Jetzt raunte er: »Bitte, Madame, wollen Sie sich ein wenig wenden!«

      Und unermüdlich summte der Alte, gespenstig hüpften die Kugeln, fast lautlos tanzte und spielte die Katze. Und es war, als ob die Katze die Kugeln mit Bedacht gegen die Wasserkannen lenkte. Zuweilen glitten die Kugeln zur Seite, einmal kamen sie wieder fast bis in die Mitte der Küche zurück. Aber gleich war die Katze hinter ihnen her; und wieder rollten und hüpften sie gegen die Kannen.

      »Katzen sind kluge Tiere,« sagte der Schwarze und sprang auf die Beine. Die Kugeln klapperten tanzend unter dem Schemel, und wie toll tanzte die Katze mit ihnen.

      Frau Lotte saß mit verzerrtem Gesicht.

      »Allez – wir wissen genug!« rief der Schwarze mit gedämpfter Stimme. Da hüpften die Kugeln wie von selbst zurück, dorthin, wo der Alte stand, und sprangen hoch empor an ihm, und er fing sie auf und steckte sie in die Tasche.

      »Wissen Sie, was das zu bedeuten hat?« fragte nun der Schwarze höflich.

      Frau Lotte schwieg.

      »Daß Sie sich ganz ruhig verhalten müssen und auch nachher keinem Menschen ein Sterbenswörtlein davon sagen dürfen, Madame. Haben Sie mich verstanden?«

      Frau Lotte bewegte mit Anstrengung die trockenen Lippen. Sie hatte den Sinn notdürftig verstanden und stöhnte ihr Ja.

      Sie mußte zusehen, wie die Franzosen den Schemel zur Seite rückten, die Steine hoben und das schwere Kistchen mit dem Silberzeug herausholten. Und sie saß regungslos, als die beiden Stück für Stück in den Händen wogen. Nur als sie den Adelsbrief zu unterst hervorzerrten, wollte sie jählings emporspringen. Aber der Schwarze zischte ihr so herrisch entgegen, daß sie kraftlos zurücksank.

      Lange berieten die beiden Franzosen miteinander. Dann äußerte sich der Schwarze: »Madame, wir möchten Sie keineswegs berauben. Denn was fingen wir an mit den schweren Löffeln und Messern? Wir schlagen Ihnen einen ehrlichen Handel vor. Sie behalten Ihr Silber und bezahlen uns – sagen wir zwanzig Louisdor, dann ist Ihnen geholfen und uns.«

      Frau Lotte bewegte die zitternden Lippen. Aber sie brachte zunächst gar nichts heraus.

      Sie stand auf. »Ich werde – den Oberst – holen.«

      Da trat der Schwarze hart vor sie: »Das steht Ihnen frei. Nur lassen Sie sich dann auch eine Wache vors Schlafzimmer legen und beten Sie trotzdem zu Gott und den Heiligen für Ihr Leben. Ich dächte, Sie könnten den Handel annehmen.«

      Frau Lotte ging mit schleppenden Schritten hinaus. Nach kurzer Zeit kam sie wieder und zählte das Gold auf den Hackblock. Mit ernsthaften Gesichtern standen die Franzosen und prüften jedes Stück. Zwei Louisdor fanden keine Gnade vor ihren Augen, und Frau Lotte mußte noch einmal zurück ins Schlafgemach. Dann bekam sie ihr Silberzeug. Der schwarze Franzose aber löste den dicken Wulst von seinem Hals und schob die Goldstücke hinein, wie in eine Geldkatze.

      Es graute ihr; sie packte das Kästchen unter den Arm und entwich. Des Adelsbriefes gedachte sie nicht mehr.

      Der Oberst und der Arzt waren allein. Auf dem Marktplatz drunten brüllte die Soldateska, und der Rauch ihrer Kochfeuer zog sich durch die Ritzen der Fenster.

      Auf dem Tischlein brannten drei Kerzen – rechts vom Schachbrett zwei und links eine.

      Der Arzt hatte einen roten Kopf und starrte auf das Spiel. Der Zorn schüttelte ihn im Innersten seiner Seele, während er äußerlich unbewegt vor dem Brette saß. Zorn und Scham rissen seine Gedanken hin und her, und dabei verfolgte er krampfhaft das Spiel.

      Wo war denn sein Weltbürgertum von gestern? Was hatte er denn noch gemein mit dem dort auf dem Sofa und mit seinen brüllenden Soldaten drunten auf dem Markte? Wo waren denn all die schönen Ideen, die tönenden Phrasen geblieben, an denen er sich seit Jahren berauscht hatte? Sie waren verraucht angesichts der Brutalität der Fremden und der Schmach seiner Volksgenossen. Dafür aber wuchs in dem deutschen Ideologen von Viertelstunde zu Viertelstunde höher empor der gesunde Haß des Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Er begann seine und der Seinen Ohnmacht zu messen an ihrer Übermacht; er begann zu fragen – warum denn das alles, warum und wozu?

      Anfangs hatte er gespielt, weil er mußte. Nun spielte er, um zu gewinnen. Er hatte einen Einsatz gemacht – ganz heimlich, wie Kinder zu tun pflegen. Er hatte sich leise gesagt: Ich stelle die Frage ans Schicksal. Gewinne ich, dann gut. Verliere ich, dann sind wir reif.

      Stundenlang wogte das Spiel hin und her. Längst wußte er, seine Kunst war dem da drüben weit überlegen; aber auch das fühlte er mit jedem Zuge: der andere war kälter als er.

      Vergebens

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