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sagte Frau Lotte und schloß das Fenster, »ich denke, du hast nun deine Schuldigkeit vollauf getan, und es ist das beste, du begibst dich zu Bette. Das übrige geht den Schultheißen an. Dessen Sache und nicht die deine ist es, mit dem Feinde zu verhandeln. Das wäre unter deiner Würde; denn du bist die Regierung – der Schultheiß das Organ.«

      »Zu Bette?« antwortete der Kanzleidirektor verwundert und sah dankbar auf sein treues Weib. »Aber ich sollte vielleicht doch – in meiner Eigenschaft als hochgräflicher – wenigstens für den Notfall präsent sein –?«

      »Blitz, ich verantworte das gegen jedermann,« sagte sie und wischte die tränenden Augen. »Was einer nicht mehr zu tragen vermag, das bringt er zu Bette.«

      »Zu Bette –!« Die Äuglein des Direktors glänzten. »Das wäre am Ende die beste Lösung. Denn was hab' ich davon, wenn mich plötzlich der Schlag trifft?«

      »Es ist die einzige Lösung,« sagte sie mit Bestimmtheit und ging hinaus. Er aber stand mit gefalteten Händen und hörte, wie sie den Mägden befahl: »Sofort die Wärmflasche füllen! Seine Gnaden sind von all den Geschäften und Aufregungen krank geworden und müssen sich zu Bett begeben.«

      Dann kam sie wieder. Und es war ihm zu Mute wie einem Knäblein, als sie nun den Arm in den seinen schob und ihn schrittweise hinaus geleitete. »Hierherein, Lottchen!« sagte er und machte halt am gewohnten Schlafgemache. Sie aber flüsterte: »Nein, Blitz, heute mußt du mit der Gastkammer vorlieb nehmen, da bist du ungestört.« Und gehorsam ging er den Gang hinter, die drei Stufen hinauf, rechts in die dritte Türe. Und es währte nicht lange, dann lag er friedlich mit der weißen Nachtmütze über dem Haupte in den Kissen und harrte der Dinge, die da kommen sollten über das Städtchen und über die Grafschaft, über den Kreis und über das heilige Römische Reich deutscher Nation.

      Und von Zeit zu Zeit sagte er zu Lottchen: »Ich fühle mich doch sehr angegriffen. Und was hab' ich davon, wenn mich plötzlich der Schlag trifft?«

      Sie aber antwortete jedesmal: »Schone dich, Bubele, und erhalte dich der hochgräflichen Herrschaft!«

      5. Die Söhne der Freiheit

       Inhaltsverzeichnis

      Die Franzosen begannen zu requirieren, und sie requirierten, was ihnen gefiel.

      Bei Kanzleidirektors lag der Oberst der Chasseurs im Quartier; der war ein vorzüglicher Schachspieler. Und nach Tisch erkundigte er sich bei Frau Lotte, ob ein Schachspieler im Städtchen wäre. Da nannte sie diensteifrig den Arzt, und der Oberst requirierte den Arzt, daß er spiele mit ihm.

      Es war Abend. Der Direktor lag noch immer in der Gaststube seines eigenen Hauses zu Bette, und neben ihm saß Frau Lotte.

      Wie vordem hingen an der Wand der Wohnstube im Bilde die Männer und Frauen des Geschlechtes Blitz von Wolkenfels. Aber auf dem Tische vor dem achtbeinigen Sofa stand nicht mehr das feine Porzellan des gemütlichen Nachmittagkaffees, kein Silberschatz blinkte aus dem Glaskasten in der Ecke.

      Gelb und hager saß der Oberst der Chasseurs auf dem Sofa, dampfte aus seiner Tonpfeife, bückte sich von Zeit zu Zeit und hob den Weinkrug vom Boden, hielt ihn andächtig an die Lippen und trank in vollen Zügen. Ihm gegenüber saß der Arzt, und zwischen den beiden, auf dem zierlichen Tische, stand das Schachbrett mit den kämpfenden Figuren. Vom Marktplatze herauf tönte der Lärm des Feldlagers.

      Der Doktor saß mit grimmigem Gesicht. Er verwünschte seine Kunst, die ihn von Weib und Kind entfernt hielt, und spielte doch mit der Anteilnahme des Künstlers; er verwünschte seine Sprachkenntnis und antwortete doch dem Feind in den gewähltesten Wendungen. Er fühlte sich willenlos gefangen und dem Menschen da drüben auf dem Sofa ausgeliefert zu Gnaden und Ungnaden. Solche persönliche Ohnmacht aber hatte er in seinem Leben noch niemals empfunden.

      Es war kein ruhiges Spiel. Nicht fünf Minuten saßen sie ungestört. Im Hause des Kanzleidirektors hatten die Soldaten eine vorläufige Regierung eingesetzt, und der Oberst war der Regent. Alles was sich in diesen Stunden Wichtiges ereignete, fand seine Entscheidung am Schachbrett. Und der jammervolle Ernst des feindlichen Einfalles kam in einer schier endlosen Reihe von Spiegelbildern zur Kenntnis dessen, der zum Schachspiel an dieses Tischlein gebannt war.

      Der Oberst hatte die Türe im Auge, der Arzt aber wandte ihr auf seinem Stuhle den Rücken. Und so traf der Oberst sitzend mit kurz herausgestoßenen Worten von Fall zu Fall die Entscheidung.

      Nur einmal hatte der Arzt versucht, in eine Verhandlung einzugreifen. Da hatte ihn der Oberst mit verwunderten Augen gemessen und hatte gebieterisch auf das Schachbrett gedeutet. Der Doktor hatte die Zähne aufeinandergebissen und fortan geschwiegen. Was wollte er wider die Gewalt, er, der zum Schachspiel requiriert war, wie Nachbar Jakobs Kühe zum Schlachten?

      So saß er, wandte sich nicht mehr und hörte nur die wohlbekannten Stimmen der Mitbürger angstvoll hinter seinem Rücken mit dem Gewalthaber verhandeln.

      Der Schultheiß kam mit drei Ratsherren und zählte an den Fingern alle Unmöglichkeiten auf: Dreihundert Pferde gäbe es nicht auf zehn Meilen im Umkreis; zwölfhundert Paar Stiefel könne man nicht von heute auf morgen beschaffen. Der Dolmetsch gab mit eintöniger Stimme die angstvollen Einwände auf französisch wieder, und mit unbewegter Stimme sagte der Oberst zum Arzt: »Gardez votre reine! Dann aber fügte er wie beiläufig hinzu: »Geht mich nichts an, ist Sache des Kommissärs.« Mit eintöniger Stimme übersetzte der Dolmetsch die abweisenden Worte des Gewalthabers ins Deutsche. Der Arzt aber saß und hörte, wie hinter ihm der Schultheiß mit Wucht in die Knie sank und wie auch die andern sich schwerfällig niederließen und um Gnade winselten. Da schlug ihm die Schamröte ins Gesicht, da konnte er sich nicht mehr halten und sagte mit bebender Stimme: »Sie hören ja doch, mein Herr Oberst, es ist eine Unmöglichkeit!« Mit unbewegtem Antlitz warf der Oberst die französische Antwort hin, und der Dolmetsch übertrug sie sogleich zu Nutz und Frommen aller, die in der Stube waren: »Wir sind die Herren, und wir können requirieren, was wir wollen: einen Schachspieler, dreihundert Pferde, zwölfhundert Paar Schuhe, zweitausend Brotlaibe oder ein halbes Hundert Jungfrauen. Seien Sie froh, daß ich menschlich bin und auf das Menschenfleisch verzichte.« Und während die Ratsherren mit schleppenden Schritten aus der Stube gingen, setzte er eine Figur, die den Doktor hart bedrängte.

      Der Doktor saß und spielte. Und hinter ihm blieb die Türe keine fünf Minuten im Schlosse: Offiziere kamen und erstatteten Rapporte, Bürger kamen und jammerten, baten und flehten. Der Dolmetsch übersetzte hinüber und herüber, und der Oberst entschied. Und der scharfe Blick des Arztes erkannte die Freude gar wohl, die sich hinter dem regungslosen Gesichte des Fremden verbarg – die Freude am Quälen.

      Es war dunkel geworden.

      Etliche von den Franzosen aber besaßen Katzen, große, kluge Katzen mit absonderlichen Schwänzen; so dicke Katzenschwänze hatte man noch niemals im Städtchen gesehen. Diese Katzen hockten beim Marsche auf den Schultern ihrer Herren oder auf ihren Tornistern, und im Quartier taten die Franzosen nichts lieber als spielen mit ihren Katzen. Und manche von den Soldaten hatten auch zierliche Kugelspiele in den Taschen, Holzkugeln von verschiedenen Farben. Und wie die einen so gerne spielten mit ihren Katzen, so spielten die andern mit ihren Kugeln – und je zuweilen taten sie sich zusammen und spielten mit Katzen und Kugeln.

      Und es begann den Leuten zu grauen vor diesen Katzen mit den dicken Schwänzen und den großen, funkelnden Augen und vor diesen Zauberkugeln, die allemal dorthin rollten, wo man sie durchaus nicht zu sehen gewünscht hätte. –

      Es pochte an der Türe des Gastzimmers, und Frau Lotte erschien auf der Schwelle. Ein Soldat stand vor ihr, hielt einen Leuchter mit brennender Kerze und lächelte höflich. Ein blutjunger, schwarzhaariger Geselle mit einem dicken Wulst um den Hals. Sie aber legte den Finger auf den Mund, spitzte die Lippen und flüsterte: »O pardonnez, mon épous il est très malade.« Und es klang ganz anders als damals, wo sie zu den Räten gesagt hatte: »Schonend, meine Herren, schonend, ich bitte Sie!« Der Fremde nickte und lächelte höflich: »O sehr gut, Sie sprechen französisch.« Und er zwirbelte sein Bärtchen. Dann

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