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seine Wohnung, bis er in einer Schublade zu hinterst eine Reiterpistole fand. »Aber ich bitte dich, Pieperich, laß mich doch das rostige Ding putzen. Was müssen sonst die Franzosen von einer deutschen Hausfrau denken?« bat seine Eheliebste. »So putze sie,« äußerte sich Pieperich gelassen. »Madame, du vin!« schrie einer draußen und stieß etwas ganz Hartes mit Nachdruck auf die Dielen. »Nun sind sie schon wieder fertig mit dem vollen Krug,« jammerte Frau Pieperich. »Gib ihnen, sind brave Knaben,« sagte Pieperich mit Würde. Und während die Frau in den Keller eilte, ergriff er die Waffe so wie sie war, schritt hinaus auf den Markt und opferte sie am Altare der Freiheit. Verächtlich riß ihm der Kapitän die Pistole aus der Hand und begann mit kreischender Stimme zu schelten. Und wie ein Schulknabe stand der Bürger Pieperich vor dem kleinen Franzmann mit dem dunkelroten Gesicht, der immerfort seine flache Hand auf die Pistole schlug. Und jetzt erst bemerkte der gelehrte Herr, daß der unglückseligen Pistole der Hahn fehlte. Da nahm er sein Französisch zusammen und begann sich stotternd zu entschuldigen. Trotz aller Demut aber konnte er dem Wütenden nicht überzeugend zu Gemüte führen, daß es ihm gänzlich fern liege, die französische Republik zu beleidigen. Und betrübt trollte er um die Kirche zu seiner Behausung.

      Dort vor der Türe, über der die schönen Worte standen artibus et litteris, hielt jetzt eine große Reisekutsche, und auf dem Bock neben dem Kutscher saß ein grimmiger Soldat mit einem Gewehr im Arm. Aber es war kein Franzose, sondern ein Preuße. Da ging dem Studienlehrer Pieperich eine Ahnung auf, und mit gesenktem Kopfe schlich er die Treppe zum Vorplatz empor.

      »Aber Frau Mama, wie kommen Sie heute zu uns?«

      »Wie du siehst, zu Wagen, lieber Pieps.« Die gebietende Dame stand hochgeschürzt im schweren Reisemantel mit der pelzgefütterten Haube auf dem Kopfe, und ihre Füße staken trotz der Hitze in Pelzstiefeln.

      Pieperich bekam einen roten Kopf. Denn das mochte er von der Welt nicht leiden, wenn ihn seine Schwiegermama schlechthin Pieps nannte.

      »Also nur geschwinde, lieber Pieps, ihr Kinder kommt zu uns, solange die Unordnung bei euch währt. Das Notwendigste wird in einer Viertelstunde gepackt sein.«

      »Und wer bleibt dann in unserer Wohnung?«

      »Auch dafür ist gesorgt,« sagte die Königlich preußische Oberamtmännin, und auf der Schwelle der Küche erschien die kleine verhutzelte Gestalt der wohlbekannten Oberamtmannsköchin. Hinter ihr aber der sechs Schuh lange Bediente des Oberamtmannes.

      »Genügt diese Besatzung?« fragte die Gestrenge triumphierend.

      »Und woher wissen Sie denn, ob ich will?« versuchte sich Pieperich aufzulehnen.

      »Ei was, du willst nicht, Pieps?«

      Aus der Türe der Wohnstube kam des Studienlehrers Eheliebste. »O gelt, du machst uns weiter keine Schwierigkeiten? Die Eltern haben wahrhaftig alles ganz vortrefflich geordnet; auf preußischem Boden können wir das Unwetter wohlgeborgen abwarten.«

      »Ja wenn sich nun aber hier alles zur Freiheit entwickelt, und ich bin nicht dabei?« Pieperich machte ein Gesicht, als wollte er heulen. Da nahm ihn seine Schwiegermutter am einen Arm, seine Gattin ergriff den andern, und so zogen sie ihn selbander in die Wohnstube. Und wie im Traume holte er das Notwendigste herbei. Aber als sich die Frau Oberamtmännin weigerte, einen dicken Folianten in den Koffer aufzunehmen, da machte er ein sehr grimmiges Gesicht und erklärte diesen Folianten für einfach unentbehrlich. Er hatte diesmal die Genugtuung, daß sein Wille durchdrang. Und grimmig, aber unhörbar murmelte er: »Diese Weiber! Man zeige ihnen nur die Zähne, dann geht's schon.«

      »Wenn aber die Franzosen am Ende alles kurz und klein schlagen? O meine schönen Möbel!« begann plötzlich die Studienlehrerin zu klagen und setzte sich, überwältigt von dieser Vorstellung, aufs Sofa.

      »Wenn sie das tun, dann kann der Pieps sie auch nicht dran hindern,« entschied die Mama.

      Und ehe eine Stunde vergangen war, rollte der ungeheuere Oberamtmannswagen aus dem Tore. Hintenauf war der Koffer mit dem Notwendigsten geschnallt, vorne saß der Königlich preußische Soldat, und drinnen faltete die Gestrenge umständlich und würdevoll den Reisepaß zusammen, den der Franzose unterm Tor so ehrerbietig beguckt hatte. Umschwebt vom Geiste des großen seligen Fritz rollte der Wagen dem Auslande zu, das, eine kurze Fahrt entfernt, in Gestalt eines ansbachischen Marktfleckens, eingekeilt zwischen bischöflichem Gebiet, eine sichere Zuflucht in der Wüste zu bieten vermochte.

      Jourdan Pieperich aber schrie während seiner ersten Reise, als ob er zu Menschenfressern müßte.

      *

      Es gab übrigens nicht nur verrostete Hellebarden und hahnlose Pistolen im Städtchen. Von allen Seiten schleppten die Bürger herbei, was sie nur immer an Waffen besaßen, und bald lagen die Schwerter und Degen, die Gewehre und Flinten in Haufen neben uralten Streithämmern und Morgensternen, Beinschienen und Lederkollern, Krebsen und Sturmhauben. Und wenn später die Bürger beim Biere von ihren Erlebnissen erzählten, dann konnte man oft hören: die Weiber waren hinter uns her und gaben keine Ruhe, bis all die gefährlichen Waffen aus den Häusern entfernt waren.

      Gerade als wenn sie geglaubt hätten, die Pistolen könnten von selber losgehen und die alten Hämmer und Schwerter könnten sich selber schwingen fürs heilige Römische Reich deutscher Nation. Die törichten Weiber! Weil die frechen kleinen Fremden mit Trommelschlag unter Androhung des Todes die Waffen verlangten, deshalb entwaffneten die Weiber mit eigenen Händen ihre Männer. Noch war ja sonnenheller Tag, aber auch auf diesen Tag folgte eine Nacht, und der vergoldete Zeiger da droben an der Pfarruhr war noch keine zwölf Stunden weitergelaufen, da hätte manch eine ihrem Manne eine Waffe, nur irgendeine Waffe in die Faust gewünscht. Aber die Waffen lagen wohlverschlossen in der großen Halle hinterm Rathause bei Feuereimern und Feuerleitern, wohlverschlossen und wohlbewacht.

      »Gib alles her, alles!« drängte auch Frau Lotte Blitz den Gemahl, und mit zitternden Händen brachte der hochedle Herr Stück um Stück seiner unerhört schönen Waffensammlung. Stück auf Stück packte Frau Lotte mit zitternden Händen in die großen Waschkörbe, und dreimal trug der Kanzleidiener mit seinem Weib die Last zum Rathaus hinüber.

      Mit gefalteten Händen standen die Eheleute am Fenster und spähten auf den blinkenden Haufen der Waffen. Und es war zurzeit noch still in dem weiten Hause des hochgräflichen Kanzleidirektors; nur ein Wachtposten ging gemessenen Schrittes auf und ab unter den Fenstern – auf und ab wie das unentrinnbare Schicksal.

      Der Oberst der Chasseurs hatte dieses Quartier für sich belegt. Aus der Küche drangen alle Wohlgerüche eines reichen Mahles und erfüllten das Haus. Jeden Augenblick mußte der Gast die Treppe heraufrasseln.

      Flüsternd, mit zitternden Lippen, sagte der Kanzleidirektor: »Wenn mich nicht alles trügt, dann bin ich der gefährdetste Mann im Städtchen; denn der Vornehmste bin ich ohne Zweifel. Und ich fürchte, Lottchen, du wirst sehen, ich muß meine Treue gegen die hochgräflichen Herrschaften unter Folterqualen mit dem Tode besiegeln – genau wie der Schultheiß im dreißigjährigen Krieg, von dem uns in friedlichen Zeiten die Chronik so erbaulich berichtet hat.«

      »Ach Gott, wir leben doch nicht mehr im dreißigjährigen Kriege,« seufzte Lottchen. »Aber Blitz,« rief sie auf einmal, und ihre Augen öffneten sich weit, »du hast ja deinen Degen zurückbehalten –?«

      »Liebes Lottchen,« – er wandte sich nicht nach der Seite, wo der Degen in der Ecke stand – »sei doch vernünftig, es ist der Ehrendegen, den mir Seine hochgräfliche Exzellenz – du weißt ja – und man kann gewiß keinen Menschen damit umbringen; denn er ist stumpf wie ein spanisches Rohr. Aber das Gefäß ist aus Silber und gut vergoldet und mit unserm allerdings damals noch bürgerlichen Wappen geziert. Tu mir den Gefallen und verstecke das schöne Stück wie die schreckliche Urkunde.«

      »Blitz!« Frau Lotte hatte den Degen aus der Ecke geholt und hielt ihn mit zitternden Händen weit ab von ihrem Leibe. »Willst du dich und mich ins Unglück bringen?« Sie riß das Fenster auf und rief den Leuten zu, die soeben mit ihrem leeren Korbe zurückkamen, warf ihnen den Degen in den Korb und befahl mit kreischender Stimme, sie sollten auch das letzte Stück zum Rathaus tragen. Und mit gefalteten Händen sahen

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