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froh bin ich, daß wir die Weiber und die Kinder heimgeschickt haben.«

      »Nachbarn, seid still,« tröstete ein Dritter, »alles wird gut werden. Die stehen unterm Schurdang und bringen uns –«

      Der Koram wischte gerade vorüber und hatte die letzten Worte gehört: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!« rief er und schwenkte die Mütze.

      »Wie eine Herde Rindvieh kommen sie gezogen,« flüsterte ein Vierter.

      So standen sie und sahen der brüllenden Staubwolke entgegen.

      Seefahrende Leute erzählen, daß auf manchen Inseln des Weltmeeres die Vögel in dichten Scharen sitzen und neugierig zusehen, wenn das Raubtier Mensch ans öde Ufer steigt. Also hatten sich auch diese deutschen Spießbürger zu beiden Seiten der Straße aufgepflanzt und warteten, als gälte es, die Rückkehr ihrer Brüder aus Schlacht und Sieg zu feiern. Aber sie schwiegen jetzt, und es war, wie wenn sich ein unfaßbares Grauen unhörbar einherschöbe vor der wandernden Wolke. Nur der Schmied, der junge, starke, mit dem einen Auge, rief, als die ersten Gestalten sichtbar wurden: »Potz Blitz, sind das Soldaten oder sind's Zigeuner?« Jetzt waren sie aber auch schon da, nicht mehr eine Wolke, sondern eine tosende Schmutzwoge, und rissen mit sich fort die gaffenden Bürger.

      Alles war wider Erwarten gekommen, keiner hatte vivat rufen können, und auch die Kränze aus Eichenlaub hatten sie nicht auf die Bajonette zu stecken vermocht. Kränze auf diese Bajonette, das wäre auch zum Lachen gewesen. An den Gewehrläufen hingen zerrissene Stiefel, und barfuß patschten ihre Träger im Staube. Auf den Spitzen der Bajonette aber staken Schinken und Stücke rohen Fleisches, von Staubkrusten überzogen.

      Der Stadtschreiber Martin hat hernach das Wichtigste in seine Chronik geschrieben, in das dünne Quartheft, das jetzt im Gewölbe liegt zur linken Hand am Fenster in dem braunen, geschnitzten Kasten:

      »Vor allem haben mich erbarmet gestohlene Hunde, die sie an Stricken mit sich führten, arme durstige Hunde, denen die Zunge aus dem Maule hing und das Heimweh aus den triefenden Augen guckte, Köter, die in Reih und Glied fortgezerrt wurden, mit Staub bedeckt und mit geronnenem Blute von Tritten und Stößen und Stichen. Verzeih mir's Gott, sie haben mich noch mehr erbarmt als die kleinen Kinder, die auf den Troßwägen bei den schmutzigen Weibern lagen.«

      So schrieb der Schreiber Martin von den gestohlenen Hunden der Franzosen; denn er war ein richtiger Deutscher. –

      Wie im Traume trollten die Bürger mit den schreienden Soldaten zu Tale. Auf jeden Deutschen schrieen drei, vier Franzosen ein, und ratlos trollten die Bürger, schämten sich ihrer Dummheit und schluckten Staub. Die meisten von ihnen ragten hoch über die zappelnden Kerle hinaus, und wie eine wandernde Hopfenstange zwischen Weinbergspfählen war der Schneider Koram mit der roten Mütze anzusehen. Da zerrte ihn einer der Soldaten am Rocke, und eine gellende Stimme rief an ihm auf deutsch empor: »Landsmann, trag du's!« Im Laufen hakte einer seinen Tornister aus; diensteifrig bückte sich der Jakobiner und wollte das schwere Bündel auf seinen Rücken schnallen. Aber die Riemen waren viel zu kurz. Also hielt er den Tornister mit beiden Händen an den Riemen fest. Und sogleich hatten alle die braven Bürger solch einen schmutzigen Packen auf dem Buckel und trotteten wie Lastesel im schreienden Haufen zu Tale.

      Das war doch auch ganz in der Ordnung. Die Gäste brachten die Freiheit, da konnte man schon ein Übriges tun.

      Wo sie nur die Freiheit verborgen hatten? Irgendwo mußte sie sein. Vielleicht auf den erbärmlichen Karren, die hinterdrein rasselten? Auf den Karren, hinter deren Tüchern die Weiber mit den frechen Augen hervorguckten, die Weiber mit den plärrenden Kindern?

      Es war vieles gar sonderbar an diesen Franzosen. Aber eines mußte doch wahr sein – sie hatten die Freiheit bei sich. Wartet nur, sie werden schon ihre Tornister aufmachen zur rechten Zeit. In den Tornistern muß die Freiheit stecken. Kein Zweifel. Oder in den seltsamen dicken Wülsten, die manche von ihnen um die Hälse geschlungen haben. Was sollte sonst in diesen Wülsten sein?

      Und die guten Bürger trollten mit ihren Packen zu Tale, und es war ihnen doch heimlich zu Mute wie Kindern vor Weihnachten – irgend eine Überraschung mußte es geben.

      *

      Chasseurs waren auch noch dazu gekommen. Eine Stunde nach den Fußsoldaten. Und wenn die schmutzigen Fußsoldaten zum Fürchten ausgesehen hatten, so waren diese zerlumpten Reiter ein grausiger Anblick für den erschrockenen Bürger. Fast aber hätte es nun noch grimmigen Streit gegeben zwischen den Söhnen der Freiheit zu Fuß und denen zu Roß. Da schlug ein Teil der Fußsoldaten vor dem Bachtor drunten ein kleines Lager, die Chasseurs und der Rest der Infanterie aber blieben in den Bürgerquartieren.

      Auf dem Marktplatze standen in Reihen die Pferde, stampften und wehrten sich der Bremsen und fraßen gierig den gelben Hafer, den man aufgeschüttet hatte. Rund um den Grafenbrunnen qualmten die Feuer und sandten ihren Rauch zum blauen Himmel empor. Soldaten und Frauensleute sotten und brieten und schrieen wild durcheinander. Da lag einer in Hemd und Hose auf dem Rücken, und ein Heubündel war seines Hauptes Pfühl; selbstzufrieden streckte er alle Viere von sich und blinzelte hinauf in die rauchige Luft. Dort saßen etliche in schwarzgrauen, durchlöcherten Hemden und flickten ihre Hosen und schrieen. Ringsumher an den Häusern waren die Fenster offen, und ringsumher klang Lärmen und Schreien, Fluchen und Singen aus den Stuben. Vor den Haustüren, auf den Steinbänken saßen sie zu dritt und zu sechst, hatten Kübel vor sich und wuschen ihre zerschundenen Füße, lachten und schrieen. Reiter sprengten durch die Gassen, Bürger rannten mit verstörten Gesichtern dahin und dorthin. Halbwüchsige Buben trieben sich neugierig und sorglos zwischen den Rossen und Lagernden umher, wurden dahin und dorthin gerufen, schleppten Heubündel und Kübel mit Wasser.

      In einem schmalen, dreistöckigen Hause stand ein Chasseur am offenen Fenster des obersten Stockwerkes, beugte sich weit hinaus und schrie seinen Kameraden zu, er habe gut Quartier. Und johlend antworteten sie ihm von unten, und ihrer etliche stürmten gegen die verschlossene Haustüre und hieben mit Gewehrkolben und Säbelkörben auf die Füllung. Lachend ging der droben zurück in die Stube. Aus allen Fenstern der Nachbarschaft guckten gebräunte, wilde Gesichter. Der Chasseur kam wieder ans Fenster und warf einen Brotlaib hinunter. Geschickt fing ihn einer mit der Spitze seines Säbels auf, und die andern brüllten ihm Beifall. Nun ließ der droben an einer Schnur ein großes Stück Fleisch herunter. Es bewegte sich im Kreise über einem hüpfenden Haufen und kam langsam in greifbare Nähe. Zehn, zwanzig Hände streckten sich dem fetten Brocken entgegen, zwei Hände packten ihn, und ein Dutzend Kerle lagen balgend auf dem Pflaster. Da tauchte droben am Fenster unter der roten Mütze der Freiheit ein zorniges Gesicht auf, und der arme Hausvater begann mit dem mildtätigen Soldaten um eine volle Flasche zu ringen. Aber der Gast war stärker und stieß mit Hohnlachen den Wirt zurück, band die Schnur um den Hals der Flasche und ließ sie herunter. Abermals streckten sich die gierigen Hände aus, und wieder lagen die Söhne der Freiheit zu Dutzenden zappelnd im Knäuel auf dem Pflaster. Einer hielt die Flasche hoch und ein anderer wollte sie ihm keuchend entreißen. Da warf jener die Flasche im Bogen hinaus über den Knäuel, daß sie mit Klirren zerschellte.

      *

      Kurz vor Mittag war's. Da ging ein Trommler durch die Gassen, ging um den Marktplatz und endlich hinunter zum Tore, und ein Soldat mit einem großen Stück Papier in der Hand folgte ihm. Der Soldat aber war ein Deutscher, und gut deutsch hörte sich an, was er mit schreiender Stimme verlas. Beide waren noch nicht beim Bachtor angekommen, da öffneten sich schon hier und dort die Haustüren, Männer und Weiber traten heraus und strebten nach dem Platze vor dem Rathause. Demütig kamen die guten Bürger und brachten den französischen Offizieren, was man ihnen zu bringen befohlen hatte.

      Die Fremden wollten Ordnung haben – wer konnte ihnen das verdenken? Scharfe, spitzige Gegenstände oder gar solche, die gelegentlich losgehen konnten, gefährliche Werkzeuge der Art gehörten nicht in die Hände der Unmündigen.

      »Ordnung muß sein, ich verstehe das wohl,« sagte Meister Koram und nahm die verrostete Hellebarde, die von einem Urahn her im Winkel auf dem Speicher lehnte, schulterte sie, schritt würdevoll, der allerersten einer, quer über den Marktplatz und legte seine Waffe auf das Pflaster. Und er freute sich, als die guten Franzosen so herzlich lachten über ihn und seine rote

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