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      »Jourdan ist doch der oberste Befehlshaber?«

      »Und unabhängig vom Feldherrn ziehen die Schakale mit in den Krieg. Und die Schakale sind eben das Kommissariat. Kennst du den Voltaireschen Witz?«

      Der Doktor schluckte: »Dann sind wir also seit gestern der Plünderung preisgegeben?«

      »Du kennst den Witz nicht? Voltaire sollte einst in Gesellschaft eine Räubergeschichte erzählen. Irgend eine Räubergeschichte. Da hub er an: ›Meine Herren und Damen, es war einmal ein Generalpächter – meine Herren und Damen, erlassen Sie mir den Rest. –‹ Und was damals der Generalpächter aller Steuern war, das ist jetzt mutatis mutandis das Generalkommissariat.«

      Der Graf stand inmitten der Stube. »Ich bin genau unterrichtet durch diesen Brief meiner Frau. Man hat die dummen Deutschen auf echt französische Weise über den Löffel balbiert. Wir werden dem Kommissariate völlig ausgeliefert sein. Das Kommissariat wird uns mit seinen Commis, Ordonnateurs, Reçeveurs, Secretairs überschwemmen, und die Soldateska, angewiesen auf die Tätigkeit dieser Bande, hat nichts andres zu tun, als ihr beim Geschäfte des Aussaugens mit der Waffe den Rücken zu decken.«

      Der Arzt stand mit geballten Fäusten. Keuchend brachte er hervor: »Da wäre doch besser, in die Hände von Straßenräubern zu fallen!«

      Der Erbgraf nickte. »Die schließen wenigstens keine Scheinverträge ab, sondern greifen ehrlich zu.«

      »Was aber kann uns nun schützen?«

      Der Graf antwortete: »Die Sauve-Garde, und sonst nichts. Dazu aber ist Geld nötig, lieber Doktor. Also Geld her, und die Ideologie in die Hosentasche gesteckt für bessere Zeiten! Gegen den Willen meines Vaters reite ich nun nach Nürnberg und mache mit Hilfe meiner Frau die Zwanzigtausend flüssig, über die wir das Verfügungsrecht haben –«

      »Die wolltest du doch einst zu eurer großen Reise verwenden?« unterbrach ihn der Arzt.

      »Ich will ja reisen, aber nach Nürnberg,« lachte der Erbgraf. »Und in Nürnberg kaufe ich mir Soldaten –«

      »Ob die Nürnberger solche im Überfluß haben?« warf der Arzt ein.

      Der Graf schlug sich auf den Schenkel. »Nürnberger Stadtsoldaten? Vielleicht Jägergardisten von der Qualität der hochgräflichen hier? Doktor, bist du wirklich solch ein Ideolog? Eine starke Schutzwache von französischen Soldaten – nichts anderes! Mit diesen kann ich, wenn's gut geht, in dreißig Stunden zurück sein. Und ich wette, der Alte droben im Schlosse späht Tag und Nacht aus einer Schießscharte, bis er uns traben sieht – um seinet- und um euretwillen.«

      »Um unsertwillen?« Der Arzt sah ihn zweifelnd an.

      Da lachte der Graf: »Lehr du mich meinen Vater kennen. Tausend Jahre sitzen wir nun da droben auf dem Felsen und haben Leid und Freud geteilt mit denen da drunten, und du glaubst wirklich, daß wir das alte Nest im Stich lassen – einem Schneider Koram und einem Pieperich zu Liebe? Aber weißt du, wie mir nun zu Mute ist? Wie einer katholischen Fischotter am Freitag.«

      »Nicht Fisch und nicht Fleisch, wie?«

      Der Graf nickte. »Es ist mir nicht zum Lachen, darfst es glauben. Ich sehe mit klaren Augen vorwärts, ich weiß, es muß sich manches ändern, und fühle doch seit der Revolutionskomödie von heute abend, wie mich tausend Wurzeln im alten Erdreich festhalten. Ich weiß, ich werde ihrer viele herausreißen – aber wer sagt mir, was ich dann bin? Nur wenige Geschöpfe können aus ihrer Haut fahren – und dann schält sich aus der alten Hülle doch immer wieder, zwar eine bessere und schönere, in Wahrheit aber ganz dieselbe Haut. Der Mensch kann nicht einmal dies, und wenn er sich noch so sehr plagt.«

      »Armer Freund!« sagte der Arzt. »Es ist mir oft, als hätte unsre Zeit die Wehen –«

      »und könne doch nur ein totes Kindlein gebären,« vollendete der Graf.

      »Du aber bist ein wahrhaft edler Mann, und solche Edelleute dürfen und werden auch der neuen Zeit nicht fehlen.«

      »Ich danke für den neuen Adelsbrief, Bürger Frey!« Der Erbgraf verneigte sich tief.

      *

      Um dieselbe Stunde hielt am Hause des Handelsmannes Ehrhardt ein großer Frachtwagen. Kiste um Kiste wurde aus dem Tore gebracht und auf den Wagen geladen. Dann steckte man die Reifen darüber und spannte die Leinwand. Vier starke Pferde zogen den Wagen die Gasse hinunter zum Bachtor hinaus – hinüber ins Preußische.

      So bereitete sich der Handelsmann zum Empfange der Franzosen. –

      Da und dort in den Häusern und Höfen und Gärten blinkte ein Licht, wo sonst um diese Stunde kein Licht zu sehen war.

      Soldaten werden kommen! Ei nun, wenn Soldaten kommen, dann muß man vergraben, was gleißt und was funkelt. Freunde sind's! Freunde? Ei was: Soldaten sind's, und vor Soldaten hat man noch immer vergraben, seit Menschengedenken, was gleißt und was funkelt. Warum jetzt auf einmal nicht? Nützt es nichts, dann schadet's nichts.

      Auch Frau Lotte war von ihrem Lager gestiegen, hatte eine Blendlaterne an sich genommen, ein Stemmeisen und eine kleine Blumenschaufel, und hatte sich in ihre schöne Küche begeben. Es war mäuschenstille in dem weitläufigen Hause. Rötlich strahlte das reiche Kupfergeschirr von den weißen Wänden, und die Solnhofer Platten des Fußbodens blinkten in untadeliger Reinheit. Der Kupferrand des Herdes funkelte.

      Frau Lotte stellte ihre Laterne auf den kalten Herd, zog die dunkelgrünen Vorhänge vor die Fenster, verschloß die Türe und blickte prüfend umher. Da sah sie die beiden kupfernen Wasserkannen mit den blinkenden Bäuchen, breiten Schnäbeln und starken Henkeln, die dort standen, wo sie billigerweise stehen mußten in jeder ordentlichen Küche, auf niederm Schemel, nahe am Herde. Und sie ging und hob die vollen Kannen herab, stellte sie seitwärts auf den Boden und rückte den Schemel in die Mitte der Küche. Dann kniete sie nieder und hob mit dem Stemmeisen eine von den großen Platten heraus.

      Sie hatte lange zu arbeiten; ganz leise und sehr behutsam. Und erst als es halb zwei Uhr schlug, war sie fertig. Wie vordem blinkten die Bäuche der kupfernen Kannen, glänzte der frischgewaschene Steinboden. Aber im Hofe drunten, in der Abfallgrube unter den morschen Brettern, lag ein Häufchen Sand und Schutt.

      Frau Lotte kam wieder in die Küche und warf noch prüfende Blicke umher. Dann löschte sie das Licht aus, zog die Vorhänge zurück und sah hinaus in den Hof. Drüben in der Giebelwand, weit drüben über den Kastanienbäumen, wo der Altkleiderhändler wohnte, war ein Fenster offen, und eine dunkle Gestalt beugte sich heraus.

      Frau Lotte erschrak. Aber dann sagte sie vor sich hin: »Was kann er gesehen haben? Mein Männle ist unpaß geworden, und ich habe Wasser gewärmt. So werde ich den Mägden morgen erzählen.«

      Der Trödler aber zog sich vom Fenster zurück. »Was hat sie getan, die gestrenge Frau, mitten in der Nacht, in ihrer Küche allein? Hat sie Wasser gekocht, zu wärmen das Bett im Sommer? Ich hab' aber doch nicht gesehen, daß der Rauch ist aufgestiegen aus dem Kamin, und ich hätt's doch sehen müssen, weil sie so hell scheinen, die Sterne, wie damals, wo sie hat zählen sollen der Erzvater Abraham. Und was hat sie gewollt im Hof, und was hat sie in die Grube geschüttet? Ist sie's gewesen, oder ist sie's nicht gewesen? Sie ist es gewesen, ich hab' mich gewiß nicht getäuscht.«

      *

      Auch Konrektor Knorzius hatte Licht in seiner Stube des Morgens um zwei Uhr. Er saß an seinem Schreibtisch und trug etliche Zeilen in ein dickes Quartheft ein. Seine Schrift war sauber, die Buchstaben standen gerade und spitzig, und spöttisch lächelte das kluge Gesicht auf die Sätze herunter.

      »Ihr Toren erwartet, daß euch der Strom der Ereignisse auf seinem schmutzigen Rücken die schöne Veränderung eurer Lebensverhältnisse heranträgt. Ich aber bin überzeugt, daß jeder Machthaber zuerst und zuletzt nur für sich sorgt, und ich weiß, daß sich im Antlitze meiner Umgebung überhaupt nicht viel zu verändern vermag. Der Kraftvolle wird Herr sein. Und in seinen Zwecken wird es liegen, daß er zuletzt doch wieder mich und jeden schützt, der sich hütet, ihm ein Hindernis zu werden. Er mag von mir die üblichen Abgaben

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