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wir ihn am Nachmittage in seinem Hause darum fragten.

      Alles andere, was nach jener Flucht aus den Strömen von Blut gekommen war, hatte sich mit der Zeit völlig verwischt, alles andere war neben dem einen Entsetzlichen verblaßt und farblos geworden.

       * * *

      Bald darauf schieden wir aus dem Städtchen und zogen weiter auf unserer Fahrt nach der alten Urkunde.

      Wir hatten eine Art von Allerseelentag erlebt, und ein starkes Vergänglichkeitsgefühl lag uns im Herzen.

      Oft noch habe ich an den zerstörten Friedhof meines Geschlechtes gedacht, an die zerschlagenen Grabsteine in der Gosse, an das Denkmal im Hausflur der Mühle und an alle die Spuren der Alten, die ein Windhauch verweht hatte.

      Damals war mir's klar geworden, was die Schrift auf Stein wert ist. Damals war mir's aber auch klar geworden, daß es eine stolze Pflicht ist:

      Die Altvordern ehren!

      Die Herren vom Walde.

       Inhaltsverzeichnis

      Heute sind wir vor den Waldbergen. Von der kleinen Stadt, die an ihren letzten Ausläufern liegt, gehen wir aus. Vor dem Thore draußen zur Rechten der Straße lehnt sich an den Hang ein großer Friedhof. Eine Mauer aus grauen, moosigen Sandsteinen schließt ihn ein. Das schwarze Gatter der Thüre ist gesperrt, aber der Friedhof zieht sich den Hang hinauf, und die Mauer ist niedrig; wir können die Gräber gar wohl sehen.

      Große, düstere Steine ragen auf ihnen empor, einer wie der andere, und schwere, schwarze Buchstaben sind auf ihnen eingemeißelt. Die Buchstaben gehören einer fremden Schrift an, und die kreuzlosen Steine stehen so fremd in dem deutschen Waldland, und das Volk ist uns fremd, das hinter uns in den schönsten Häusern der Stadt lebt, starke Fäden über das Land gesponnen hat und hier an diesem Hange unter den Trauerweiden seine Toten begräbt. Es ist der Judenfriedhof.

      Wir gehen weiter. Eilig läuft der klare Bach an uns vorüber, er kommt aus den Waldbergen herunter und springt über die großen Steine hinab ins Thal. Höher und höher steigen wir, in Massen baut sich vor uns der herrliche Wald auf, und hoch herab, weit von drüben über die grünen Schläge her, wo die Herren vom Walde wohnen, schaut eine schwarze Burgruine auf uns hernieder. Die Schweden haben sie im großen Krieg zusammengeschossen, und eine halbvergessene Sage will wissen, daß einer unseres Geschlechts, der Sohn eines alten Richters, unter den ersten war, die damals die rauchenden Trümmer erstürmten.

      Immer höher steigen wir und treten nun in den Wald. Noch eine halbe Stunde, und das weite Hochthal wird sich vor uns aufthun, wo seit hundert Jahren das feste Haus der Herren vom Walde liegt. –

      Aber ach! Warum gingen wir gerade an jenem Tag den Weg in den Wald? Warum gerade an jenem Morgen?

      Wir standen vor einer Biegung des Weges und schauten zurück in die Ebene, die sich mit ihren unzähligen Dörfern im hellen Lichte der Herbstsonne dehnte.

      Da kam um die Biegung der Straße zwischen den glänzenden Buchenstämmen ein großer Wagen herab. Er war bepackt mit Kästen und Betten und Truhen, die Steine knirschten und schrieen in schrillen Tönen, als die gehemmten Räder krachend und ächzend darüber gingen, und die zwei Klepper mußten sich scharf zurücklegen, um die Last in ruhigem Gange zu halten. Wir traten zur Seite, der Wagen fuhr schwankend an uns vorüber.

      Und wieder stiegen wir eine Viertelstunde. Da kam ein zweiter Wagen. Es war eine große, altmodische Kutsche mit plumpem Kasten und hohen Rädern. Vor Zeiten sicherlich ein Prachtwagen, der zu manchem glänzenden Feste gerollt war, – jetzt aber alt und ausgedient. Wir traten zur Seite, und schwerfällig kam die Kutsche heran.

      Ackergäule waren davor gespannt, ein eisgrauer Knecht saß gebückt auf dem Kutschersitz und wischte sich von Zeit zu Zeit mit dem Rücken der Hand über die Augen. Neben ihm saß ein kleines Mädchen. Das hatte eine Puppe auf dem Arm und wiegte sie und sang, wie Kinder thun, gar hell und frisch ein Liedlein in den Wald.

      In die Kutsche konnten wir nicht sehen; denn die Fenster waren geschlossen und die roten Vorhänge herabgelassen. Auf dem Schlag aber war ein verblaßtes, verwaschenes Wappen zu schauen.

      Der Wagen fuhr zu Thal.

      Einige Schritte vor uns stand am Rande der Straße auf seine Axt gestützt ein junger Holzhauer. Vorhin hatte er seine Mütze langsam abgenommen, jetzt hielt er sie noch immer in der Hand und sah dem Wagen nach, bis er bei der nächsten Biegung verschwand. Dann setzte er die Mütze wieder auf.

      Wir traten zu ihm, und der Vater fragte:

      »Was ist das mit den zwei Wägen, Mann?«

      Der rückte an seiner Mütze und stieß hervor: »Judenwerk, Herr!«

      »Wer sitzt denn in dem Wagen, von wem ist der Hausrat?«

      »Wer soll's denn sein?« sagte der Knecht und schaute uns finster und mißtrauisch an. »Das weiß doch jedes Kind! Der gnädige Herr ist's vom Kerdernhaus, der muß jetzt ins Elend fahren.«

      Damit wandte er sich kurz ab und schritt ohne Gruß in den Wald.

      Nach wenigen Minuten standen wir wieder stille und sahen über das weite, fruchtbare Thal hin, das von den waldigen Bergen umgeben war. Zu unsern Füßen lag ein großes Herrenhaus mit grünen Fensterläden und gebrochenem Dachgiebel. Behäbig ragte es aus den Wirtschaftsgebäuden hervor, weithin dehnten sich die Stoppelfelder, und auf alles leuchtete die ewige Sonne herab.

      Schweigend wandten wir uns und kehrten auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren. Denn es gelüstete uns nicht, in den Horst herabzusteigen, aus dem man die Falken verjagt hatte. –

      Und wieder kamen wir an dem schweren Wagen vorüber. Die Kutsche aber war ihm jetzt vorausgefahren und rollte weit vor uns dem Städtchen zu.

      Zur Mittagszeit standen wir vor dem schwarzen Gatter am Wege, und die heiße Sonne brannte auf die fremden Steine. Wir haben lange Zeit hineingeschaut und nichts miteinander gesprochen.

      Da kam aus dem Schatten des alten Stadtthores in starkem Laufe ein offener Landauer gefahren. In dem saßen zwei Männer. Der eine von ihnen war alt und grau, der andere hatte glänzendes, schwarzes Haupthaar und einen kurzen, schwarzen Vollbart. Sie warfen lebhaft die Arme hin und her, lachten und hatten viel miteinander zu reden. Und ihr schöner Wagen fuhr eilend die Straße hinan, auf der soeben die schwere Kutsche herabgeschwankt war.

      Judenwerk? Ach, es haben auch Christen dazu geholfen.

      Über fünf Treppen.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich muß die Erzählung von unserer Fahrt auf eine kurze Zeit unterbrechen.

      Zwei Jahre sind vergangen. Wieder befinde ich mich mit meinem Vater auf einer Reise, und wieder ist's Herbst. Soeben sind wir angekommen, haben ein Zimmer gemietet und gehen langsam durch die dämmerigen Straßen der großen Stadt.

      Es hat den ganzen Tag geregnet; erst gegen Abend ist der Himmel hell geworden. Das Pflaster ist nur stellenweise getrocknet, da und dort stehen häßliche Pfützen. Naßkalter Wind weht und schlägt den Rauch, der rings um die Stadt her aus den unzähligen Fabrikschlöten qualmt, zwischen die Häuser herein. Wogend drängt sich die Menschenmenge auf den breiten Trottoiren, hochbeladene Lastwägen fahren donnernd über das Pflaster, die Laternen sind angezündet, und ihre gelben Flammen kämpfen mit dem scheidenden fahlen Tageslicht. Immer hastiger drängen sich die Menschen, die Geschäfte werden geschlossen. Elegante Karrossen jagen vorüber, daneben zieht der müde, alte Lumpensammler seinen Karren, und sein ruppiger Hund hilft ihm. Das geschminkte, geputzte Elend promeniert auf und ab und wirft seine Netze aus, an den Häusern strahlen die großen Scheiben der ersten Stockwerke, leuchten bescheiden die kleinen Fenster hoch droben unter den Dächern.

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