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auch der Herr Erbgraf.«

      Der Alte nickte. »Mag er reiten, der Besserwisser. Und die Zugbrücke ist wahrhaftig aufgezogen?«

      »Sie arbeiten noch daran, Exzellenz. Es ist alles verrostet. Aber in kurzem wird sie droben sein.«

      »Beten!« befahl der Graf.

      Da kniete der Weißhaarige am Bette nieder und faltete die Hände. »Welches Lied befehlen Eure hochgräfliche Exzellenz?«

      »Das Wald- und Feldlied,« entschied der Graf.

      Da betete der Diener:

      »Nun ruhen alle Wälder,

       Vieh, Menschen, Städt und Felder,

       es schläft die ganze Welt.

       Ihr aber, meine Sinnen,

       auf, auf, ihr sollt beginnen,

       was eurem Schöpfer wohl gefällt.«

      Und er betete in tiefer Andacht, mit schöner Betonung alle Strophen des alten Liedes.

      Dann sagte der Graf: »Wir haben Uns heute sehr wehe getan.«

      »Die Menschen können's nimmer verantworten,« seufzte der Diener.

      »Du bist eine gute Haut. Du kannst nun gehen. Und du tätest niemals Revolution gegen Uns machen, gelt?«

      »Niemals,« beteuerte der alte, wackelige Mann.

      *

      Es ging auf Mitternacht.

      Draußen an der Freitreppe des Doktorhauses hielt ein gräflicher Reitknecht mit zwei gesattelten Pferden und einer Traglaterne, und in der großen Stube des Arztes, gleich unten zur Linken neben dem Hausflur, stand der Erbgraf. Auf dem Schreibtische brannte eine Talgkerze.

      Der Graf war reisefertig und hielt den Reitstock in der Hand. Der Doktor lehnte am Kachelofen.

      »Auch ich bin kein Prophet,« sagte der Doktor. »Aber kläglicher und erbärmlicher – verzeih' mir – als unter der Regierung eines Kanzleidirektors Blitz kann's doch nicht zugehen, wenn die Franzosen kommen.«

      »Den habt ihr ja glücklich losgekriegt heute abend,« meinte der Erbgraf. »Doch wer führt nun eigentlich das Regiment in meines Vaters Stadt, wenn ich fragen darf?«

      Der Doktor schwieg.

      »Vielleicht der Schneider Koram?« erkundigte sich der Erbgraf.

      »Und schlimmer als die Kaiserlichen können die Franzosen auch nicht sein,« sagte der Arzt.

      »Doktor, wir hatten nicht zu klagen über die Kaiserlichen. Auch nicht über die Freikorps.«

      »Und warum hatten wir nicht zu klagen?« Der Arzt ballte die Fäuste. »Weil ihr zufällig mit ihrem General vervettert seid.«

      »Vervettert. Also gut, Doktor, so hatte man die kaiserlichen Freikorps wenigstens – wie sag' ich doch gleich? – die hatte man in der Hand, gleichviel auf welche Weise. Aber zwischen uns und diesen Franzosen gibt's vorderhand nichts, rein gar nichts Gemeinsames.«

      Der Arzt reckte sich: »Was sag' ich denn? Wegen der Vetternschaft, nur wegen der Vetternschaft haben die Kaiserlichen draußen, hinter den hochgräflichen Dörfern, geplündert und geraubt, und um die hochgräfliche Residenz und die Dörfer sind sie herumgegangen. Nur wegen der Vetternschaft! Wenn doch –!« Seine Stimme hatte sich erhoben. »Wenn doch der Satan das ganze Wort stückweise verschlänge! Das ist ja die Seuche, an der wir alle krank sind im heiligen römischen Reich – die Vetternschaft. Bei Gott – ich weiß wohl, es muß sich immer wieder zueinander gesellen, was vom gleichen Blute stammt, und ist auch also recht und gut mit Maß und Ziel. Aber zur Seuche darf's nicht werden. Recht und Billigkeit müssen stärker sein als Fleisch und Blut, und da ist der Mensch am größten, wo er Gerechtigkeit übt wider sein Fleisch und sein Blut. Aus dem kleinsten Vereine von Mann und Weib und aus dem Häuflein der Kinder einer Hütte ist das Volk emporgewachsen. Aber das Glied ist geringer als der ganze Leib, und wenn sich das Glied ein Vorrecht herausnimmt vor dem Ganzen, dann geht das Ganze in Brüche.«

      Der Graf hatte sich einen Stuhl genommen, saß nun rittlings und stützte das Kinn auf die Lehne.

      »Bist du fertig?« fragte er. »Gut. Und wem predigst du eigentlich dies alles?«

      »Ich muß mich aussprechen,« murrte der Arzt.

      »Also was Neues hast du mir gottlob doch nicht sagen wollen, Doktor?« Er sprang auf und hieb ein paarmal durch die Luft. »Wer ist mit euch auf hohen Schulen gesessen und wer hat mit Strömen von Bier begossen, was in ihm glühte wie in jedem von euch? Und wer hat mit euch den heiligen Bruderschwur getauscht, wer hat seinen Adel gegen die Freiheit, seine Vorrechte gegen die Gleichheit zu Markte getragen und dem Zorn seines Vaters und« – er lachte laut auf – »dem Fluche all seiner Ahnen getrotzt um der Brüderlichkeit willen?«

      Der Doktor trat vor und streckte ihm die Hand entgegen. »Du – das weiß ich ja.«

      Der Graf wollte die Hand nicht sehen, und der Doktor zog sie zurück.

      »Und wer hat mit euch geschwärmt und gehofft, gewünscht und heimlich den Boden bereitet, daß der fliegende Samen aus Westen tief hinein zu dringen vermochte? Und wer ist fester überzeugt, daß alles anders werden muß? Und wer, sag' mir, wer wird am meisten verlieren, wenn einst das Alte stürzt?«

      »Du!« rief der Doktor. »Also was trennt uns denn heute?«

      »Was uns heute trennt? Die hausbackene Klugheit, sonst nichts. Seid ihr denn Kinder, daß ihr Blindekuh spielen wollt mit den wilden Haufen, die jetzt heranziehen? Seid ihr denn Wahnsinnige, daß ihr euch vom Pöbel der Gasse die Freiheit erhofft? Wer hat eigentlich heute nacht das Regiment in dieser Stadt? Und wer wird morgen im Namen der Stadt mit den Franzosen verhandeln wollen? Sicherlich der Schneider Koram. Nur werden die Franzosen selber sich wohl zunächst lieber an den Schultheiß halten. Pfui Teufel, Doktor, vor Schweinehunden macht meine Brüderlichkeit halt, und von einer Gleichheit mit Hanswursten will ich nichts wissen.«

      »Du weißt ja selbst, daß ich keine Macht hatte über die Leute,« rief der Arzt. »Und ich denke doch, dein Herr Vater wird sich als Landesherr erweisen, wenn Not an den Mann geht?«

      »Jawohl, mein lieber Doktor, als Landesherr! Bin zwar nur ein Erbgraf mit der zurzeit ganz geringen Hoffnung auf sechzehn Dörfer, aber hier kann das Kronprinzlein doch mit dem Königlein fühlen. Zuerst kommt der wüste Haufe in den Schloßhof, schickt den Koram vor und gibt dem alten Herrn den Laufpaß. Dann aber soll derselbe alte Herr wieder für alle Fälle bereit sein: wenn's schief geht, soll er eingreifen, wenn's gut geht warten auf den Gnadenstoß. Nein, nein, Lieber, seine Zugbrücke will er aufziehen – gut, daß er sie nicht abgebrochen hat bei der großen Bauerei vor zwei Jahren – und aus seinen Fenstern will er gucken auf die liebe und getreue Stadt, und – so sagt er und ist ihm auch nicht weiter zu verargen – von Zeit zu Zeit will er hinunterspucken auf ihre Schindeln.«

      Der Doktor schwieg; der Erbgraf aber zog ein erbrochenes Schreiben aus seinem Rocke.

      Der Doktor warf den Kopf zurück. »Die Bevollmächtigten des fränkischen Kreises haben zu Würzburg mit dem französischen Divisionsgeneral Ernouf eine Übereinkunft geschlossen – Personen und Eigentum sind geschützt.«

      »Geschützt durch etliche Flarren Siegellack und eingedrückte Petschafte!« Der Erbgraf lachte.

      Unbeirrt fuhr der Doktor fort: »Der fränkische Kreis entrichtet den Franzosen acht Millionen Livres.«

      »Die schleunigst aus den braven Kühen des Landes zu melken sind!« rief der Erbgraf, erhob sich und gab dem Freunde den Brief hinüber: »Meine Frau schreibt mir aus Nürnberg, General Jourdan hat die Übereinkunft gestern vernichtet.«

      »Vernichtet? Du scherzest –!«

      »Vernichtet, weil der Commissair ordonnateur, General Dubreton, seine Zustimmung versagt hatte.«

      »Der Commissair ordonnateur? Was ist das für ein Tier? Und wenn doch General Jourdan selbst

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