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abgeschnallt, und im Schritt fuhr die Reisekutsche in den Vorhof hinaus.

      Erregt stieß der Graf seinen Stock aufs Pflaster: »Seht, Leute, da wären Wir nun auf ein Haar bei Nacht und Nebel aus Unserm Schlosse fortgefahren. Aber da ist die Kanaille heraufgekommen und hat Uns wollen abschieben.« Er schüttelte den Stock gegen den Torbogen hin. »Uns, ihren Landesvater!«

      Der Forstmeister reckte sich. »Leute,« rief er mit schallender Stimme, »wer ein treuer Gräflicher ist, der rufe mit mir aus voller Kehle – Seine hochgräfliche Exzellenz, unser allergnädigster Landesherr, vivat hoch!«

      »Vivat hoch!« schallte es aus rauhen Kehlen zum nächtlichen Himmel empor.

      Der Graf hatte sein Haupt entblößt. Jetzt trat er zum Forstmeister und schüttelte ihm die Hand. Tränen rollten über seine Wangen. »Dank euch, ihr Leute, ihr habt Uns unsäglich wohlgetan. Aber nun laßt euch Essen und Trinken schmecken unter Unserm Dache. Und du bist Unser besonderer Gast, lieber Forstmeister.«

      Langsam ging er über den Hof. Am Portale des Schlosses standen die Räte mit dem Direktor in einem dunklen Häuflein. Einen Augenblick machte er halt vor seinen Beamten und musterte jeden von ihnen. Dann griff er an den Hut, nickte und verschwand.

      *

      Schneider Koram ging mit den andern die staubige Landstraße hinunter ins Städtlein. Sein Schädel tat ihm weh, und er fluchte leise vor sich hin. Verschwor sich, hauen hätte er den alten Mann wohl können, aber nicht mögen. Rächen wolle er sich, gewiß und wahrhaftig, noch einmal an Seiner Exzellenz.

      Später, ja später, nachdem es ihm so schlecht ergangen, ward er anders gesinnt. Und sie fragten ihn zuweilen: »Schneider Koram, ei, warum hast du denn dem Grafen nicht wieder eins übergezogen?« Da pflegte er nachdenklich zu antworten: »Ei, ich könnte nun sagen, weil er ein alter Herr war. Aber das wäre gelogen. Wißt,« – und er legte dann immer den Zeigefinger an die Stirn und sah tiefsinnig aus – »wißt, solch ein Herr hat etwas – es ist doch anders, wenn ich vor solch einem stehe als vor Gevatter Schuster und Schmied. Er hat's in seinen Augen; mit denen kann er einen fernhalten – – so fern als er will.«

      *

      Im Zimmer des regierenden Herrn brannte eine Öllampe, und ihre schwache Flamme warf einen Lichtkreis empor an die vertäfelte Decke.

      Der Graf war in den Lehnstuhl am Kachelofen gesunken – an dem Kachelofen, der das Wappen des Hauses und acht Ahnenwappen eines Vorfahren in gebranntem Ton trug und schon sechs Geschlechter gewärmt hatte.

      Die Gräfin saß auf einem schmalen Sofa, hochaufgerichtet, ohne sich anzulehnen. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, und ihre guten, lieben Augen schwammen in Tränen. Am Fenster, neben einer Palme, stand der Erbgraf.

      Der Regierende sah bleich und verfallen aus. Drunten im Hof, ja, da war er der große Herr gewesen; aber jetzt, inmitten der Seinen, war er der alte Mann, der sich mit Entsetzen in einer Zeit fand, die er nicht mehr verstehen konnte.

      »Ich habe mir sehr wehe getan,« sagte er mit schwacher Stimme. »Es geht zum Ende. Die Kanaille springt uns an den Hals. Und nun kommen die Franzosen und bringen ihre Guillotine. –« Er stand mühsam auf. »Man ist sorglos gewesen, man hat gelebt, als hätten alle unsere Institutionen ewige Dauer, und man hat die Nattern wachsen lassen. Man hätte ihnen beizeiten die Köpfe zerdrücken sollen.«

      Der Erbgraf murrte leise.

      »Hast du etwas zu bemerken?« fragte der alte Herr und begann auf und ab zu wandern.

      »Ja wohl, Herr Papa. Man hat gelebt, als wäre das Volk allein für den Adel geschaffen. Man hat sich in den Gedanken einer Gottähnlichkeit hineinphantasiert und ist so ferne gewesen wie nur jemals von Gott. Nun aber graut einem, weil Titanen von unten emporklettern und grobe Steine in die mühsam geschaffene Herrlichkeit werfen.«

      »Titanen!« Der alte Herr richtete sich straff auf. »Solche Titanen wie der Schneider Koram einer ist – die zerdrücke ich heute noch mit zwei Fingern. Die Masse ist's! Die Masse zerbricht die Zäune, und die Masse wird uns den Garaus machen. – Aber ich weiß schon, du bist auch solch ein Jakobiner.«

      »Herr Papa, ich bitte Sie –!«

      »Still, still! Und wann haben denn wir vom Schweiße des Volkes gepraßt? Schlecht und recht haben wir gelebt als die Schutzherren des Volkes, haben Freude mit ihm geteilt und sind im Leid gewesen wie seinesgleichen – Weißt du noch, wie sie den Ahnherrn Joachim haben mit Tränen gebeten, daß er bei ihnen bleibe – damals – –?«

      »Im dreißigjährigen Kriege, Herr Papa. Es ist schon lange her und steht in der Chronik geschrieben.«

      »Und heute?« Der alte Herr stampfte. Dann aber ging er Schritt vor Schritt an den Lehnstuhl und sank hinein.

      Die Gräfin hatte sich erhoben und trat neben ihn: »Du kannst es zwar nicht leiden, wenn Frauen in solchen Sachen mitreden, Geliebter –«

      »O sprich nur, sprich nur!« Er ächzte. »Alle Ordnung geht ja aus den Fugen. Warum solltest du dann nicht auch dreinreden dürfen?«

      »Ich will nichts reden von diesen Zeitläuften,« sagte sie und fuhr liebkosend über seinen Scheitel. Sie atmete tief auf und faltete die Hände unter der Brust. »Aber das weiß ich und steht mir unverrückt, und wenn sie uns das Schloß heute nacht herunterbrennen: Wider die göttliche Ordnung können sie niemals.« Sie richtete die Augen empor, beugte das Haupt zurück und sagte feierlich: »Was toben die Menschen gegen die Gesetze Gottes? Und ist ihnen doch alles so fest bestimmt, wie dem Strome sein Bett und wie dem Meere sein Becken. Und wenn auch der Strom die gelben Fluten weithin rollen läßt über Äcker und Wiesen und Dörfer, er muß dennoch wieder zurück in sein Bett nach abgemessener Zeit; und wenn auch das Meer seine Wogen ausschüttet über die Küste – mag ihm Sand und Gestein und fruchtbares Land zum Opfer fallen, viel Sand, viel Gestein und viel fruchtbares Land – Land muß dennoch Land bleiben vor unsern kurzsichtigen Augen, und Meer muß Meer sein, und sind beide voneinander geschieden für alle Zeit. Darum lasset sie toben und wartet auf die endliche Scheidung!«

      Der alte Herr saß stille in seinem Stuhle; der Erbgraf trat neben seine Mutter und griff nach ihrer Hand, beugte sich tief herab auf diese Hand und küßte sie voll Ehrfurcht.

      Noch einmal fuhr die Linke der Gräfin liebkosend über den Scheitel des alten Mannes, während die Rechte dem Sohne mit festem Druck seine Liebe vergalt.

      »Ich muß jetzt sehen, ob unsre braven Grünröcke versorgt sind. Und dann ziehe ich mich zurück. Schlaft wohl!«

      Sie ging aus der Türe.

      Der Erbgraf ließ sich auf ein Knie nieder, faltete die Hände auf der Armlehne des Stuhles, und seine Augen suchten die Augen des Vaters.

      »Die Frau Mama ist eine herrliche Frau; immer findet sie das Richtige – ihr Gottvertrauen ist unerschütterlich, und sie kommt mir zuweilen vor wie eine germanische Seherin, von denen die Römer erzählen.«

      Der alte Herr machte ein grimmiges Gesicht und kämpfte mit dem Weinen: »Weiß wohl, bin ihrer gar nicht wert – so ein – alter – häßlicher Hengst.«

      Unbekümmert aber fuhr der Sohn fort: »Mit Ihrer Permission, Herr Papa. Die gemeinsame Liebe zu diesem Engel in Menschengestalt sollte doch mächtig genug sein, auch die Steinchen des Anstoßes zwischen uns beiden aus dem Wege zu räumen.«

      »Dummes Zeug!« Der Alte schob den Sohn unwirsch zur Seite. »'n Engel ist sie niemals gewesen, und der Graf Johann hätte auch niemals 'n Engel geheiratet.« Er stand auf. »Aber so bist du, immer im Überschwang wie ein bleichsüchtiger Backfisch. Deine Mutter steht mit zwei Beinen auf Gottes Erdboden, und nur der Kopf ragt zum Himmel empor. Und so ist's recht. Sie hat einen guten, einfachen Glauben, und an dem hab' ich mich oft schon auferbaut. Und so ist sie eine ganze Frau, eine Reichsgräfin von der Haube bis zum Saum ihrer Schleppe – aber kein Engel, dummes Zeug – ich bitt' mir's aus.«

      Der alte Kammerdiener hatte seinen Herrn entkleidet und ihn zu Bett gebracht wie ein Kind. Jetzt lag der regierende Herr auf dem Rücken und hatte die Hände

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