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ihr alle durcheinander schreit, dann können Wir's nicht verstehen, was ihr wollt. Habt ihr denn keinen Sprecher?«

      Eine lange Gestalt löste sich aus dem Haufen. Der Schneider Koram tat etliche große Schritte gegen den Grafen. Da hob dieser das Rohr und rief: »Nicht weiter, wenn's beliebt! Wir haben scharfe Ohren.«

      Der Schneider schwenkte seine rote Mütze, stülpte sie wieder auf den Schädel und sprach mit schallender Stimme: »Kann mir denken, daß wir Ihnen gerade nicht willkommen sind, Herr Graf. Aber das ist halt nicht zu ändern und macht auch weiter nix. Wir stehen da auf unsern Menschenrechten, und die sind gerade so groß, wie die Menschenrechte, auf denen Sie stehen, Herr Exzellenz. Und also haben wir beschlossen, daß Sie nimmer länger im Land bleiben können.«

      Der Graf stützte sich nun mit zwei Händen auf den Knopf seines Rohres und rief mit bebender Stimme: »Und warum sollen Wir außer Lands fahren?«

      Schneider Koram spreizte sich, wiegte sich in den Hüften und ging einen Schritt vor. Der alte Herr aber richtete sich hoch auf und nahm sein Rohr fest in die Rechte.

      Es war still im weiten Hof. Die Fackeln qualmten, das Pech in den Pfannen vor dem Portale prasselte, und eines von den Pferden am Reisewagen begann heftig zu scharren. Wie ein Gockel die Flügel hebt, eh' er zu krähen beginnt, so hob der Schneider die Arme, ging noch einen Schritt vor und rief ganz laut, daß man's weithin vernahm: »Schauen S', Alterle, und sind S' halt g'scheut. Es soll Ihnen ja nix geschehen. Aber die Franzosen kommen, und da können wir Ihnen halt nimmer brauchen. Denn die Franzosen, na das wissen S' ja selber, die haben halt so einen Widerwillen – na ja. Also fortgejagt werden S' doch, also ist's besser, wir besorgen das gleich selber. Und so viel werden S' wohl einsehen, so gescheut sind S' doch auch noch.«

      Schneider Koram war nun ganz nahe herangetreten. Im Antlitz des Grafen bewegte sich keine Muskel, halb geschlossen waren seine Augen. Und so konnte Schneider Koram die Wirkung seiner Rede nicht recht ermessen. Er hob die Hand und gedachte dem alten Herrn zur Befestigung der Gleichheit recht wohlwollend auf die Schulter zu klopfen.

      Langsam nur konnte sich der Graf aus seiner Erstarrung emporraffen. Und langsam hob er das Rohr.

      »Koram!« rief warnend einer aus dem Haufen.

      Der Schneider aber war von allen Geistern der Vorsicht verlassen, klopfte den Grafen wahrhaftig auf die Schulter und sagte: »Also gelt, Alter, abgemacht, friedlich, schiedlich!«

      Da sprang der Graf zurück, und da hatte aber auch der Bürger Koram schon einen Hieb über dem Schädel, daß seine Jakobinermütze aufs Pflaster flog.

      Laut auf kreischte er und warf die Arme in die Höhe. Vom Schloß her stürzte der Erbgraf, stürzten die Beamten, die Diener, aus dem Haufen der Bürger lösten sich etliche Gestalten.

      Hoch aufgerichtet stand der Graf und schwang sein Rohr. »Zurück!« herrschte er die Seinen an.

      »Haltet mich, haltet mich, sonst gibt's ein Unglück,« heulte Koram, raffte seine Mütze vom Pflaster und wich mit vorgestreckten Fäusten schrittweise zurück. Sechs, acht Hände griffen nach seinen Schultern und Rockflügeln und zerrten an ihm.

      »Da seht ihr's!« kreischte Koram. »So gehen sie mit dem Volk um.«

      »Was brauchst denn du auch so frech losgehen auf den alten Herrn?« sagte einer.

      Der Graf aber trat näher an den Haufen heran und rief: »Ihr Leute, da habt ihr euch einen rechten Esel zum Redner gewählt. Ist keiner da, der's besser kann?«

      Der tiefgekränkte Schneider wollte etwas erwidern, aber sie zogen ihn gar zurück in die Menge, und einer hielt ihm den Mund zu.

      »Nun also, was ist's?« fragte der Graf und sah von einem zum andern.

      Aus dem Haufen löste sich ein kleiner Mann, den die andern vorwärts drängten: »Hochgräfliche Exzellenz!«

      »Wer ist Er?« fragte der Graf von oben herab.

      »Aber, aber – hochgräfliche Exzellenz werden mich wohl noch kennen – oder nicht? Wär's möglich, Exzellenz? Ich bin ja der Studienlehrer Pieperich –«

      Der alte Herr hielt die Hand ans Ohr und schüttelte das Haupt.

      »Doktor Pieperich –!« Der Studienlehrer rang nach Fassung.

      »Gänzlich unbekannt,« sagte der Graf und stützte sich wieder auf sein Rohr. »Und was hat Er mir zu sagen?«

      »Hochgräfliche Exzellenz wissen – es ist allgemein bekannt – die Franzosen – General Jourdan – wenn hochgräfliche Exzellenz erwägen zu wollen geruhen – ob Sie nicht hochihre Person beizeiten in Sicherheit zu bringen –?«

      »Ach so, ich verstehe. Nun, Leute,« unterbrach der Graf das Gestotter, »ihr seid besorgt um Uns und Unser uraltes Haus – oder ist's nicht so?«

      »Gewiß,« versicherte Pieperich und machte einen Kratzfuß.

      Mit erhobener Stimme aber fuhr der alte Herr fort: »Nehmt Unsern gräflichen Dank für eure Fürsorge. Wir werden es euch sobald nicht vergessen, daß ihr da nächtlicherweile heraufgestiegen seid.«

      Ein Murmeln erhob sich im Haufen, und Pieperich sagte: »Deshalb hat mich eine Bürgerschaft beauftragt –«

      Aber der Graf unterbrach ihn mit scharfer Stimme: »Und jetzt geht heim, ihr Leute, und legt euch aufs Ohr und überlaßt eurer Obrigkeit« – seine Stimme klang mächtig über den Schloßhof – »für sich selber zu sorgen.« Dann rief er zurück zum Portale: »Ausspannen! Wir fahren nicht.«

      Die Lakaien sprangen vom Brette – in der Menge aber wuchs das drohende Gemurmel.

      Da tönte vom Vorhofe herein der Laufschritt einer Truppe. Das Tor ward helle von qualmenden Fackeln, und in Gliedern zu dreien rannte eine Schar in den Schloßhof. Hochauf reckte sich der Graf und spähte hinüber, und ein freudiges Lächeln zuckte über sein faltenreiches Gesicht.

      Bis in die Mitte des Schloßhofes rannte die Schar, dann gebot ihr eine dröhnende Stimme halt.

      Mit einer leichten Handbewegung wandte sich der Graf gegen den Haufen der Bürger. Und grollend verzogen sich die Leute rückwärts zum Tore.

      Vor dem Grafen aber stand der Forstmeister mit gezogenem Hirschfänger und meldete: »Einundzwanzig hochgräfliche Jäger warten auf Eurer Exzellenz Befehle.«

      »Wer hat dich denn gerufen?« fragte der Graf in gnädigem Tone.

      »Die von der grünen Farbe kommen gerufen oder ungerufen immer zur rechten Zeit, hochgräfliche Exzellenz, und sind bereit Tag und Nacht.«

      »Ganz ungerufen,« wiederholte der Graf leutselig. »Und warum denn?«

      »Schlechte Witterung, hochgräfliche Exzellenz,« sagte der Forstmeister. »Habe mir heute vormittag schon gedacht – wer weiß – –? Und habe Boten laufen lassen zu meinen Leuten.«

      Wohlgefällig nickte der alte Herr. »Unsre Soldaten, die müssen Gänse hüten, Federn schleißen, und Unsre Federfuchser und Tintenschlecker müssen in ihre Hosen –. Nur Unsre Grünröcke, auf die können Wir Uns halt verlassen. Aber wißt ihr denn nicht,« – er trat nahe an die Forstleute – »die Franzosen kommen, da solltet ihr bei euern Weibern und Kindern bleiben und nicht an euern alten Herrn und Landesvater denken – was?«

      Ein schneeweißer Förster sagte ehrerbietig: »Wer von uns verheiratet ist, der hat Weib und Kinder in Sicherheit gebracht, hochgräfliche Exzellenz.«

      »Wo ist Sicherheit in solcher Zeit?« fragte der Graf und sah freundlich auf den Sprecher.

      »Hochgräfliche Exzellenz, da weiß jeder von uns einen Unterschlupf, den ihm keiner so leicht ausspürt,« sagte der Förster.

      »Kann sein,« erwiderte der Graf nachdenklich. »Aber trotzdem, die Verheirateten unter euch – wie viele?«

      »Neune,« meldete der Forstmeister.

      »Also die neune können etliche Stunden ausruhen

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