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Und damit setzte sie sich auf das achtbeinige Sofa, und nahm ihre Stickerei zur Hand.

      Seine Gnaden standen inmitten der Stube, gerade auf einem der Fenstervierecke, das die Sonne auf den Fußboden malte, er stand nur als Kanzleidirektor Blitz vor seinen Untergebenen und wirkte einzig und allein durch den Adel seiner Erscheinung und die Würde seines Amtes; denn der Wolkenfels blühte einstweilen noch im Verborgenen. Die silbernen Schnallen der Schuhe glänzten, ja es war, als ob Blitze hervorzuckten aus den Fußzehen des Direktors. Er stand als ein ganzer Mann, als ein hochgräflicher Beamter in den schwarzen Schuhen, schwarzseidenen Strümpfen und schwarzsamtenen Kniehosen und hatte die Linke in das Spitzenjabot seines zimmetfarbenen Leibrockes geschoben. Das Lottchen hob verstohlen die Lider und warf einen tränenschweren Blick hinüber auf den, dessen vollen, stolzen Namen zurzeit nur sie noch kannte, auf Johann Friedrich Blitz von Wolkenfels. Und sie hätte wohl denken können: Genau so wie Seine hochgräfliche Exzellenz steht mein Bubele vor seinen Beamten. Aber daran zu denken hatte sie jetzt keine Zeit.

      Mit vorgeneigten Schultern warteten die Räte, und der erste Rat begann von einer Botschaft zu erzählen, die man soeben vom hochgräflichen Agenten aus der Hauptstadt erhalten hatte. Dann zog er einen Brief aus der Tasche und überreichte ihn dem hohen Vorgesetzten mit gebührender Reverenz. Und dieser las: »An Unsern Kanzleidirektor.« Dann erbrach er das Siegel. Ein Zettel kam aus dem Umschlag: »Blitz, die Franzosen kommen. Die Landesdefension ist Unsre Sache. Denn davon versteht ein Tintenschlecker nichts. Aber du sorgst mir dafür, daß die jakobinische Bürgerschaft nicht mit den Franzosen fraternisiert! Verstanden? Im Notfall ist sie mit Kandare, Sporen und Reitpeitsche zu bändigen.«

      Der Kanarienvogel begann zu piepsen und zu schmettern, der Kanzleidirektor aber stand mit angstverzerrtem Gesicht vor seinen Räten und war ganz klein geworden. Der Kanarienvogel rollte und schrie, und der Kanzleidirektor blickte ins Leere und sah, wie sich auf der Heerstraße die Franzosen heranwälzten mit fliegenden Fahnen, mit Wägen und Weibern und Kindern, und sah sich als Reiter mit Sporen und Peitsche auf einem brausenden Rosse.

      »Wie viele?« brachte er endlich mühsam heraus und leckte sich die trockenen Lippen.

      »Ein Bataillon Infanterie, Herr Kanzleidirektor.«

      »Und ist's auch kein Irrtum? Wir sind doch ganz neben draußen –?«

      »Sie werden morgen vormittag im Städtchen sein,« sagte der erste Rat.

      »Mit Freuden empfangen von der ganzen Bürgerschaft,« bemerkte der zweite Rat.

      »Ohne obrigkeitliche Erlaubnis?« stieß der Direktor heraus und griff mit beiden Händen an seinen Kopf. Und kläglich schrie er: »Ja dürfen s' denn das?«

      »Es ist Kriegszeit,« äußerte sich der dritte Rat mit sanfter Stimme, während die andern ein respektwidriges Lächeln bekämpften.

      »Und heute abend soll Bürgerversammlung im Fetten Ochsen sein,« bemerkte der Assessor mit geziemender Bescheidenheit.

      »Diese Jakobiner!« kreischte der Direktor.

      »Und ich meine –« sagte der erste Rat und hielt ein wenig inne. Doch als der Direktor seinerseits gar nichts zu meinen geruhte, fuhr er fort: »Es dürfte den hochgräflichen Intentionen entsprechen, wenn die Beamtenschaft sich heute abend ohne weiteres auch in den Fetten Ochsen begibt – unvorgreiflichst.«

      »Ich – in den Fetten Ochsen – gehen? Aber ich verkehre doch niemals im Fetten Ochsen!« Die Stimme des alten Herrn klang weinerlich. »Unter all diese Jakobiner hinein –? Und was hab' ich dann, wenn mich der Schlag trifft?«

      Da meinte Lottchen, daß ihre Zeit gekommen sei, und erhob sich zum Beistande. Und sie sagte mit Festigkeit: »Nein, Bubele, du gehst unter keinen Umständen; denn so was paßt denn doch jetzt erst recht nicht mehr für deinen Stand.« Und heftig tränten ihre Augen.

      Dankbar blickte sie der Direktor von der Seite an: »O gelt, Lottchen! Denn – noch einmal, was hab' ich davon, wenn mich der Schlag trifft?«

      Der erste Rat zuckte die Achseln, nahm seinen Hut unterm linken Arm hervor und steckte ihn unter den rechten Arm und nach einer Weile wieder unter den linken. Und der zweite Rat zuckte die Achseln, zog seine Dose und nahm unhörbar ein Prieschen. Und auch der dritte und der Assessor zuckten die Achseln. Das Lottchen aber geleitete den erschöpften Gatten an seinen Stuhl. Stöhnend sank er auf das Polster und glotzte mit großen Augen ins Leere. »Und ich muß doch in den Ochsen, und wenn's auch mein Tod ist.«

      Heftig winkte Frau Charlotte Blitz von Wolkenfels den Herren ab. Der erste Rat verbeugte sich tief, und alle andern verbeugten sich, und so leise als möglich tappten sie nach Alter und Rang aus der sonnigen Stube. Als ein siegreicher Hahn aber schmetterte hinter ihnen her der Harzer sein Lied.

      Sie tappten die Stiege hinunter, einer hinter dem andern, und jeder von ihnen genoß im stillen das Bewußtsein, daß er nun viel zu sagen wüßte, was er doch niemals zu äußern gewagt hätte.

      Der Kanzleidirektor aber saß gebrochen auf seinem Stuhle, und Frau Lotte besprengte seine Stirne mit starker, wohlriechender Essenz. Und endlich war er so weit hergestellt, daß er mit klangloser Stimme herausbrachte: »Lotte, wenn die Franzosen kommen, dann haben sie gewiß eine Guillotine bei sich, und dann müssen wir dran glauben – wir Aristokraten alle, die hochgräfliche Familie, die Baronin Goldeneck, ich und du.« Er griff an sein Herz.

      »Und wir haben doch auch noch gar nichts von unserm Adel genossen,« klagte sie mit Seufzen. »Aber weißt, Bubele, wir brauchen ja unsern Adel noch nicht vor den Leuten zu bekennen,« setzte sie sehr bestimmt hinzu.

      Er begann in der Stube auf und ab zu gehen. Und nach einer Weile fragte er ängstlich: »Meinst du nicht, man könnte mir's ansehen, daß ich vom Adel bin?«

      »Du wirst geringe Kleider anziehen und wirst dich etwas gebückt halten,« entschied das Lottchen.

      Da fuhr er zusammen. »Ums Himmels willen, was war denn das?«

      »Eine Türe ist ins Schloß gefallen, Bubele.«

      »Nein, man hat eine Kanone abgeschossen.«

      »Blitz, leg' dich ins Bett!«

      »Und jetzt, Lotte –!« Er umkrallte ihren Arm. »Da schießt auch schon das ganze Bataillon!«

      »Unsinn! Der Büttner Marx ist's mit seinen Gesellen, das klingt nur so um die Ecke herüber.«

      »Wir wollen den Adelsbrief verbrennen, Lottchen.« Der Direktor schwankte der Kammertüre zu.

      »Nur nichts übereilen, Liebster.« Sie ergriff ihn am Rockflügel. »Wir wollen ihn verstecken, unsern Adelsbrief, so gut verstecken, daß ihn keiner finden kann.«

      »Wo denn –?«

      »Ich hab's, in der Küche unter den Steinplatten.«

      »Mitsamt der verfluchten Blechbüchse, Lottchen!«

      »Mitsamt der Blechbüchse.«

      Sein Antlitz glättete sich, ein müdes Lächeln belebte die fahlen Züge, die Äuglein zwinkerten: »Lotte, wir wollen ihn einsalzen, unsern Adel, für bessere Zeiten.«

      »O du liebes Bubele, jetzt kommt er ja wieder, dein goldiger Humor. Einsalzen? Ja wohl, du wirst dich einst noch sehr freuen an dem wunderschönen Pergament.«

      Er wehrte ängstlich ab. »Laß, Lotte, wir wollen auch das Herz gewiß nicht an die Eitelkeiten dieser Welt hängen.«

      3. Aus allen Fugen

       Inhaltsverzeichnis

      In den eisernen Mauerringen des inneren Schloßhofes staken brennende Fackeln, und in den Pfannen zur Rechten und Linken des wappengeschmückten Portals flammte das Pech. Ein Reisewagen hielt vor den ausgetretenen Steinstufen, ein großer Reisewagen mit vier starken Pferden bespannt. Diener rannten über den Schloßhof, Hunde bellten, Türen schlugen.

      Droben

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