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wenn ich etwas nicht begreifen kann, so ist es die Unzufriedenheit der Menschen mit den bestehenden vortrefflichen Einrichtungen, bei denen ich mich so wohl befinde. Gott der Herr bewahre uns vor Durchmärschen und Einquartierungen – vor allem aber vor unseren Jakobinern und vor jeglicher Aufregung –«

      »Leibes und der Seele,« fiel sie andächtig ein und wollte die Hände falten. Aber nun begannen beide Augen zu tränen, also daß sie darüber zu streichen gezwungen war.

      »Ja, das wolle er in Gnaden tun!« sagte der alte Herr und wischte den Mund mit der Serviette, und der Knoten in seinem Nacken hob sich ein wenig, dermaßen, daß das Zöpflein mit der schwarzen Masche steif nach hinten ragte. Und er brach sich ein Stück vom lockern Kaffeekuchen und tauchte es tief in die Tasse, stopfte den großen Bissen in den Mund, daß die gelbe Brühe zur Rechten und Linken herablief, und äußerte mit betrübtem Gesichte: »Denn was – hab' – ich davon, wenn – mich plötzlich der – Schlag – trifft?«

      Frau Lottchen war aufgestanden, zupfte ihm die Serviette zurecht und tätschelte seine Wangen. Und nun liefen ihr wahrhaftige Kummertränen über die runden Backen: »Bubele, ich bitt' dich ums Himmelswillen, sprich doch nicht immer von so schrecklich traurigen Dingen wie von der ewigen Bestimmung und – und vom Schlagtreffen – und –«

      »Diese Jakobiner!« wiederholte er. Und wie vorhin rollte das R mit hochgräflicher Betonung; aber es klang nicht mehr zornig wie vorhin, sondern wie das behagliche Schnurren eines großen Katers, den die Herrin hinter den Ohren kraut.

      Frau Lottchen hatte sich wieder gesetzt, hob die Tasse, hielt die hohle Hand darunter und sagte: »Wo die einmal schmoren müssen!« Und mit hellseherischen Augen erblickte sie im Geiste die Jakobiner des Städtleins, vor allen den Doktor und den Schneider Koram und alle andern hintereinander wie kläglich gerupfte Brathühner, schmorend am Spieße ihres Schicksals. –

      Einträchtig saßen die alten Leutchen beisammen, gleichsam auf einer stillen Insel, sie mit den seelenvollen, immer tränenden Augen, er mit der Serviette um den Hals und dem steif hinausragenden Zöpflein. Und die Sonne leuchtete, als wäre sie nur dazu am wolkenlosen Himmel, daß es sich behaglich sitze in der Stube hinter den blühweißen Gardinen; und der Harzer in seinem Bauer zwitscherte und schmetterte und rollte, daß die Wände widerhallten.

      Da wurde die Hausglocke gezogen. Frau Lotte trippelte ans Fenster. Sie warf einen Blick auf den Spiegel am Gesimse, durch den sie angenehmerweise um die Ecke schauen konnte, und sagte über die Schulter zurück: »Der Posthalter in eigner Person.«

      »Lottchen!«

      Sie wandte sich und sah in sein angstvoll verzerrtes Gesicht.

      »Aber Bubele – was ist dir denn?«

      »Lottchen – wenn nur jetzt nichts aus Wien kommt!«

      »Aber Bubele, hast's ja doch kaum erwarten können?«

      »Lottchen!« Er hatte sich erhoben und stand mit weit geöffneten Augen vor dem Tische. »Lottchen, wenn wir nun auf einmal adelig werden, dann kommen gewiß auch die Franzosen und dann genade uns Gott.«

      Es war ganz stille in dem sonnigen Gemache. Sogar der Kanarienvogel schwieg. Auch das Lottchen war bleich geworden. »Aber freilich – Bubele – daran hab' ich gar nicht gedacht.«

      Und es kam. Es kam unentrinnbar wie das Verhängnis. Es kam gleichmäßigen Schrittes die Treppen empor – tapp, tapp. –

      Mit zitternden Händen riß Kanzleidirektor Blitz die angesiegelten Schnüre vom Wachstuch und schälte die Blechbüchse aus der Leinwand, öffnete den Deckel und hob das rotsamtene Libell heraus.

      Jetzt noch Kanzleidirektor Johann Friedrich Blitz – dann aber – die große vergoldete Siegelkapsel baumelte an der schwarzgelben Seidenschnur herab, das Lottchen stand hinter dem Gemahl und guckte über seine Schulter in das geöffnete Libell. Mit bebenden Lippen las der Direktor: »– – also, daß er und seine ehelichen Leibeserben sich fortan schreiben sollen, und daß ihnen geschrieben werden soll von allen Ämtern und jeglichen Standes Angehörigen für und für Blitz von Wolkenfels – –«

      Blitz von Wolkenfels –! Der Kanzleidirektor legte das Libell ganz still auf einen Stuhl, zog sein Taschentuch und schneuzte sich.

      So stand er also auf dem stolzen Gipfel, den er seit Jahren nur gleichsam im Traume über den Wolken der Hindernisse erblickt hatte.

      Frau Lotte fand, wie sich's gebührte, zuerst die Sprache. Sie wischte mit beiden Fingern beide Augen aus und lispelte selig: »O der liebe, gute Kaiser! Ganz wie's dein Wunsch gewesen ist, Bubele.«

      »Hat mir aber auch ein schwer Stück Geld gekostet,« murmelte Kanzleidirektor Blitz von Wolkenfels, trat an den Stuhl, schlug noch ein Blatt um und deutete auf das prächtige Wappen, das aus den verschnörkelten Buchstaben des Adelsbriefes hervorleuchtete, auf den schroffen, blauen Berg, von dessen wolkenverhülltem Haupte der goldene Wetterstrahl in den schwarzen Schild hineinzuckte. »Wir wollen jetzt nur an das Angenehme denken, Lottchen!« Er breitete die Arme aus, und wie ein Täubchen flatterte das Lottchen – sank Frau Lotte Blitz von Wolkenfels – piepsend an seine Brust.

      »Es wird große Veränderungen geben,« sagte der Kanzleidirektor und blickte mit weitgeöffneten Augen in die Ferne. »Mit diesem Adelsbriefe werde ich vor Seine hochgräfliche Exzellenz treten und werde sagen: Exzellenz, bis hierher und nicht weiter.«

      »Ich glaube dich zu verstehen – Bubele, du willst, daß er künftig nimmer du zu dir sagt –?« Sie blickte ihn fast erschrocken an.

      »Es wird schwer halten, aber ich will's versuchen. Ich werde ihm sagen: Hochgräfliche Exzellenz, auch der Wurm hat seine Ehre –.«

      »Aber was werden die andern dazu sagen, Bubele? Die wird er ja doch noch duzen, meinst du nicht auch?«

      »Das steht bei ihm. Mit mir aber wird das eine große Veränderung geben, Lotte.«

      »O, Bubele, was für ein Glück!« Und sie weinte nun wirklich, während sie stoßweise hervorbrachte: »Was – wird – die Frau Kanzleirätin Müller und die Frau Kanzleirätin Roßmeier und die Frau Doktorin und die Frau Dekanin und die Frau Baronin dazu sagen –?«

      Abermals ertönte die Hausglocke, und Frau Lotte schwebte dem Fenster zu. »Bubele, da kommen sie nun zu viert, die drei Kanzleiräte und der Assessor – und sagst du's ihnen jetzt gleich? Oder wissen sie's vielleicht schon?«

      »Ums Himmels willen – fort, fort mit dem Briefe – kein Wörtlein Lottchen; jetzt nicht!« Er sah verstört aus und atmete schwer. Und mit zitternden Händen raffte er das rote Libell und den Blechkasten und das Papier samt der Wachsleinwand zusammen und rannte damit aus der Stube.

      Noch immer standen die Viere vor dem Hause des Direktors, noch immer blickte das Lottchen durch den Spiegel um die Ecke. Dann aber trat sie auf die eiserne Falle im Fußboden.

      Kanzleidirektor Blitz – vorderhand nur Blitz; den Wolkenfels hatte er draußen aufs Bett gelegt – betrat nun wieder das Gemach, und das Lottchen band sich die Schürze ab und ging den Herren bis an die Stiege entgegen.

      »Hoffentlich nichts Unangenehmes für mein Männchen?«

      Der erste Kanzleirat blieb auf der halben Stiege stehen und verneigte sich tief: »Läßt sich nicht immer vermeiden, Frau Kanzleidirektor, zumal nicht in Kriegszeiten.«

      »Aber justament jetzt, wo Sie doch wissen, daß mein Männchen tagtäglich seinen Kaffee trinkt?«

      Der erste Kanzleirat war nun ganz heraufgekommen, verneigte sich abermals und flüsterte zu Frau Lotte geneigt ein paar Worte.

      Die Frau Direktor schlug die Hände zusammen: »Schonend, meine Herren, schonend, ich bitte Sie –!« brachte sie drohend heraus.

      »Seine Gnaden der Herr Kanzleidirektor würden es uns mit vollem Rechte verdenken, wenn wir ihm diese Nachrichten vorenthalten wollten,« meinte der zweite Rat.

      »Zudem habe ich ein hochgräfliches Handschreiben,« fügte der erste Kanzleirat bei.

      Frau

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