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sah der regierende Herr zu Boden. »Recht hast du, Geschmeiß ist's,« murmelte er. »Und um Geschmeiß darf sich der Adler nicht kümmern.«

      »Geschmeiß habe ich keineswegs gesagt,« flüsterte der Erbgraf. »Aber das sage ich, der Herr Papa hat jetzt Besseres zu tun, als sich mit einem Schneider auseinanderzusetzen, der höchstdemselben ja noch nicht im geringsten zu nahe getreten ist.«

      »Du hast recht, zu nahe ist mir der Schneider allerdings noch nicht getreten. Aber wenn er mir zu nahe träte?«

      »Und ich habe dem Herrn Papa so wichtige Nachrichten zu bringen, daß ich bitten muß, mich mit in den Wagen zu nehmen. Wir müssen fliehen, Herr Papa – aber nicht vor diesen da!« Er deutete mit den Augen rückwärts auf das neugierige Volk.

      »Fliehen?« Der alte Herr stand mit offenem Munde. »Wer kann mich zum Fliehen zwingen?«

      »Menschen nicht, aber die Ereignisse,« flüsterte der Erbgraf.

      Und also fuhren Vater und Sohn durch das Städtchen zum Schlosse empor.

      Der alte Graf war bleich und saß gebeugt auf dem seidenen Kissen. Der Erbgraf hatte alles berichtet, was er wußte, saß mit gekreuzten Armen und starrte finster vor sich hin.

      Nach einer Weile sagte des regierenden Herrn Exzellenz: »Du hast heute den Rappen geritten?«

      »Jawohl.«

      »Der Rappe ist vorderhand noch mein Leibpferd, Herr Sohn.«

      »Um Vergebung, der Rappe ist das schnellste Pferd in Ihrem Stall; es war Gefahr im Verzug, und ich dachte, mit meinen fünfunddreißig Jahren doch –«

      »Fünfunddreißig Jahren? Vorderhand bestimme ich noch die Wahl deiner Reitpferde. Vorderhand. Wenn ich einmal modere in meiner Gruft, dann kannst du die Bestimmung treffen nach deinem Belieben.«

      »Wie Sie befehlen, Herr Papa.«

      *

      Das Licht der Nachmittagssonne fiel gedämpft durch drei hohe Fenster in das geräumige Wohngemach des Kanzleidirektors und warf den Schatten der Fensterkreuze samt dem Muster der blühweißen Gardinen schräg auf den blanken Bretterboden. An den Wänden hingen etliche große, roh gemalte Familienbilder, wohlgenährte Männer und Frauen aus älterer Zeit; auf dem zierlichen Tische vor dem achtbeinigen Sofa blinkte das Porzellan des Kaffeezeuges; in der Ecke leuchtete mattglänzend aus einem Glaskasten der nicht unbedeutende Silberschatz des Hauses. Hinter den Gardinen des einen Fensters aber hing das Vogelbauer mit dem gelben Harzer, und das Vögelein probierte nur je zuweilen in leisen Tönen seine Kehle, als wüßte es, daß es vorderhand pflichtgemäß zu schweigen hatte.

      Vorderhand. Denn jetzt regte es sich hinten in der Ecke am eisernen Ofen in dem altväterischen Ohrenstuhl, zwei rosige Fäustlein wischten sachte über zwei Äuglein, gähnend öffnete sich ein Mund, zwei Beinchen in schwarzseidenen Strümpfchen strampelten ein wenig auf dem Fußpolsterchen, und die Stimme des Kanzleidirektors ließ sich zwischen Gähnen behaglich vernehmen: »Hab – ich – aber – nun – gut geschlafen, Lottchen! Kaum glaublich nach der schrecklichen Aufregung der Revue.«

      Stärker begann der Harzer zu zwitschern, und schwebenden Schrittes kam das Lottchen aus ihrer Fensternische vom Nähtischlein her. Und sie trat neben den alten Herrn, beugte sich herab und hauchte einen Kuß auf seine Stirne: »Gott segne deinen Schlaf und dein Erwachen, Bubele! Und sag, hab' ich also nicht recht gehabt? Zuerst dein gewohntes Schläfchen, dann das Kaffeele und ein gemütliches Schwätzlein und dann meinetwegen wieder die schweren Amtssorgen.«

      »Freilich hast du immer recht, Lottchen. Aber mich wundert's doch, daß ich heute den Schlaf hab' finden können.«

      »Das kommt von deinem guten Gewissen, Bubele.«

      Der Kanzleirat erhob sich: »Und davon kommt's, daß ich gar nicht an Franzosen und an Durchmarsch glauben kann, und wenn auch der allergnädigste Herr seine Soldaten mustert und der gnädigste junge Herr noch so geheim tut.«

      Starker Kaffeeduft erfüllte den sonnigen Raum, und das rundliche, rosige Antlitz des Kanzleidirektors Blitz, der nun auf dem Stuhl am Tische saß, erstrahlte von Wohlbehagen. Hinter ihm aber stand das würdige Lottchen, hob sorgsam das Zöpflein des Herrn und Gemahls, das nette Zöpflein mit der großen, schwarzen Bandschleife, und schlang die Serviette mit leichtem Knoten in seinem Nacken.

      Kanzleidirektor Blitz hatte die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, ließ Daumen um Daumen kreisen und sog schmunzelnd den Kaffeeduft in die Nase. Dann aber verzog sich sein zufriedenes Gesicht wie das eines Menschen, den unvermutetes Zahnweh befällt, zwischen seinen grauen Augenbrauen ward eine Sorgenfalte sichtbar, und ärgerlich murmelte er: »Wie behaglich könnten wir nun leben, meine Liebe. Ich bin ein angesehener Mann –«

      »Ein hochangesehener Mann, Bubele,« fiel sie eifrig ein.

      »Wir haben auch nicht umsonst gearbeitet und gespart.«

      »Ganz gewiß nicht umsonst,« bestätigte sie mit gefalteten Händen.

      »Unser Sohn –«

      »Der Kurfürstliche Regierungsadvokat und Doktor beider Rechte,« unterbrach ihn das Lottchen mit leuchtenden Augen.

      »– ist im Begriff, eine glänzende Verbindung einzugehen.«

      »Und unsre Tochter, die Baronin,« nahm nun Lottchen das Wort und wischte das linke Auge, das zu tropfen begann; denn sie litt sehr an einer chronischen Verstopfung der Tränendrüsen.

      »Wir wissen's ja!« rief er. »Und meine hohen Gönner in Wien – jeden Tag kann die Post den kaiserlichen Brief bringen –.«

      »Gott segne das Werk unsrer Gönner, Blitz, und segne unsre Kinder und Kindeskinder nach uns!« rief sie mit Andacht.

      »Johann Friedrich und Charlotte Blitz von –!« sagte er feierlich.

      »Um Gotteswillen Bubele!« Sie verschloß ihm den Mund. »Ich bitte dich, beschrei's doch nicht zur unrechten Zeit!«

      »Ach was –!« Er zog ihre Hand von seinem Munde, neigte sich aber sogleich und drückte einen artigen Kuß auf ihre Finger. »Wir müssen uns nun der Kourtoisie befleißigen, Lottchen.«

      »Das haben wir von jeher getan, und unser Haus ist bekannt als Heimstätte vornehmen Tones,« hauchte sie und goß den dampfenden Trank in seine Tasse, hob mit der silbernen Zange zwei Zuckerstückchen aus der silbernen Dose und warf sie hinein.

      »Also, wie schön wäre es, wie friedlich könnte es sein, wie zufrieden könnten wir dahin leben, unserer ewigen Bestimmung entgegen –«

      Sie hatte das Rahmkännchen gefaßt, aber sie stellte es wieder auf die Decke und schloß ihrem Herrn zum zweiten Male den Mund: »Bubele, ich bitte dich, heute bist du so philosophisch gestimmt.«

      Kanzleidirektor Blitz schob ihre Hand zum zweiten Male zurück, aber nun hauchte er keinen Kuß auf ihre Finger. Zornig stieß er hervor: »Wenn diese Jakobiner nicht auf der Welt wären!«

      »Diese Sünder, diese abgebrühten,« bestätigte Frau Lottchen und goß sorgsam den Rahm durch das Geflechte des silbernen Seihers.

      »Diese Jakobiner!« wiederholte er mit einem tiefen Seufzer. Und er wußte das Wort so verächtlich auszusprechen, als wäre er der regierende Graf. Es ging Frau Lottchen durch Mark und Bein. Er aber begann in dem dampfenden Trank zu rühren.

      »Wo die einmal schmoren müssen!« sagte die Frau Direktorin und wischte ihr linkes Auge, legte ihrem Gemahle einen Ausschnitt vom flaumigen Kuchen auf den Teller und goß nun endlich auch Kaffee in die eigene Tasse.

      »Wo die einmal schmoren müssen!« Dieser Seufzer war das letzte Glied in jeder Gedankenreihe, die sie dem bösen Weltlauf widmete. Und ihre Phantasie konnte sich den Vorgang so lebhaft ausmalen: der wehrlose Bösewicht wurde zum Schmorbraten, und neben ihm stand an Stelle der Köchin ein hageres Teufelchen und übergoß ihn von Zeit zu Zeit aus einem Schöpflöffel mit dem selbsteigenen Angstsafte, der aus all seinen Poren hervorquoll. Und in diesem Schmoren erkannte die

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