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über den alten Guckenkel zu seinen Füßen hinüber zur hohen Kirche.

      Der Graf hatte die goldene Sackuhr gezogen und starrte auf das Zifferblatt. »Fünf Minuten,« sagte er nach einer Weile.

      Der Mann am Brunnen schlug unaufhörlich das Kalbfell.

      »Zehn Minuten,« sagte nach einer Weile der Graf.

      »Halten zu Gnaden –« begann Blitz.

      »Maul halten!« entschied der Graf. Und als die Zeit um war, sagte er mit hohler Stimme: »Fünfzehn Minuten –!«

      »Jetzt kommt der Hauptmann!« rief Blitz erleichtert.

      Der große, dicke Hauptmann rannte quer über den Markt und hängte sich soeben noch den Säbel um die Schulter. Da winkte der Graf dem Trommler ab. Keuchend stand der Hauptmann vor seinem Landesherrn. Und nun stolperten auch von der andern Seite her, hintereinander, drei Soldaten über das Pflaster und stellten sich vor dem Brunnen in einer Reihe auf. Zwei von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet.

      »Sind das alle Unsere Soldaten?« fragte der Landesherr verwundert.

      »Im ganzen sind's elf hochgräfliche Jägergardisten zu Fuß und ein Leutnant,« meldete der Hauptmann.

      »Ja, wo sind denn aber Unsere anderen Soldaten?« fragte der Graf. Und fragend wandte sich der Hauptmann zu der bewaffneten Macht.

      »Unser zwei haben die Torwacht,« meldete der Gefreite Günzel.

      Der Graf zählte an den Fingern: »Sind fünf, mit dem Trommler sechs. Und wo sind Unsere fünf anderen Soldaten?«

      »Der Scholl ist zum Schweineschneiden über Land gegangen,« meldete der Gefreite.

      »Dazu hab' ich ihm Urlaub gegeben,« bekannte der Hauptmann.

      »Und der Wagner hat das Zipperle, der liegt im Bett,« sagte der Gefreite.

      »Sind acht,« bemerkte Seine hochgräfliche Exzellenz.

      »Und der Endersch und der Löblein –.« Der Gefreite räusperte sich und präsentierte krampfhaft sein Gewehr.

      »Wo ist der Endersch und der Löblein?« forschte der Graf.

      »Der Endersch tut schlafen, und ich kann ihn nit wach kriegen,« sagte der Gefreite.

      »Und warum schläft Unser Soldat Endersch –?« Die Stimme des Grafen zitterte merklich.

      »Halten zu Gnaden, hochgräfliche Exzellenz, weil er gestern nacht dem Herrn Kanzleidirektor seinen Abtritt geräumt hat.«

      »Sind neune,« sagte der Graf mit Haltung. »Und wo ist Unser zehnter Soldat?«

      »Der Löblein muß doch dem Herrn Kanzleirat Müller alle Tage die Gäns hüten,« sagte der Gefreite.

      »Sind zehn,« rechnete der Graf. »Und wo ist Unser elfter Soldat?«

      Der Gefreite schwieg und sah auf den Direktor.

      Der wurde rot und blaß, preßte seinen Hut noch fester unter die Achsel, nahm einen Anlauf und stotterte: »Es könnte sein – ich vermute – es ist mir, als ob der Jägergardist Grenkel unsern Mägden beistehe – ja wohl, ich glaube, meine liebe Frau läßt heute Bettfedern schleißen, und da hilft er.«

      »Und wo ist Unser Leutnant?« forschte grollend der Graf.

      »Der Leutnant von Tibaldi ist über Land, ins Preußische gefahren,« meldete der Hauptmann.

      »Und warum ist Unser Leutnant von Tibaldi über Land ins Königlich preußische Territorium gefahren?« Der Graf bebte nun vor Zorn.

      »Halten zu Gnaden, hochgräfliche Exzellenz, des Leutnants Frau Tochter ist von einem Knaben entbunden worden, und da feiert der Leutnant die Taufe seines Enkelsohnes,« bekannte der Hauptmann.

      Allgemach waren aus den Haustüren ringsumher die Leute gekommen und erlustierten sich, wie der alte Herr die Schau hielt über seine Truppen. Da wandte sich dieser und sah in einiger Entfernung hinter sich einen großen Haufen Menschen stehen. Vor diesem Haufen aber stand der Schneider Koram mit der roten Mütze auf dem Schädel.

      »Gute Leute, was wollt ihr denn eigentlich? Haltet doch nicht Maulaffen feil am hellen Alltag, sondern geht an eure Hantierung!« rief der Graf.

      Die guten Leute standen unbewegt; der eine und der andere stieß seinen Nachbarn in die Seite, der Schneider Koram aber warf seine rote Mütze empor und fing sie geschickt wieder auf.

      Ängstlich trippelte der Kanzleidirektor an den Regierenden heran und wagte es, höchstdenselben am Ärmel zu zupfen.

      Zornig drehte sich der Graf um: »Was unterstehst du dich, Blitz?«

      »Wollen Eure hochgräfliche Exzellenz gnädigst bedenken, daß der gemeine Pöbel heutigen Tages leicht in Versuchung kommt, den Respekt zu verletzen.«

      Der alte Herr wurde braunrot, riß seinen Hut vom Kopfe und schleuderte ihn aufs Pflaster: »Wer will sich unterstehen, den Respekt gegen Uns zu verletzen?«

      Der Kanzleidirektor, der Hauptmann, die drei Soldaten samt dem Trommler stürzten sich auf den Hut und balgten sich im Knäuel um die Ehre, ihn aufzuheben. Der Trommler aber blieb Sieger und präsentierte den hochgräflichen Hut auf der Trommel. Der Kanzleidirektor trat keuchend zurück, faltete die Hände und flüsterte bebend: »Kein Mensch gedenkt den Respekt zu verletzen, hochgräfliche Exzellenz. Doch es könnte sein, daß das aufgeregte Volk –«

      Der alte Herr stampfte: »Unser Volk hat nicht aufgeregt zu sein! Und wenn es dennoch aufgeregt ist, dann haben meine Beamten ihre Pflicht verletzt, und das Weitere wird sich finden.«

      Noch immer stand der Kanzleidirektor mit gefalteten Händen, noch immer warf drüben vor dem großen Menschenhaufen der lange Koram seine Mütze in die Luft und fing sie auf, und die Leute murmelten und lachten. Da klang vom Bachtor herauf der Hufschlag trabender Pferde, und zwei Reiter bogen um die Ecke.

      »Gott sei gelobt, der Herr Erbgraf!« rief der Direktor.

      Mit einem Blick übersah der jugendliche Herr den Menschenhaufen, die Soldateska und seinen greisen Vater, sprang vom Pferde, warf dem Reitknechte die Zügel hin und ging mit langen Schritten zum Brunnen hinüber.

      Als er an den Haufen der Bürger kam, rief er mit heller freundlicher Stimme sein Gutentag hinein. Da griffen sie alle an die Kappen und machten ihm Platz. Nur Koram wandte ihm geflissentlich den Rücken und stülpte die rote Mütze über die Ohren.

      Die Soldateska präsentierte das Gewehr, und der Kanzleidirektor machte seine Kniebeuge. Aber heftig winkte der junge Herr ab, trat mit gezogenem Hut vor seinen Vater und sagte ganz leise: »Schlechte Nachrichten, Herr Papa. Morgen werden die Franzosen hier sein. Zunächst Infanterie. Aber ich bitte dringend, die Nachricht vorderhand noch geheim zu halten.«

      »Später, mein Sohn!« rief der alte Herr. »Zuerst muß ich abrechnen mit diesen Revolutionären –!«

      »Aber ich bitte Sie, Herr Papa, wer revoltiert denn?« begütigte der Sohn mit leiser Stimme. »Und wollen wir nicht lieber etliche Schritte abseits gehen? So, nun hört uns niemand, ehrerbietigsten Dank.«

      »Ich habe diesem Pack da befohlen, sie sollen heim gehen,« sagte der Graf; »aber sie gehen nicht heim. Und das ist eine Revolution.«

      »Aber ich bitte Sie untertänigst, Herr Papa, die Leute haben Höchstihren Befehl gewiß nur nicht verstanden.«

      »Ich will ein Exempel statuieren!« Der alte Herr stampfte. »Vor achtzig Jahren hat mein Großvater den Bürgermeister dieser Stadt auf diesem Marktplatze höchsteigenhändig mit seinem Stocke durchgeprügelt, weil er den Hut nicht tief genug vor ihm gezogen hatte, – und ich sollte – –«

      »Vor achtzig Jahren!« sagte der Erbgraf mit eindringlicher Betonung.

      »Und siehst du, wie der lange Kerl da drüben seine rote Mütze immer wieder in die Höhe wirft? Was hindert mich, daß ich ihn –?«

      Der Erbgraf war

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