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viel zu klein saß das Hütlein Pieperichs auf seinem runden Schädel. Ein verächtliches Lächeln ging über sein faltiges Gesicht: »Den Jourdan meinen Sie, Herr Kollege, den Franzosen? Ei, so was kann doch mich nicht aus meiner Ruhe bringen.«

      Pieperich versuchte aufs neue, den fremden Hut auf der Stirne zu rücken, und schob ihn endlich mit einem kühnen Griff in den Nacken. Und eifrig wollte er dem Herrn Konrektor erklären, warum er so große Hoffnungen auf General Jourdan setze. Konrektor Knorzius aber löste bedächtig die Hände vom Rücken, streckte abwehrend die Rechte nach vorne, schüttelte den Kopf und sagte: »Was fällt Ihnen ein, Herr Kollege? Meinen Sie wirklich, mich kümmert, was diese hohen Herren miteinander ausmachen?« Er kniff die Lippen ein und schloß die Äuglein bis auf einen schmalen Spalt, und aus dem Spalt glitzerte es schwarz hervor. »Haben Sie schon einmal den schönen Spruch der Landsknechte gehört? Was, Sie haben ihn nicht gehört? Dann haben Sie gar nichts gehört.« Und mit leiser, singender Stimme sprach er:

      »Was kümmert mich der Kaiser

       und was das deutsche Reich?

       Es sterb' heut oder morgen,

       das gilt mir alles gleich.«

      Studienlehrer Pieperich fuhr auf, daß ihm der große Hut bis über die Augen herabsank. »Gewiß, Herr Konrektor, ganz meine Ansicht. Besser heut als morgen. Aber auf die Wälle der eroberten Festung pflanzen die Franzosen die Bäume der Freiheit –!«

      »Die Bäume der Freiheit?« Konrektor Knorzius hatte die Hände wieder auf den Rücken gelegt, gar lustig saß das Hütel auf seinem Schädel, und das Spitzbäuchlein fuhr hin und her. »Die Bäume der Freiheit? Lassen Sie sich nicht auslachen, Kollega. Die Großen dieser Erde werden niemals auf Freiheitsbäumen, sondern immer auf Kirschbäumen sitzen und werden brav Kirschen essen und der misera contribuens plebs die Kerne auf die Köpfe spucken. Das war so und ist so und wird so bleiben. Und ich will's ihnen gönnen, wenn sie mir nur mein täglich Brot und meine Bücher, meinen Tabak und meine Ruhe lassen. Wie ich dann regiert werde, hochgräflich oder kaiserlich oder republikanisch, das ist mir alles, alles gleich, und zufrieden will ich sagen: ubi bene, ibi patria. Und meinen Sie nicht –?« Er machte nun ein nachdenkliches Gesicht. »Könnte man das Landsknechtsprüchlein vielleicht gar in klassisches Griechisch übersetzen?«

      Empört sah Studienlehrer Pieperich unter dem breiten Hutrande hervor, lüpfte den Hut und sagte hastig: »Um Vergebung, Herr Konrektor – es ist mir in diesem Augenblick nicht zum Scherzen.«

      Da drohte der andere mit dem Zeigefinger und lächelte spöttisch.

      Dann gingen sie dahin und dorthin, und auf dem Dickkopfe saß das Hütel, auf dem Spitzkopfe lastete der Hut.

      2. Höher hinan!

       Inhaltsverzeichnis

      In vornehmer Ruhe starrten die Türme und Giebel des alten Grafenschlosses hoch droben auf dem schroffen Felsen über der kleinen Stadt in die flimmernde Sommerluft – in Ruhe und in sicherem Frieden, als gäbe es keine Franzosen und als stünden des Kaisers Heere anstatt der weitgedehnten Wälder auf den langgestreckten Hügeln hinter den grauen Mauern, des Kaisers Heere zu ihrem Schutz und Schirm. Und scheinbar in demütiger Ruhe blinkten die Schindeldächer des Städtleins drunten am Fuße des Felsens unter den Strahlen der Julisonne, friedlich, als hinge keine Proklamation Jourdans am schwarzen Brette des Rathauses, als dächte Schneider Koram an gar nichts anders, als an zerrissene Hosen und Röcke.

      Und selbstzufrieden, als hätte er heute vormittag höchsteigenhändig den letzten Strich getan am Defensionsplan des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wandelte der wohledelgeborene Kanzleidirektor Blitz im Schatten der Linden um die Bollwerke der Haupt- und Residenzstadt seines gnädigsten Grafen und Herrn.

      Zweimal hatte er auf seinem Spaziergang in das obere Tor geguckt, aus dem die Straße steil anstieg zum Schlosse, zum zweiten Male kam er an das untere, das Bachtor, und zum zweiten Male legte der hochgräfliche Soldat gemächlich sein Strickzeug auf die Steinbank, ergriff sein Gewehr und präsentierte es vor dem höchsten Beamten der Grafschaft.

      Mit vornehmer Gelassenheit, genau so wie Seine hochgräfliche Exzellenz, nickte der Kanzleidirektor höchstseinen Dank; denn seinen Dreispitz trug er unter dem linken Arme. Und nun bog er in den schattigen Baumgang ein, zwischen dem die Straße zum Städtlein emporlief, und schritt würdevoll talwärts unter den Linden dahin.

      Er machte sich auf Befehl des hochgräflichen Leibarztes Motion, wie jeden Tag nach dem Mittagessen, eine Stunde lang. Und er war zufrieden mit sich und der Welt.

      Da rollte im scharfen Trabe eine herrschaftliche Kutsche die Straße herauf, und der Kanzleidirektor wechselte über den Graben auf die Wiese hinüber. Dort wartete er mit dem Dreispitz unter dem Arm.

      Ehe aber die Pferde auf gleiche Höhe kamen, streckte er das rechte Bein steif hinter sich und sank ins linke Knie. Diese Art der Reverenz hatte Seine hochgräfliche Exzellenz vor Jahren mit höchstem Wohlgefallen auf einem alten Holzschnitte entdeckt und sie allsogleich seiner gesamten Beamtenschaft durch ein gestrenges Mandat zur Vorschrift gemacht.

      Noch stand der Direktor unbewegt, da parierte der Kutscher die Pferde, und die schneidende Stimme des Grafen rief aus dem offenen Wagen zurück: »Blitz!«

      Der raffte sich auf und rannte an den Wagenschlag. Er machte sein demütig-freundlichstes Gesicht. Aber der alte, hagere Herr auf den seidenen Kissen sah ihn so streng an, daß ihm das untertänige Lächeln in einem angstvollen Grinsen erstarrte.

      »Blitz, Wir dächten, du hättest heute Wichtigeres zu tun, als da im Schatten herumzulaufen!«

      »Halten zu Gnaden, hochgräfliche Exzellenz, nur meine gewöhnliche nachmittägliche Motion auf ärztlichen Rat.«

      »Blitz, Wir fürchten, die Franzosen kommen. Welche Maßregeln hast du getroffen?«

      Nun hatte der Direktor seine Haltung wieder gewonnen. Er streckte sich wie ein Gockel und schlug mit den kurzen Ärmchen, als wären es Flügel. »Die Franzosen? Oh! Wir stehen unter dem Schutze Eurer hochgräflichen Exzellenz und des allmächtigen Gottes. Fürs erste vermute ich, daß sich die Franzosen überhaupt nicht so weit abseits verirren werden. Fürs zweite aber würden sie die unantastbare, durch die Jahrhunderte geheiligte Reichsstandschaft Eurer hochgräflichen Exzellenz ohne allen Zweifel respektieren müssen, und ein Hauch aus Höchst-Ihrem Munde würde genügen, alle Gefahr von Höchstdero Landen abzuhalten. Deshalb habe ich besondere Maßregeln bisher für unnötig erachtet.«

      »Dummes Geschwätz!« rief der Graf nicht ganz unfreundlich. »Diese Leute haben doch ihrem eigenen König den Kopf abgeschlagen, da werden sie auch einen deutschen Reichsgrafen nicht sonderlich respektieren. Jedenfalls aber müssen wir die Mauern unserer Residenzstadt besetzen. Und deshalb gedenken wir jetzo eine Revue über Unsre bewaffnete Macht abzuhalten. Hupf auf den Bock, Blitz!«

      »Aber hochgräfliche Exzellenz –?«

      »Allez – hupf!«

      Kanzleidirektor Blitz kletterte auf den Bock und saß nun barhäuptig, mit betrübtem Gesicht neben dem Kutscher. Die Pferde zogen an, und der Wagen rollte dem Tore entgegen. Der Wachsoldat rief in die Torstube, der Trommler rannte heraus und schlug einen Wirbel. Der Wachsoldat präsentierte, und der Wagen hielt.

      »Allez, auf den Marktplatz, Generalmarsch schlagen!« befahl der Graf. Und während sich der Trommler in Trab setzte, zogen die Pferde den Wagen schrittweise die enge Straße empor. –

      Am Grafenbrunnen stand der Trommler und bearbeitete wie wütend das Kalbfell. Zu Fuß kam der alte regierende Herr. Ihm folgte der Direktor. Vor dem Fetten Ochsen drüben hielt der Wagen.

      Kanzleidirektor Blitz stotterte seitwärts von hinten her: »Ich fürchte – hochgräfliche Exzellenz – die Soldateska ist nicht in der Verfassung, daß –«

      »Halt 's Maul, Blitz! Die Soldateska hat immer in Verfassung zu sein.«

      Ringsumher hatten

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