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Augen leuchten von dem göttlichen Funken, den jeder von ihnen haben muß, weil er sich entzündet hat an den Fackeln der Freiheit. Siehst du das Heer der Rächer?«

      Sie standen oben im Vorplatze, der Kleine riß sich los, sprang in die Mitte des Platzes und rief mit schallender Stimme: »Burschen heraus! Was wir furchtsam hinter verschlossenen Türen halblaut einer dem andern ins Ohr geraunt, was uns die Wissenden ins Herz gelegt haben, was wir schon fast nimmer zu hoffen wagten – es wird offenbar, es wächst vor unseren Augen empor, es wird zur Wirklichkeit. Burschen heraus! Schon sehe ich sie hoch oben auf dem altersmorschen Bau, und sie schlagen das löcherige Dach ein, und die Sonne scheint hindurch, und sie reißen die fauligen Balken heraus, und die Fledermäuse schwirren entsetzt hervor und taumeln umher und – siehst du? – bis auf den Grund wird es niedergerissen, das brüchige Haus, Römisch Reich genannt, und auf das Zauberwort aus Westen steigt ein neuer Tempel empor, zehnmal größer, mit gewaltigen Toren, geöffnet nach allen vier Enden der Erde, und sie kommen von Morgen und Abend und Mittag und Mitternacht, tragen Friedenspalmen in den Händen und ziehen ein in die vier Tore, opfern dem Herrn aller Herren und sinken sich in die Arme – Hermann – und küssen sich, selig wie die Engel im Himmel!«

      Er hatte die Bücher auf den Boden geworfen, sank dem Freunde an die Brust, lachte und weinte und küßte ihn, daß es schallte, und rief immer wieder: »Burschen heraus!«

      Der Arzt aber entwand sich ihm lachend und sagte: »So denkst du dir die Geschichte? Herrgott, müßt' aber das langweilig werden.«

      Ein klägliches Piepsen kam aus der Stube, und in der geöffneten Tür erschien eine Frauengestalt. »Aber liebster Johannes, warum sprichst du denn gar so laut?«

      »Verzeihen Sie, Frau Studienlehrer, ich kann nichts dafür,« erklärte der Arzt und verneigte sich.

      »Das kann ich mir denken, Herr Doktor. Aber nun ist unser kleiner, namenloser Heide aufgewacht –«

      »Kleiner, namenloser Heide?« Der Studienlehrer fuhr sich mit fünf gespreizten Fingern ins lange Haupthaar. »Nun hab' ich's – er wird Jourdan getauft.«

      »Aber Bruder, ich bitte dich!«

      »Jourdan!« rief der Lehrer und begann auf einem Bein zu tanzen.

      Das Piepsen in der Stube war in kräftiges Schreien übergegangen, und als Grundmelodie ertönte der Gesang einer Frauenstimme.

      »Kann denn das auch als ein christlicher Name gelten?« fragte Frau Johanna ängstlich.

      »Was christlicher Name! Ich sag' euch, der Name Jourdan wird einst in einem Atem genannt werden mit Hermann dem Cherusker, mit Themistokles, mit – ja mit allen großen, völkerbeglückenden Helden, und mein Erstgeborener heißt Jourdan Pieperich.«

      Jourdan Pieperich begann zu brüllen, seine Mutter verschwand hinter der Türe, und der begeisterte Vater versuchte den Freund in seine Studierstube zu ziehen.

      »Verzeih, lieber Bruder, nun hab' ich leider keine Zeit mehr,« sagte der Arzt und wandte sich der Stiege zu.

      »Keine Zeit?« Der Studienlehrer machte ein betrübtes Gesicht. »Und, Bruder, ich habe doch das Herz so voll und – und –. Aber heute abend – weißt du was? – da setzen wir zwei Ordensbrüder uns zusammen, da legen wir unsere Kreuze zwischen uns auf den Tisch, da nehmen wir die alten Stammbücher vor und lesen uns die schönen Sprüche unserer Freunde –.« Er riß Weste und Hemd auf, zog das Ordenskreuz am roten Bande hervor, küßte es und flüsterte: »Jason vom silbernen Monde!«

      Lächelnd stand der Arzt an der obersten Stufe. »Pieperich, du bist der alte Enthusiast.«

      »Müßte ich nicht Fischblut in den Adern haben?« rief der andere, während drinnen in der Stube der kleine Jourdan Pieperich nur noch piepste zum leisen Singen der Mutter und der Magd. »Frey, dich packt's doch auch – oder nicht?«

      »Natürlich packt mich's. Aber da blicke ich auf die Natur und sehe, daß jeglicher Pflanze eine Frist gesteckt ist zum Wachsen und zum Blühen, und daß zwischen Blüte und Frucht eine gemessene Zeit liegt.«

      »Und du hoffst doch auch alles von diesem – wie heißt er gleich?«

      »Jourdan.« Der Arzt stieg die Treppe hinab. »Freilich, gar viel hoffe ich von ihm, lieber Pieperich, und was er geschrieben hat, das gefällt mir ganz gut.«

      »Lesen muß ich's!« rief der Kleine. »Paß auf: Jetzt kommt der große Tag, jetzt ist die angenehme Zeit; jetzt erleben wir die ersehnte Vereinigung aller Menschen unter dem Banner der Liebe, alle Völker werden ein Volk werden, verteidigt vom Schwerte der Wahrheit, geschützt vom Schilde der Gerechtigkeit. Durch alle Gassen möchte ich laufen und rufen zu allen Fenstern empor – Burschen heraus! Und mein Erstgeborener wird die Erinnerung an diese große Zeit Enkeln und Urenkeln verkünden. Nun aber muß ich lesen, was dieser – wie heißt er gleich?«

      »Jourdan,« wiederholte der Arzt.

      »– was dieser Jourdan meinem Volk zu sagen hat.«

      Der Doktor ritt um die Ecke, der Studienlehrer aber rannte auf den Marktplatz und schoß quer hinüber ans Rathaus. Und während er mit gespreizten Beinen vor der Proklamation stand und die hochtönenden Worte in sich einsog, kam langsam über den menschenleeren Platz der Handelsmann Ehrhardt und trat hinter den Gelehrten.

      Pieperich hatte den letzten Satz gelesen. Jetzt wandte er sich und erblickte den Weitgereisten: »Großartig – nicht?« Er sah den andern durchdringend an. Der aber schwieg und lachte höhnisch. Ärgerlich betrachtete ihn der Studienlehrer und sagte zum zweiten Male: »Großartig – oder nicht?« Der Handelsmann zuckte die Schultern. Endlich murrte er: »Jawohl, wie eine Lektion zum Übersetzen.« Und nun begann er mit Händen und Füßen zu agieren, als stünde er auf der Bühne, und deklamierte die ersten Sätze der deutschen Kundmachung – in französischer Sprache.

      »Hören Sie einmal!« Studienlehrer Pieperich war ehrlich entrüstet. »Sie treiben da Spott mit den erhabenen Worten eines Ehrenmannes, und ich möchte Ihnen doch raten –«

      »Spott? Wenn ich die Worte des Franzosen aus unserm ehrlichen Deutsch übersetze in sein fuchsiges Französisch? Und was möchten Sie mir denn raten?« Der Handelsmann sah seinen Gegner trotzig an.

      »– die Absicht dieses Mannes pietätvoll zu prüfen,« sagte der Studienlehrer mit Hoheit.

      »Heiliger Gott!« Der Handelsmann schlug die Hände zusammen. »So kann doch auch nur ein Deutscher reden, wenn der Feind seine Horden heranwälzt, wenn die Kriegsfurie einherbraust, wenn es sich um Freiheit, Ehre, ja vielleicht ums Leben handelt –!«

      »Und wer sagt Ihnen, daß er als unser Feind kommt?« fuhr der Studienlehrer auf.

      »Mein Verstand und mein Gewissen, Herr Doktor,« antwortete der Handelsmann mit Würde.

      »Ich denke doch,« meinte der Lehrer nicht ohne Überlegenheit, »man muß alle diese Ereignisse gleichsam vom Turme wissenschaftlicher Erkenntnis herab überschauen, und erst aus dem Vergleich der Gegenwart mit der alten und ältesten Vergangenheit kann solch hoher und allein richtiger Standort gewonnen werden. Ich meinerseits sehe den Söhnen der Freiheit mit den besten Hoffnungen, ja mit ehrlichem Enthusiasmus entgegen.«

      Er wandte sich ohne Gruß und lief über den Marktplatz.

      Der Handelsmann trug seinen zornroten Kopf in seinen Laden zurück.

      Studienlehrer Pieperich hatte auch einen roten Kopf, er lief und sah vor sich hin und achtete auf nichts. So rannte er um die Ecke der Pfarrkirche und stieß an einen Mann, der gemächlich einherspazierte. Und er stieß so heftig an diesen Mann, daß ihrer beider Hüte aufs Pflaster flogen.

      Studienlehrer Pieperich raffte die Hüte auf, stammelte höfliche Worte der Entschuldigung und hielt dem andern beide Hüte hin. Und der andere nahm auch richtig den Hut Pieperichs und setzt ihn murrend auf sein Haupt. Pieperich aber stülpte den falschen Hut über seine Locken. Verlegen rieb er die Hände: »Um Vergebung, Herr Konrektor, man hat eben in dieser Zeit so manches im Kopfe.« Und er lüftete den großmächtigen Hut des Konrektors; doch allsogleich

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