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Kerderngrabstein aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

      Noch kniete das Weib und fuhr mit den Fingern die schönen Umrisse nach, wischte an dem Steinbild, wischte auf dem Schildfeld und rief immer wieder: »Ganz und gewiß, da ist der Spatz.« Und immer wieder brummte der Müller: »Was verstehst denn du davon!« Und das Mühlwerk klapperte im Takte dazu.

      Nochmals traten wir zurück, und neue Güsse klatschten auf den Stein, und eine Schmutzschichte nach der andern wich unter dem Besen.

      Endlich lag die ganze Platte frei, auch der Falke auf dem Helm war deutlich zu erkennen, und nun versuchten wir die Schrift zu entziffern. Vergeblich. Sie war völlig weggetreten, und wir vermochten keinen Buchstaben zu erkennen. Wem er wohl einst die stille Gruft gedeckt hatte – zum »ewigen Gedächtnis«?

      »Frau,« sagte ich, »warum hat denn Euer Vater an dem Stein so große Freude gehabt? Man sieht ja keine Schrift mehr darauf und kann ja nicht wissen, wem er gehört hat.«

      »Ja, Herr,« erwiderte die Müllerin, machte Daumen und Zeigfinger naß und löschte die Kerze aus, »ja, Herr, der Vater wird's schon gewußt haben, warum. Die Schrift hat man auch damalen noch recht gut lesen können, wer's gekonnt hat. Der Vater hat immer gesagt, ›Kreszenz,‹ hat er gesagt, ›den Stein halt' in Ehren, der Stein gehört in die Freundschaft.‹«

      »In die Freundschaft?« fragte mein Vater und trat vor die Frau. »Wie schreibt Ihr Euch denn?«

      »Kreszenz Meyer mit ey« sagte die Müllerin.

      »Ja, Martin Meyer,« bekräftigte der Mann.

      »Wie hat sich aber Euer Vater geschrieben, Müllerin?«

      »Ja, wir haben einen raren Namen. Mein Vater selig und der ganze Stamm, der auf der Mühl' gewesen ist von alten Zeiten her, hat sich Kerdern geschrieben, mein Vater hat Hans geheißen, Hans Kerdern.

      »Gibt's denn hier noch solche, die sich Kerdern schreiben, Müllerin?«

      »Ei ja freilich,« sagte sie und trat unter die Hausthüre. »Schauen's, gleich da droben, an der Stadtmauer steht mein Vatersbruder und hantiert bei seinen Fässern. Der schreibt sich auch Kerdern. Der ist der einzige noch und hat keine Kinder.«

      Wir traten noch einmal an den Stein und schauten auf das alte Zeichen unseres Geschlechts, das jetzt wieder im Dämmerlichte dalag. »Den haltet in Ehren,« sagte der Vater und gab der Müllerin und dem Müller die Hand. – –

      Draußen spielten noch die zwei Kinder. Wir blieben stehen und sahen sie an. Der Knabe hatte die derben Züge, die starken Backenknochen und den Körperbau der slavischen Rasse, die in dem Grenzland wohnt. Das Mädchen aber hatte schmale Wänglein, rundes Kinn, blaue Augen, zarte Glieder – und es war uns, als ob ein unsichtbares Band geschlungen wäre um den abgetretenen, namenlosen Stein, um das Weib des Müllers und um das Kindlein im Hofe.

      »Wie lange wird's noch dauern,« sagte der Vater, »dann haben die groben Schuhe des slavischen Müllers und seiner Knechte auf dem Grabstein da drinnen den Falken für immer verwischt – und wie lange wird's dauern, dann wird man auch das Blut des deutschen Flüchtlings im fremden Volk nimmer zu erkennen vermögen!«

      Das Handgemal.

       Inhaltsverzeichnis

      Der vorspringende Thorbau bildete mit der niedrigen Stadtmauer einen ziemlich großen Winkel, über dem ein mächtiger Kastanienbaum sein Geäste ausbreitete. Wir traten an den Zaun, der den Winkel einfriedigte.

      Unter der Kastanie brannte ein kleines Feuer, ein Mann kniete davor und hielt einen Eisenstab in die Flammen. Er hatte ein Schurzfell umgebunden, und die Ärmel seines Hemdes waren hoch hinaufgestreift. Auf dem Kopfe trug er ein schwarzes Käppchen, unter dem dünnes, weißes Haar hervorschaute. Die warme Mittagssonne lag auf den grauen Mauern und spielte um den wappengeschmückten Thorturm.

      Jetzt nahm der Greis die Stange aus dem Feuer, erhob sich, trat bedächtig auf die Fässer zu, die hinten an der Mauer aufgestellt waren, und zeichnete sie mit dem glühenden Eisen, eines nach dem andern.

      Als er fertig war, öffneten wir das Thürchen, traten hinzu und grüßten. Er rückte freundlich seine Kappe, lehnte den Stab an den Baum und steckte die mageren Hände in das Schurzfell.

      »Fleißig, fleißig?« sagte der Vater.

      »Macht sich schon,« entgegnete der Alte. »Bloß meine Fässer mit dem Handzeichen brennen, daß ich sie kenne. Sie sind gewiß Reisende?«

      »Ja,« sagte der Vater und fragte, ob er der Vetter von der Müllerin wäre und Kerdern hieße.

      »Wohl, wohl,« sagte der Alte und nickte. »Der Tuchmacher Veit Kerdern.«

      »Ich habe Euch für einen Büttner gehalten. Was thut Ihr denn mit den Fässern, wenn Ihr ein Tuchmacher seid?«

      »Nun, bei uns haben alle Bürger solche Fässer von wegen der Kommunalbrauerei, in der jeder von den eingesessenen Bürgern sein Bier brauen darf.«

      Inzwischen war ich an die Fässer getreten und sah mir das Zeichen an, das der Alte sein »Handzeichen« genannt hatte.

      Der Vater redete weiter und erkundigte sich nach den Ortsgewohnheiten – ich aber hörte nichts mehr von seinen Fragen und von den Antworten: Das Zeichen vor mir war ein roh gearbeiteter Vogel mit krummem Schnabel und starken Fängen, ich sah näher, ich tastete mit der Hand die schwarzen Ränder entlang, ich traute meinen Augen nicht: das Bild war ja der Falke aus unserm Wappen!

      Ich wandte mich und rief den Vater herzu. Der kam heran und prüfte das schwarze Zeichen. Dann sagte er leise und erregt zu mir: »Siehe da! Sein ›Handzeichen‹ hat es der Mann genannt? Ganz richtig. Es ist aber nichts anderes, als das alte Handgemal, mir dem der Deutsche sein Eigentum zeichnete, lang ehe es Wappen gab. Aus diesem Handgemal haben sich dann die Wappen entwickelt – und hier? Siehe, so laufen die menschlichen Dinge im Kreise: Das, was voreinst auf Fahnen in der Feldschlacht prangte, auf Schilden glänzte, Grüfte deckte, das brennt nach vielen hundert Jahren wieder Einer des Geschlechts als harmloses Zeichen – auf seine Fässer.«

      Er trat zu dem Alten zurück und fragte: »Ist denn Euer Stamm schon lange hier am Ort?«

      »Seit Menschengedenken sind unsere Voreltern immer in dem Ort gewesen,« erwiderte der Greis. »Ganz früher aber waren sie wieder wo anders.«

      »Wo denn?« fragte der Vater. »Wir möchten es wissen; denn wir heißen auch Kerdern.«

      Da sah uns der Letzte des vergessenen Zweiges eine Zeit lang prüfend an; dann griff er nach der Hand meines Vaters, hielt sie weitab von seinen Augen und betrachtete sie schweigend. Hierauf griff er auch nach meiner Rechten und prüfte ihre Linien. Wir standen stille und ließen ihn gewähren; denn alles, was er that, war feierlich.

      »Ja,« sagte er endlich, »Sie sind auch aus der Freundschaft. Sie haben Kerdernhände.«

      »Sind denn die so besonders?« fragte der Vater lächelnd.

      »Herr,« sagte der Greis, »besonders, gerade wie man's nimmt; die Hände sind noch viel verschiedener, wie die Gesichter. Und Sie sind aus der Freundschaft.«

      »Ja,« sagte der Vater und drückte ihm die Hand. »Und jetzt möchten wir wissen, was Ihnen über die alte Heimat bekannt ist.«

      Da reckte sich die gebeugte Gestalt des Greises hoch empor, er zog würdevoll sein Käppchen ab, und das weiße Haar glänzte wie Silber im Spiel der Sonnenstrahlen, die durch die Blätter fuhren. Er stand da wie ein Herr, streckte seinen rechten Arm aus, deutete weit hin über das breite Thal nach Osten, wo die blauen böhmischen Berge im Mittagslichte lagen, und sagte langsam:

      »Dort hinten im Böhmerland ist vor hundert und hundert Jahren ein schrecklicher Krieg gewesen, daß das Blut in den Flüssen gelaufen ist wie Wasser, und von dorther sind die Alten geflohen vor hundert und hundert Jahren.« –

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