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morsch und alt, fast tausend Jahre alt, und krachte in allen seinen Fugen. Mochte sich des Kaisers zerschlissene Herrlichkeit ostwärts bewegen mit den Fahnen seiner Regimenter. Nach Westen wendet die Köpfe! Von Westen kommt's. Hört ihr den Ton?

      Das war ein Scheuern und Fegen gewesen, gestern den ganzen Tag. Die Stuben sind heute noch naß, weit offen stehen die Fenster, und die weißen Vorhänge wehen lustig hinaus auf die Straße. Laßt die Fenster offen stehen, laßt den kaiserlichen Geruch hinaus in den goldigen Sommermorgen und lauscht dem glockenhellen Ton aus Westen.

      Die Straße ist frei, und die Franzosen können heran. Die Franzosen, hört ihr? Das werden andere Kerle sein als die plumpen Soldaten des Kaisers. Franzosen sind's; aus Paris kommen sie. Und das Wunderhorn haben sie bei sich. Hört ihr den Ton? Immer heller, immer klarer. Und ein Zittern geht über alles Volk, das erwartungsvolle Zittern der Freude.

      Und dort – jawohl, da ist's ja schon zu lesen. Dort am schwarzen Brette hinter dem Drahtgitter neben der Rathaustreppe über der Steinbank. Hat's der Nachtwind hergetragen, das bedruckte Papier – oder aber der Reiter vorhin auf dem schweißtriefenden Pferde?

      Und schon steht ein Menschenhaufe davor.

      Aber halt, da kommt auch der Handelsmann. Alle weichen ihm aus; denn er ist ein angesehener Bürger – wenn er auch mit seinen groben Reden schon so manchem Nachbarn in sein Blumenbeet getreten ist. Nun hat er's gelesen, wendet sich und geht zurück und – ja, ohne Zweifel, er spuckt nun kräftig aufs Pflaster.

      Hat er etwas gesagt?

      Wie, was hat er gesagt? Er geht quer über den Platz, in seinen Laden zurück. –

      Aber da – ei da soll doch, was hat denn der Schneider Koram für ein blutrotes Ding auf dem Kopf? Wahrhaftig, da muß man auch hinüber gehen. –

      Ein Haufe Männer und Weiber stand vor dem Anschlag am schwarzen Brette, und ganz vorn in die erste Reihe hatte sich der lange Schneider gedrängt mit der roten Jakobinermütze auf dem spitzigen Schädel.

      »Nachbar,« ließ sich einer vernehmen, »du kannst uns wohl den Gefallen tun.«

      Der Schneider wandte sich und suchte von oben herunter den Sprecher im Haufen. »Ich verstehe,« sagte er mit näselnder Stimme und verzog das faltige Gesicht, »du hast deine Brille vergessen.« Da ging ein Lachen durch den Haufen. Ernsthaft aber begann der Schneider: »Es ist eine große Botschaft vom Bürgergeneral Schurdang.«

      »Ist ja nicht wahr,« unterbrach ihn einer, »Jourdan, J–o–u–r–d–a–n– schreibt er sich.«

      »Schafskopf,« belehrte ihn der Schneider und rückte an seiner Mütze. »Das ist eben das Merkwürdige an ihrer Sprache, daß sie anders geschrieben und anders gesprochen wird.«

      Eine tiefe Stimme rief von der äußersten Reihe her: »Ganz richtig, Meister Koram.« Der Schneider fuhr herum und sah den Handelsmann, der zurückgekehrt war.

      »Ihr müßt's ja wissen, Bürger Ehrhard,« rief der Jakobiner. »Ihr habt's ja wohl von Grund aus studiert in Paris.«

      »Hab' ich, Meister Koram,« antwortete der Handelsmann. »Und ich sag' euch, Leute, die französische Sprache ist so merkwürdig, kaum zu glauben, wie merkwürdig sie ist. Ihr werdet's ja nun bald an euern eigenen Leibern erfahren. Da schreibt sich einer zum Exempel auf französisch ›Schaf‹ und auf deutsch ist er ein Fuchs oder ein Wolf.« Damit wandte er sich seinem Laden zu.

      Die Leute sahen sich an, und etliche lachten; denn sie ahnten, daß der Handelsmann einen Witz gemacht hatte. Andre verzogen das Gesicht nicht. Der Schneider aber sagte halblaut hinter ihm her: »Das soll er in etlichen Tagen auch noch probieren, der Siebengescheite, der Überstudierte. Den Schurdang hat er gemeint. Na wart nur, wenn der Schurdang kommt, der wird ihn zwischen den Fingern zerdrücken.«

      »Lies Nachbar, mach' weiter!« mahnte einer aus dem Haufen.

      Da räusperte sich der Schneider und begann: »Gegeben in meinem Hauptquartier den elften Messidor im vierten Jahre der Republik.« Er hielt inne und erklärte: »Das ist also jetzt anno 1796.« Dann fuhr er fort: »Die vielfältigen Siege der französischen Republik, das Geschrei der vom Kriege ermüdeten Völker, der nichts als Ruin und Verheerung für sie mit sich führt, die rührende Stimme der Menschheit, welche ohne Aufhören wiederholt, daß es Zeit ist, den Strömen Bluts Einhalt zu tun –«

      Eine Weibsperson rief aus dem Haufen: »Nachbar Koram, du mußt das langsamer lesen!«

      »Na also,« brummte der Schneider. »Nichts kann das verhärtete Herz eurer Souveräne rühren, nichts ist imstande, sie zu bewegen, einen Frieden zu verlangen, welcher die Ruhe und das Glück von ganz Europa bestimmen muß.«

      Bürger Koram hielt inne und wandte sich zurück. »Habt ihr das alles verstanden, Mitbürger?«

      Ein Murmeln ging durch den Haufen. Die Weibsperson aber rief: »Nachbar Koram, das ist ein gar langes Gesetz, da weiß einer zuletzt nimmer, wie's angefangen hat.«

      »Na, ja,« meinte der Jakobiner, während die andern lachten, »du hast ja recht, so will ich's euch verdeutschen. Die große Nation, das sind die Franzosen, die Republik, wo ihren König geköpft hat –«

      »Pfui Teufel!« rief ganz laut ein alter Mann im Haufen, und alle sahen sich um nach ihm.

      »Du, Nachbar, da nimm dich fein in acht mit deinem Pfui Teufel! Die Franzosen sind helle Köpfe und werden wohl wissen, warum sie ihr Haus gefegt haben. Aber laßt euch sagen, was der Schurdang meint: die große Nation will, daß die ganze Welt in Frieden und Glückseligkeit lebt, daß alles gleich und frei und brüderlich sein soll. Die Suverängs, das sind die da droben« – der Schneider Koram hob die geballte Faust dorthin, wo über den Giebeln des Städtleins das alte Grafenschloß von seinem Felsen herabschaute – »die Grafen und Fürsten und Herzöge und zuletzt der Kaiser, die wollen, daß alles ungleich bleibt und daß die Menschen unfrei und feindselig untereinander leben. Und das kann der Franzos, der wo's gut meint mit dem kleinen Mann, nimmer leiden und deswegen hat er Krieg angefangen mit unserm Kaiser. Weil's im Guten nit hat gehen können, will er's im Bösen dahinbringen, daß alle die Völker, die Deutschen und die Polaken, die Welschen und die Russen frei werden. –«

      »Und was hat der Franzos davon für einen Nutzen?« ließ sich der alte Mann vernehmen, der vorhin pfui Teufel gerufen hatte.

      »Nutzen?« Der Jakobiner rückte an seiner roten Mütze. »Ja wohl, wenn der Vater Brand keinen Nutzen sieht, nachher geht's ihm nit ein in seinen dicken Schädel.«

      Alle lachten und sahen auf den weißhaarigen Mann, der mit unbewegtem Angesicht auf den Sprecher blickte.

      »Muß denn alles einen Nutzen bringen?« rief der Schneider.

      »Also der Franzos tut's ohne Nutzen?« sagte der Alte. »Und ganz umsonst kommt er den weiten Weg marschiert, nur damit wir glücklich werden? Hm! Hernach ist halt der Franzos anders, als die Leut hierzulande sind.« Und damit wandte auch er sich und ging langsam über den Markt, stieg die Steinstufen zum Kaufladen empor und verschwand in der Türe des Bürgers Ehrhardt.

      Mit schallender Stimme aber erklärte der Schneider seinen Mitbürgern die große Mission der Franzosen, und mit Nachdruck las er die Sätze aus Jourdans Aufruf: »Täuschet euch nicht, friedsame Bewohner dieser unglücklichen Gegenden! Ihr seid es nicht, die wir zerstören wollen. Euer Eigentum soll nicht verwüstet werden. Ihr werdet eure Häuser nicht in Flammen aufgehen sehen.«

      Ein beifälliges Gemurmel ging durch den Haufen, der nun im Halbkreis um das Rathaus bis fast hinunter zum Grafenbrunnen stand.

      Und Koram las weiter: »Den Generälen, Ober- und Unteroffizieren ist aufgetragen, die strengste Disziplin unter den Truppen zu handhaben . . . kein Soldat darf plündern, keiner die Bewohner mißhandeln.«

      »Das ist ein wackerer General!« rief nun einer aus dem Haufen. Und Koram las weiter: »Die Bewohner des Landes, wodurch die Armee ziehen wird, sind aufgefordert, friedsam in ihren Wohnungen zu verbleiben. Alle die, welche mit Habschaft und Vieh als flüchtig ergriffen werden, sollen arretiert werden.«

      »Na

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