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Stube saß. »Es wird immer wilder im Städtchen.«

      »Der Reisewagen mit den Fremden fährt ab, und die Leute bringen ihnen ein Vivat. Aber sie lachen und sie stoßen sich.«

      Das Mädchen kam vom Antritt herunter in die Stube. »Was ich nun schon alles erlebt habe in den acht Wochen bei Ihnen, Frau Doktor – so viel hab' ich in den einundzwanzig Jahren bei uns draußen nicht gesehen.«

      »Ach Klara, wenn du mir nur treu bleibst.«

      »Aber warum denn nicht, Frau Doktor?« Sie machte große Augen.

      »Die Arbeit wird dir zu viel werden.«

      »Mir?« Das Mädchen reckte sich und kreuzte die Arme unter der Brust.

      Die zarte Doktorsfrau blickte mit schmerzlichem Lächeln hinüber auf die hohe Gestalt und schüttelte den Kopf. »Nein, Klara, so war's nicht gemeint. Daß du kräftig bist, das sehe ich alle Tage – hätte ich Anlage zum Neid, da könnte ich neidig werden.«

      »Nun also, Frau Doktor?« Sie hatte die Arme sinken lassen und strich über ihre schwarze Schürze, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Sehen Sie, wie kräftig ich bin?« Sie hob den Zipfel ihrer Schürze und fuhr über ihre Augen. »Nun hatte ich mir's doch ganz fest vorgenommen, wenigstens am Tage nicht mehr zu weinen, aber da sehen Sie selbst –«

      Die Doktorsfrau war aufgestanden und neben das Mädchen getreten – »du Arme!«

      »Ist ja schon vorbei,« lächelte das Mädchen.

      »Wird immer wieder kommen, Klara. Eltern kann man nur einmal verlieren, und wenn dieses Einmal erst vor einem halben Jahr gewesen ist –«

      »Dann hat man trotzdem die Pflicht, sein Leid hinunterzuschlucken und nicht bei jeder Gelegenheit überzufließen wie eine volle Wasserbutte. Aber ich werd' auch das noch bezwingen. Und nun sagen Sie selbst, warum sollte ich's nicht bei Ihnen aushalten? Wo will ich denn hin?«

      »Du kannst es anderswo besser haben als bei uns.«

      »Besser haben? Und sind Sie denn nicht so gut, so herzensgut mit mir?« Sie faltete die Hände, und wieder tropften die Tränen aus ihren Augen.

      »Arbeit von früh bis nacht und dabei viel grobe Arbeit –«

      Das Mädchen lachte und hob die roten Hände. »Sehen die da vielleicht so aus, als ob sie's nicht gewohnt wären?«

      »Kinder warten und Handreichung tun im Doktorszimmer –«

      »Soll ich vielleicht in Ohnmacht fallen, wenn einem Bauern der Zahn gezogen wird?«

      »Ach Gott, Klara, das ist's ja eben. Jetzt bist du acht Wochen bei uns, und ich könnte mir unser Haus gar nimmer ohne dich denken. Und daß ich seitdem nimmer assistieren muß« – sie bedeckte die Augen mit den Händen – »ach Gott, es ist mir eine wahre Erlösung.«

      »Wäre auch nichts für Ihre zarte Gesundheit, Frau Doktor,« entschied das Mädchen und streifte mit einem mitleidigen Blick über die Herrin. »Ich aber kann's – also! Und Kinder warten? Ja, Frau Doktor, gibt's denn überhaupt etwas Schöneres auf Erden? Ist mir nur leid, daß Sie mir's gar wenig lassen.«

      »Ich wollte gerne eine Magd zur groben Arbeit dingen, aber du weißt – die Zeiten sind schlecht.«

      »Und der Herr Doktor tut's ohnedies der Hälfte von seinen Patienten umsonst«, fiel das Mädchen ein. »Ich hab's ja schon lange gemerkt. Also wozu noch eine Magd zu dem Knecht? Ja, bin ich denn vielleicht zum Faullenzen in Ihrem Haus? Bin ich denn nicht Magd genug? Und lassen Sie nicht alle Samstag noch die Putzfrau kommen?«

      »Magd genug?« Die Frau sah von der Seite her zweifelnd auf das schöne Antlitz, das unter den schwarzen, gescheitelten Haaren so frei und stolz in die Welt hinausblickte. »Das meine ich eben, Klara, du bist nicht, was man unter einer Magd versteht.«

      »Will aber doch gar nichts anderes sein, Frau Doktor. Könnt's freilich bei Ihnen völlig vergessen, daß ich die Magd bin. Darf ich nicht jeden Abend in der Wohnstube sitzen und zuhören, wenn der Herr Doktor vorliest? Gerade wie mein seliger Vater uns vorgelesen hat in der Winterzeit. Und ist denn die Arbeit was Schimpfliches?«

      »O, gewiß nicht, Klara.« Die Herrin wandte sich ab. »Mag sein, ich bin halt unter Vorurteilen aufgewachsen.«

      »Und dafür sind Sie,« das Mädchen stockte und wurde rot, »eine geborene Baronin. – Nun –«, sie lächelte schelmisch und zupfte an ihrer Schürze – »und ich bin eine Pächterstochter, das ist der Unterschied – oder der Schiedunter, wie mein seliger Vater gesagt hat. Und glauben Sie denn wirklich, Frau Doktor, daß die großen Geister nur für die Leute mit feinen Händen gedacht haben? Ich glaub's nicht. Werde mein Lebtag dienen müssen und dank's dem seligen Vater doch und dem guten alten Pfarrer, daß ich manches kenne, was sonst nie an unsereinen kommt. – Aber ich will jetzt an meine Arbeit gehen.«

      »Klara!«

      »Frau Doktor?«

      »Mir ist so angst, unsagbar angst.«

      »Sie arme Frau Doktor!«

      »Es kommt etwas, es kommt etwas Furchtbares. Ich ahne es, wie ich schon als Kind jedes Gewitter im voraus gefühlt habe.«

      »O, Sie arme Frau Doktor. Warum warten Sie aber nicht lieber, bis es da ist? Dann ist noch immer Zeit zum Sorgen.«

      »Ich fühle es genau so schwer, wie wenn es schon da wäre.«

      Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf und sah ernsthaft vor sich hin. »Verzeihen Sie – ich glaube, das ist ein Unrecht.«

      »Ich kann nicht leichtsinnig in die Zukunft gehen.«

      »Sollen Sie auch nicht. Aber stark sollen Sie bleiben. Und wie können Sie stark bleiben, wenn Sie sich schon vorher in Gedanken schwächen?«

      »Ich sehe alles, genau wie's kommen wird.«

      »Und wenn es da ist, hat's doch ein ganz anderes Gesicht. Da fällt mir ein, was mein seliger Vater oft gesagt hat: Du meinst, aus einem von drei Löchern wird das Unglück kommen, und dann kriecht's unversehens aus einem vierten heraus.«

      »Jedenfalls wird's ein furchtbares Gesicht haben,« murmelte die Frau.

      »Wir wollen's abwarten.«

      »O Klara, du hast doch auch schon so viel Schweres erlebt. Den Brand, bei dem ihr alles verloren habt, die böse Krankheit, die dir Vater und Mutter in wenigen Tagen genommen hat. So was hätte mich wahrhaftig ganz zerdrückt. Aber es muß doch auch dir immer noch nachgehen wie ein Schatten?«

      »O freilich, Frau Doktor, wie ein Schatten, ein großer, schwarzer Schatten. Aber ich wehr' mich halt gegen den Schatten und scheuch' ihn zurück, mach' mir lichte Gedanken und vertrau' meinem Herrgott.«

      »Ach ja!« Die zarte Frau bedeckte die Augen mit den Händen. »Glücklich, wer das kann. Du bist stark, ich bin schwach, das ist alles.«

      »Keiner hat die Kraft von sich selber.«

      »Manchem aber ist sie ganz versagt.«

      »Und wer sich nichts zutraut, dem verdorrt auch der Wille zur Kraft.«

      *

      Vor einer Woche waren sie einmarschiert, vorgestern waren sie abgezogen – über Nacht gekommen, im Morgengrauen gegangen, die Soldaten des Kaisers.

      Niemand hatte sie herbeigerufen, und niemand weinte ihnen nach. Mit feindseligen Blicken hatte man sie empfangen, mit Hohnworten hatte man sie begleitet – die Soldaten des Kaisers, als sie mit zusammengebissenen Zähnen, dröhnenden Schrittes, ohne Sang und Klang aus dem Bachtor marschierten, auf der Flucht vor den Franzosen, die Soldaten des Kaisers.

      Keiner klagte ihnen nach? Nur einer, in seiner Art. Nicht mit Tränen. Aber viele hatten ihn gesehen, wie er zornrot, an den Gliedern zitternd, auf dem Marktplatze stand und auf einen Haufen Bürger hineinwetterte: »Seid ihr verrückt? Hinter euern Freunden pfeift ihr drein und euren Feinden jauchzt ihr entgegen!« Jawohl, dieser Handelsmann,

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