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      1. Dorther kam's!

       Inhaltsverzeichnis

      Dorther kam's, wo Abend um Abend die Sonne niedergeht, und war bald hell und klar zu hören, bald wieder dumpf und leis. Ward auch zuweilen verschlungen von klirrenden Waffen, von krachenden Schüssen, von klagenden Glocken, rang sich aber doch immer wieder empor und fuhr über das Abendland als ein schmeichelnder, lockender, sieghafter Ton. Er summte mit den Bienen um die Wette in blühenden Bäumen, und lauschend hob der Ferge im Kahn die Ruder, daß die silbernen Tropfen herniederrannen in die grüne Flut. Er klang über wogenden Feldern im Glaste der Sonne und traf wie ein kühles Fächeln die Stirne des Schnitters. Er strich mit dem Herbstwind über die Stoppeln und koste die Feder auf dem Hute des Jägers, der am Waldrand saß, indes auf der Wiese durch webenden Nebel das Wild friedlich vorbeizog. Und er kam wieder und sang unter einem niedern Himmel über verschneiten Wäldern. Tag um Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr kam er aus Westen, der lockende Ton, ging über Wald und Feld, über Bach und Strom und brach sich an ragenden Schlössern und wirbelte über volkreiche Märkte.

      Hände falteten sich und Fäuste ballten sich, Lippen bebten und Augen zogen sich schmal zusammen, als würde es blendend helle. Tore wurden verrammelt und Fenster taten sich weit auf.

      Tag um Tag, Jahr um Jahr erklang der fremde Ton und war den einen süß und lind zu hören wie eines fernen Hornes froher Klang, den andern aber hart und drohend wie die Posaune des Jüngsten Gerichts.

      *

      Auf dem Marktplatze des fränkischen Städtchens stand der Brunnen aus alter Zeit, der Brunnen mit dem steinernen Grafen. Rund um den Brunnen waren die Mägde versammelt, und immer zwei von ihnen füllten ihre Holzbutten. Aber es währte lange, bis eine Holzbutte voll war; denn die Wasserstrahlen liefen spärlich aus der Säule – hüben der eine, drüben der andere.

      Der Himmel war blau, die Morgensonne stand über den Waldbergen, das hocherhobene Schwert des Grafen glänzte goldig, und die Wasserstrahlen fuhren silbern in die Butten der Mägde.

      Der »Fette Ochse« am Marktplatze war die beste Einkehr des Städtchens. Ein schöner Erker sprang aus dem Erdgeschosse der breiten Giebelwand, und es war gut sitzen und trinken in diesem Erker. Zur Rechten und Linken der Toreinfahrt waren Steinbänke angebracht, und über dem Spitzbogen ruhte auf seinem Sockel der steinerne Ochse und schaute mit glotzenden Augen herab – wie er schon auf Karl, den fünften Kaiser dieses Namens, heruntergeglotzt hatte.

      Hoch und breit war die Einfahrt, weit offen standen ihre Flügel, und mit dumpfem Gepolter kam ein schwerer Viererzug aus der Tiefe des Hauses.

      Die Pferde beschrieben hinaus auf den Marktplatz einen Kreis, und quer vor das Tor rollte die dickbauchige Kutsche.

      Die am Brunnen hatten die Köpfe zum Fetten Ochsen gewendet, und eine von den Mägden sagte mit wichtiger Miene halblaut: »Jetzt geht's den Großen an Kragen.«

      »Wird nit so arg werden,« meinte eine andere und hob ihre Butte vom Brett.

      »Gewiß und wahr,« sagte die erste. »Jetzt kommen die Franzosen. Aber den Kleinen tun sie nix; die Großen, die müssen dran glauben.«

      *

      Am Fenster, im ersten Stock des Gasthofes, stand eine bleiche Frau und spähte mit angstvollen Augen herab auf den Marktplatz. Ein Herr trat neben sie und sprach auf sie ein. Sie aber schüttelte den Kopf. Da griff er nach ihrer Hand, beugte sich herab und zog sie an seine Lippen.

      Drunten vor dem Hause versammelte sich das Volk: Handwerker in Hemdärmeln, wie sie aus der Werkstatt kamen, Kinder, barfuß, Mägde mit der Butte auf dem Rücken.

      Mit unbewegten Gesichtern saßen die beiden Kutscher in den Sätteln. Hintenauf aber, hoch über dem Kutschenkasten, saß das zierliche Kammermensch im grauen Reiseanzug. Der Kammerdiener stand noch am Tore.

      »Jetzt pressiert's aber!« rief ein langer, hagerer Mann zu den Kutschern hinauf. Die saßen stumm und regungslos.

      »Tun als hörten sie's nicht,« lachte der Bürger. »Hören's ganz gut.«

      »Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing',« sagte einer aus dem Haufen.

      »Wer sind denn die Herrschaften, die nobeln?«

      »Aus dem Bischöflichen sind sie.«

      »Weiß keiner, wie s' heißen?«

      Keiner konnte Antwort geben, und die auf den Pferden und das Kammermensch hintenauf saßen stumm und rührten sich nicht.

      Aus dem Torbogen kam der fremde Herr mit der bleichen Dame am Arme. Nun standen die Leute ganz still, und der eine und andere von den Männern griff an die Mütze.

      »Jawohl, das fallet mir auch ein, daß ich die da grüßen tät,« murrte der Lange. »Die Zeiten sind vorüber, wo sich unsereiner vor jeder Kutschen in Dreck gelegt hat. Und die Zeiten kommen auch nie mehr. Ja, wer weiß, ob ich unsere eigene Herrschaft noch grüßen mag, wenn sie heut durch die Stadt fährt?«

      »Das wirst du dir vielleicht noch überlegen,« lachte einer neben ihm.

      »Wer weiß!« sagte der Lange zum zweitenmal, zuckte die schmalen Schultern und schnitt ein grimmiges Gesicht.

      Am Wagenschlage stand der Wirt und hielt den silbernen Griff: »Wünsch' Euer Exzellenz glückliche Reise.«

      Der Lange war hinter den Wagen gegangen und prüfte das schwere Gepäck. »Und wo geht also die Reis' hin, Jungfer?«

      Angstvoll wandte das hübsche Kammermensch den Kopf, sah wieder gerade aus und piepste: »Nach Nürnberg, Monsieur.«

      »Also nach Nürnberg,« rief der Lange. »Glückliche Reis'!«

      Der Vornehme zog die Fenster empor, und der Lange trat neben den Schlag. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, die Mütze saß ihm schief auf dem Schädel, er stand mit gespreizten Beinen und guckte mit frechen Augen in den Wagen hinein.

      Plötzlich aber griff er an die Mütze, hob sie hoch empor, trat zurück und rief mit lauter Stimme: »Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit!«

      Die Dame war totenbleich geworden und sank in die seidenen Kissen. Von allerwärts kamen die Neugierigen heran und umringten den Wagen.

      »Ja wohl, jetzt pfeift halt der Wind aus ei'm andern Loch,« schrie der Lange. »Jetzt geht euch das Wasser an Kragen, ihr Edelleut!«

      Der Vornehme ließ ein Fenster herab und schrie dem Kammerdiener zu: »Worauf wartet ihr noch? Vorwärts!«

      Der kletterte eilig auf seinen Sitz neben das Mensch, die Pferde griffen aus, und die Karosse rollte über die Katzenköpfe des Pflasters.

      »Sag ihm noch was, Koram!« rief einer aus dem Haufen.

      Da schwenkte der Lange die Mütze und schrie: »Hoch sollen sie leben – und verrecken am Galgen!«

      »Hoch – hoch –!« brüllten ihrer etliche, und die Jugend rannte hinter dem Wagen drein.

      Das Kammermensch auf seinem hohen Sitz wandte das angstverzerrte Gesicht. Da flog ihr ein Stein auf den Rücken, daß sie aufkreischte.

      »Ihr Racker, ihr verfluchten!« schrie der Kammerdiener und zog die Hetzpeitsche unter dem Leder hervor. Aber die Jungfer umklammerte seinen Arm und sprach auf ihn ein.

      *

      Am Marktplatze stand ein breites, dreistöckiges Haus, ein altes Haus mit hohem Giebel. Ein Stockwerk war immer über das andere herausgebaut, die Fenster waren niedrig, aber breit, immer zwei stießen nahe aneinander. Eine doppelte Freitreppe mit schönem Geländer führte empor zur braungebeizten Haustüre, an der das Messingschloß funkelte. Über die Türe war ein altes steinernes Wappen mit reicher Helmdecke eingelassen – der Pelikan, der sich die Brust aufreißt und die Jungen mit seinem Herzblute speist.

      In dem Erkerlein über dem Wappen stand ein Mädchen und blickte

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