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Wald herüber auf die verödeten Fluren.

      Draußen auf den großen Heerstraßen des Krieges zog die Zeit gleich einem gepanzerten Ungeheuer durch das römische Reich deutscher Nation, stinkender Brandgeruch qualmte hinter ihr zum Himmel empor, gierig trank die Erde das Blut aus den Leibern der Erschlagenen, von einer Ecke des Reiches zur andern zogen die Söldner des Kaisers und spielten die Herren, in alle Winkel verkroch sich die Freiheit, und es hatte den Anschein, als müßte sie endlich ersticken in Blut und Thränen.

      Es hatte den Anschein.

      Da stieg eine kleine Wolke empor am nördlichen Himmel, so klein, daß nur die schärfsten Augen ihrer gewahr wurden. Der Kaiser sah sie nicht von den Fenstern seiner Burg, die Wolke wurde größer, da und dort wandten besorgte Gemüter den ahnungsvollen Blick nach ihr und warnten. Lachend sagte der Kaiser in seiner Burg: »Ein Wölklein mehr!« Doch die Wolke ward größer, immer größer, wuchs in die Höhe, quoll auf in drohender Schwärze. Schnelle Schiffe stießen auf den Strand, ein Gewaltiger sprang auf die deutsche Erde, der Himmel verfinsterte sich, und es brach ein Wetter los im Norden, daß fern im Süden die Burg des Kaisers in ihren Grundfesten erbebte. –

      Heute noch streiten die Menschen, warum er wohl gekommen sei, jener Gewaltige. Lächerlicher Streit! Er kam, weil er mußte. Er kam, weil der deutsche Baldur nicht durfte erdrosselt werden vom römischen Hödur. Er kam, weil sich die Wogenberge stürzen müssen in Wogenthäler. Er kam, weil das Licht kämpfen muß mit der Finsternis. Er kam, weil er mußte.

      Alles, was er selber gedacht und erstrebt hat auf seiner Meerfahrt zu den Gestaden des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, es verdampft in Nichts vor diesem einen, vor diesem erschütternden, vor diesem weltgerichtlichen: Er mußte. Und alles, was er aus eignem Willen gegründet hat, das ist hinweggespült von der rückströmenden Woge der Zeit, und spurlos verschwunden. Geblieben aber ist bis auf unsre Tage und wird bleiben bis auf die fernsten Geschlechter die Freiheit, die er uns bringen mußte in der Stunde der tiefsten Bedrängnis – mußte und noch einmal mußte.

      *

      Zwei Jahre waren vergangen.

      Der Gipfel des hohen Berges verschwand in den Nebeln des Herbstnachmittages, Nebel braueten im Thale herunter von Reicheneck bis herein nach Happurg, Nebel bedeckten weithinaus alles Land.

      Kahl standen die Obstbäume, Totenstille herrschte, nur zuweilen raschelte im dürren Laub am Boden ein Lufthauch, und mit Gemurmel schoß der Bach aus dem Nebel ins Dorf und ins Land hinaus.

      Frisch aufgerissen dehnte sich das Ackerland an den Hängen und wartete dem Winter entgegen; wie Zelte anzuschauen, wuchtig und düster standen die grauschwarzen Stangenpyramiden in den öden Hopfengärten.

      Starker Erdgeruch erfüllte das Thal und mischte sich mit dem Geruche des verfaulenden Laubes auf den feuchten Wegen und Steigen, den der Windhauch dahin und dorthin trug.

      Die Kirchenglocken schlugen ein wenig zusammen, und leise verklang das Gesumme in der dicken, feuchtmoderigen Luft.

      Hundert Füßlein kamen getrippelt und gestapft durch die weitgeöffnete Kirchenthüre, über den Friedhof, heraus auf den stillen Platz.

      Zu zweien und in kleinen Haufen, Knaben und Mägdlein gesondert, ging's die breite Dorfgasse herunter, geradeaus, hierhin und dorthin, seitab über die Brückenbrettlein des Baches, hinein in die engen Gäßlein. Hausthüren schlugen, dann lag wieder für eine Weile die Ruhe des Sonntagnachmittages über dem Dorfe.

      Der alte, graubärtige Prädikant kam aus der Sakristei und schritt langsam über den Weg nach seinem Hause. Der steinalte Mesner humpelte aus der Kirchenthüre, drehte den Schlüssel im pfeifenden Schlosse und schlich hüstelnd zwischen den Gräbern und Kreuzen nach seinem Hüttlein.

      Es war ein rechter Herbst-Sonntagnachmittag. –

      ›Hochzeit!‹ murmelte Hansjörg Portner und ging in seiner niedern Stube auf und ab. Dann trat er ans Fenster und stieß es auf. ›Hochzeit!‹ wiederholte er und atmete die nebelige Luft ein und blickte nachdenklich auf die öde Gasse. ›Herrgott im Himmel, vergieb mir! Da steh' ich am Ziele, und doch ist mir's zu Mute, als sollte ich hinausgehen, mich in die erste Ackerfurche werfen und warten, bis das weiße Tuch –! Schäme dich, Portner!‹ sagte er ganz laut, senkte den Kopf und stand in tiefem Sinnen.

      Die Thüre hinter ihm hatte sich geöffnet und geschlossen. »Hansjörg, es wird Zeit,« mahnte Georg Portner.

      Hansjörg hörte nichts.

      »Hansjörg, Bruder, die Braut wartet!« sagte Georg Portner laut und trat rasch hinter den Träumenden und schlang die Arme um ihn.

      »Du?« murmelte Hansjörg.

      Liebreich bog Georg sein Haupt zur Seite und blickte dem Bruder ins Angesicht. Aber sein Lächeln verschwand, und angstvoll fragte er: »Hansjörg, was ist dir? Wie schrecklich siehst du aus! Hansjörg, die Braut wartet, Hochzeit ist, besinne dich!«

      »Wenn ich ihn da hätte!« murrte Hansjörg und blieb trotzig stehen.

      »Wen denn, Hansjörg?« fragte der Bruder und trat zur Seite.

      »Wen denn, wen denn?« brach Hansjörg los und wandte sich mit einem Ruck. »Da in der Stube möcht' ich ihn haben, Aug' in Auge, Degen gegen Degen. Wen denn? Nun, wen denn? Der mich und dich und unzählige andre aus dem Lande gedrückt, ins Elend gestoßen und zu Bettlern gemacht hat, der Ursach' ist, daß ich wie ein Strolch hinter der Hecke heiraten, daß ich –«

      »Hansjörg, lieber Bruder, Hochzeit ist, lieber Bruder! Hansjörg, die Braut wartet!«

      »Und ihre Mitgift heißt Sorge, und meine Morgengabe Krieg,« stieß Hansjörg hervor und ließ das Haupt sinken.

      »Mitgift? Wer fragt nach Mitgift bei einem solchen Weibe! Und Morgengabe? Ja, wenn sie einen nürnbergischen Fähnrich heiratet, so schmettern freilich die Trompeten in die Brautnacht herein.«

      »Der nürnbergische Fähnrich zöge leichteren Herzens in den Krieg, wenn – wenn er sein Weib geborgen wüßte!« murrte Hansjörg.

      »Hochzeit ist,« wiederholte Georg dringend, »und die Braut wartet, Bruder!«

      »Und hier steht der Thor, der auf den Herbstnebel eine Brücke zimmert und auf den Rauch eine Ehe gründet!«

      Georg trat jäh zurück und antwortete mit scharfer Stimme: »Jetzt freilich verzeih ich's der Braut, daß sie drüben sitzt im Schmuck, und die Thränen laufen ihr über die Wangen.«

      »Sie weint?« fuhr Hansjörg auf.

      »Ja, und sie hat recht,« sagte Georg. »Es wird ihr wohl eine Ahnung gekommen sein – von dem Nebel, Hansjörg, und von – von dem Rauch, Hansjörg. Bruder, es fällt mir schwer, – bisher bist du stets mein großer Bruder gewesen, – hinaufgesehen habe ich zu dir, solang ich denken kann, – aber da drüben sitzt Ruth, und wenn ich heute alles überlege – wo du solch ein Weib gewonnen hast –«

      »Ich weiß es ja und ich danke Gott, Jörg.«

      »– und wo du aus einem armen Emigranten –«

      Hansjörg unterbrach ihn finster: »– ein armer nürnbergischer Fähnrich geworden bist.«

      Georg aber rief: »– einer geworden bist, der mit dem Schwert in der Hand kämpfen darf gegen die Bedränger der Freiheit, ich meine, du müßtest dich schämen, und kein Mensch dürft' es erfahren, das vom Nebel und vom Rauch.«

      Hansjörg senkte das Haupt, schob den Bruder auf die Seite und ging hinaus. –

      Die ganze Hütte duftete vom frischen Tannenzweigschmuck, und in der Küche zur ebenen Erde prasselte siedendes Schmalz.

      Hansjörg pochte an der kleinen, niederen Thüre gegenüber und betrat das Gemach.

      »Ruth –!«

      Sie lehnte im Brautgewande mit dem Rücken am Fenster und hatte die Hände gefaltet.

      »Ruth, bist du fertig?«

      »O

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