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(bellum omnium contra omnes) – ein Zustand, in dem es beispielsweise sinnlos wäre, einen Acker zu bestellen. Das Leben der Individuen sei unter diesen Bedingungen einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz (Leviathan, I, 14, 98).

      Das Einzige was vernünftigerweise getan werden kann, um jenen Zustand permanenter Unsicherheit zu beenden, wäre die Beherzigung der Goldenen Regel: Wenn ich nicht Opfer fremder Gewalteinwirkung werden will, muss ich meinerseits auf jede Gewaltanwendung, selbst die präventiver Art, verzichten. Da jedoch jeder seine eigene Neigung […] über andere den Meister zu spielen (Kant, Rechtslehre, § 42) kennt, kann das wechselseitige Versprechen des Gewaltverzichts auf keinen Fall genügen: Die bloße Übereinstimmung oder das Übereinkommen zu einer Verbindung ohne Begründung einer gemeinsamen Macht, welche die einzelnen durch Furcht vor Strafe leitet, genügt daher nicht für die Sicherheit, welche zur Übung der natürlichen Gerechtigkeit nötig ist (Hobbes, De Cive, 5.5, 127).

      Damit Leben und Eigentum jedes Einzelnen geschützt wären, können Verträge, wie sie im Privatrecht üblich sind, nicht genügen. Auch wenn sich alle gegenseitig ihrer gutmeinenden Gesinnung versichern würden, so hinderte sie im Konfliktfall doch nichts daran, erneut zur Gewalt zu greifen.

      Entscheidend für das Zustandekommen und die Stabilität des Rechtszustandes sind demnach zweierlei Dinge: Erstens müssen alle einzelnen zugunsten eines Dritten auf ihre Souveränität verzichten. Zweitens muss diesem begünstigten Dritten das Monopol physischer Gewaltsamkeit übertragen werden. Der Staat ist als letzter Wolf der Einzige, dem ein Recht auf alles und auf alle zukommt (Kersting 1994, 88).

      Weil der Zweck des Staates die dauerhafte Beendigung der wilden gesetzlosen Freiheit der Privatpersonen ist, muss der ihn begründende Vertrag zwei Funktionen erfüllen: Er ist einerseits ein Unterwerfungsvertrag. Alle sich zum Staat Vereinigenden müssen auf ihre ursprüngliche Freiheit verzichten ohne sich irgendwelche Rechte zu reservieren. Anderseits aber ist der Hobbessche Gesellschaftsvertrag ein Ermächtigungsvertrag. Durch ihn autorisieren die Untertanen den Herrscher nämlich auch, alle die Rechtsbefehle zu erteilen, die zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens erforderlich und geeignet sind. Sie verzichten dabei auf jedes Freiheitsgrundrecht, so dass die Souveränitätsentäußerung sowohl in zeitlicher als auch qualitativer Hinsicht unbegrenzt ist. Beispielsweise wird dem Souverän sogar das Recht übertragen, zu entscheiden welche Religion die herrschende sein soll.

      Eines ist der Hobbessche Gesellschaftsvertrag demnach auf gar keinen Fall: ein Herrschaftsausübungsvertrag, durch den der faktische Souverän den normativen Vorgaben der Vertragsschließenden unterstellt würde. Stattdessen sollte man diese Art Vertrag zutreffender als Herrschaftsübertragungsvertrag bezeichnen, durch den ein Souverän geschaffen wird, der die Selbstbestimmungsrechte der Individuen absorbiert und zugleich ihr autorisierter Vertreter ist (Kersting 1992, 93). Herrscher und Beherrschte sind hier deswegen identisch, weil die Untertanen alle ihre Rechte ‚an der Staatspforte‘ abgegeben haben und solange der Souverän seine Sorge um die Sicherheit des Volkes (Hobbes, Leviathan, 30, 255) erfolgreich betreibt, kann er staatliche Hoheitsrecht in beliebiger Weise ausüben.

      Entscheidend ist, dass der Hobbessche Gesellschaftsvertrag schlechterdings kein rechtsetzender Akt ist (Kersting 1992, 85). Denn durch Recht würde die Ausübung politischer Herrschaft limitiert. Weder werden Grundrechte oder Gewaltenteilung angeführt, noch wird überhaupt eine geschriebene Verfassung gefordert, so dass die Frage nach Formen, in denen Verfassungsänderungen vor sich zu gehen hätten, erübrigt. Man könnte meinen – und Carl Schmitt tendiert dazu – der Hobbessche Souverän wäre im Optimalfall gänzlich unverfasst. Denn nur in einer ‚lebendigen Verfassung‘ ließe sich der Zweck der Staatssouveränität, die gesicherte Selbsterhaltung der Bürger, optimal erreichen. Der einzige Zweck, zu dessen Erfüllung sich die Individuen einem Menschen oder einer Versammlung […] unterwerfen, ist aber ihre gesicherte Selbsterhaltung (Hobbes, De Cive, 5, 6, 128). Ausschließlich deswegen legen die Menschen wechselseitig ihre Waffen nieder, und stellen sich gemeinsam unter den Schutz des staatlichen Gewaltmonopolisten.

      Versagt jedoch der Staat (z. B. durch den Zerfall einer Dynastie in Bürgerkriegsparteien) in dieser ordnungspolitischen Funktion, dann treten die Individuen unmittelbar in den Zustand ursprünglicher Freiheit zurück, in dem jeder ein Recht auf alles und alle (ius in omnia et omnes) hat. Wenn nämlich der Staat seinen Zweck der Friedenssicherung nicht mehr erfüllen kann, dann ist genau der Zustand eingetreten, um dessen Überwindung willen der Gesellschaftsvertrag geschlossen worden war: der Bürgerkrieg: Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger. Denn das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen, wenn niemand anderes dazu in der Lage ist, kann durch keinen Vertrag aufgegeben werden. Die Souveränität ist die Seele des Staates, von der die Glieder keinen Bewegungstrieb empfangen können, wenn sie einmal den Körper verlassen hat. Der Zweck des Gehorsams ist Schutz (Leviathan, II, 21, 171).

      Solange der Herrscher den Zweck des politischen Zusammenschlusses, den innerstaatlichen Rechtsfrieden, allerdings erreicht, bleibt der Gesellschaftsvertrag uneingeschränkt in Kraft. In dieser zentralen Friedenstiftungsfunktion sieht Hobbes den Souverän allerdings als Stellvertreter des Volkes an, der von diesem beauftragt wurde. Nirgends wird Hobbes’ Nähe zur ‚demokratischen Gesellschaftsvertragslehre‘ augenscheinlicher als in folgender Passage: [Was die bürgerlichen Freiheiten betrifft], so hängen sie vom Schweigen des Gesetzes ab. In den Fällen, wo der Souverän keine Regel vorgeschrieben hat, besitzt der Untertan die Freiheit, nach eigenem Ermessen zu handeln oder es zu unterlassen. Und deshalb ist die Freiheit mancherorts und zu manchen Zeiten größer oder geringer, je nachdem es die Inhaber der Souveränität für am zweckmäßigsten halten […]. Verfolgt nämlich der Souverän seine Forderung auf Grund eines erlassenen Gesetzes und nicht kraft seiner Gewalt, so erklärt er dadurch, dass er nicht mehr verlangt, als was nach diesem Gesetz offenbar geschuldet wird. […] Fordert oder beschlagnahmt der Souverän aber etwas auf Grund seiner Gewalt, so ist dies kein gesetzmäßiges Verfahren, denn alles, was er kraft seiner Gewalt tut, geschieht auf Grund der Autorität jedes Untertanen, und wer ein Verfahren gegen den Souverän in Gang setzt, setzt es folglich gegen sich selbst in Gang (Leviathan, II, 21, 170 f.).

      Indem Hobbes andeutet, dass zwischen dem Willen der Beauftragenden und dem des Beauftragten selbst dann ein Symmetrieverhältnis besteht, wenn letzterer gesetzlichen Zwang ausübt, verwendet er eine Sprache, die eigentlich nicht mehr dem Modell der Magna Carta Libertatum gehorcht, sondern zu den Gesellschaftsvertragslehren passt. Denn die Befugnisse des Herrschaftsinhabers werden aus dem Willen derjenigen abgeleitet, denen ursprünglich alle Souveränität eigen ist: den sich vertraglich als Staatsvolk konstituierenden Individuen. Allerdings entspricht der Inhalt der Beauftragung noch ganz der Tradition des Herrschaftsvertrages: Unbedingten Rechtsgehorsam sind die Untertanen nämlich jedem von ihnen eingesetzten Herrscher schuldig, der sie effektiv vor privater Gewalt schützen kann: Da der Zweck dieser Einsetzung Frieden und Verteidigung aller ist, und jeder, der ein Recht auf den Zweck hat, auch ein Recht auf die Mittel dazu hat, so gehört es zu dem Recht jedes souveränen Menschen oder jeder souveränen Versammlung, Richter über die Mittel zum Frieden und zur Verteidigung sowie über das zu sein, was diese hindert oder stört (II, 18, 160).

      Die Entscheidung darüber, in welchen Formen, d. h. in welchen Grenzen die Souveränität ausgeübt werden soll, scheint mit dem Vertragsschluss zur ausschließlichen Angelegenheit des Herrschers geworden zu sein. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit!

      Hobbes’ Vertragslehre ist durch diese spezifische Ambivalenz zwischen einer gesellschaftsvertraglichen Sprache und einem herrschaftsvertraglichen Inhalt als ein Übergangsphänomen gekennzeichnet: Auf der einen Seite erscheint der Staat als Mittel der Selbstnormierung der Bürger und auf der anderen wird die Souveränität der Gesellschaft auf eine einzige Handlung beschränkt: den Vertragsabschluss. Damit steht der Leviathan an der Schwelle, die den vormodernen Souveränitätsübertragungvertrag vom modernen Souveränitätsausübungsvertrag trennt.

      Bereits bei John Locke (1632–1704)

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