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haben verweinte Gesichter, denn sie trauern sehr um ihre gütige Herrin, die so jung und schön aus dem Leben gerissen wurde. Auch Monika ist mit der Großmutter gekommen und sitzt nun verlassen und verängstigt in ihrem Zimmer. Niemand hat Zeit, sich um sie zu kümmern.

      Bernd hat die nötigen Formalitäten zu erledigen. Er muß sich mit aller Gewalt bezwingen, denn er trauert tief und aufrichtig um die opferbereite Lebenskameradin. Er wundert sich über sich selbst, denn sein Schmerz hat nichts Quälendes an sich. Ihm ist, als ob Charlottes Geist ihn umschwebte und seine Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenkte.

      Muß er sich nicht schämen, daß er jetzt an Maria denkt, die die schweren Stunden, die über ihn hereingebrochen sind, ahnungslos verschläft? –

      Bernd kennt sich nicht mehr aus. Er weiß nur, daß ein edles Frauenherz aufgehört hat zu schlagen – das schmerzt ihn.

      Erst gegen Abend erwacht Maria. Sie richtet sich erstaunt in die Höhe und muß sich erst besinnen, wo sie ist. Ihr Blick fällt auf das Bett Ingrids. Sofort ist sie hellwach.

      Sie entledigt sich der warmen Decken, nickt der Pflegerin, die sie besorgt betrachtet, freundlich zu und geht ins Nebenzimmer, um sich zu erfrischen.

      Maria wundert sich nicht über die tiefe Stille des Hauses. Es ist durchaus verständlich, daß man auf den Schlaf des kranken Kindes Rücksicht nimmt.

      Plötzlich stutzt sie, sie glaubt Kinderweinen zu hören. Entschlossen geht sie diesem Weinen nach und öffnet eine der weißen Türen.

      Aus der Ecke des dunklen Zimmers kommt das bitterliche Kinderweinen.

      Maria sucht vergeblich den Lichtschalter.

      »Ist jemand hier?« fragt sie, erhält jedoch keine Antwort. Aber das Weinen ist mit einem Male verstummt.

      Endlich flammt das Licht auf. Da sieht Maria das dunkellockige Kind, ihre Monika, auf dem Diwan hockend. Das Gesicht ist in ein Kissen gedrückt.

      Im Nu ist Maria neben ihr, zieht sie sanft in ihre Arme. »Du weinst, mein Kind? Du hast wohl Schmerzen? Oder hast du Angst um dein Schwesterchen?« fragt sie in sanftem Tone.

      Monika schüttelt heftig den Kopf, und das Weinen verstärkt sich noch.

      »Willst du mir nicht deinen Schmerz anvertrauen, Monika?« bittet Maria.

      Das Kind blickt die Frau, die ihr irgendwie vertraut erscheint, miß­trau­isch an. Sie erkennt Maria jedoch nicht wieder. »Kennst du mich denn? Wer bist du?« fragt Monika unter Schluchzen.

      »Wer bin ich?« Maria lächelt. Dann sagt sie: »Ich bin Maria, Schwester Maria.«

      Am liebsten hätte sie gerufen: Ich bin deine Mutter, und ich habe dich von Herzen lieb! Erzähle mir von deinem Kummer! Aber sie ringt die aufkeimende Versuchung tapfer nieder.

      »Ich bin Schwester Maria«, wiederholt sie. »Du brauchst nicht zu weinen. Dein Schwesterchen schläft sich gesund. Wenn du mir versprichst, tapfer zu sein, dann darfst du Ingrid sehen.«

      »Ingrid sehen? O ja!« Die Augen Monikas strahlen vorübergehend auf, doch dann schließen sie sich erneut vor Herzeleid. »Was soll ich denn Ingrid sagen, wenn sie nach Mutti fragt? Mutti liegt bleich und stumm in ihrem Zimmer und hat rote Rosen in der Hand. Die Oma sagt, sie wird niemals mehr mit uns lachen und spielen. – Ach, ich muß immerzu weinen – und niemand kümmert sich um mich! Sie weinen ja alle um Mutti!«

      Maria erbleicht. – Was spricht das Kind?

      »Du redest so seltsam, Monika. Was ist mit Mutti? Willst du mich nicht zu ihr führen?«

      »Ich darf doch nicht!« jammert das Kind. »Was willst du denn bei Mutti?«

      »Ich will ihr sagen, daß sie wieder mit dir lachen und scherzen soll, damit du nicht mehr so traurig bist«, ermuntert Maria das Kind in ihrer Ahnungslosigkeit.

      Monika schüttelt den Kopf. »Ich gehe nicht mit.« Und plötzlich schlingt sie die Arme um Marias Hals: »Ich fürchte mich vor Mutti – sie ist so – so –«

      Maria löst die zarten Kinderarme nur ungern von ihrem Halse. Sie nötigt Monika, sich zu erheben, und nimmt sie an der Hand. »Komm, wir gehen jetzt zu deinem Vati.«

      Willig folgt Monika der fremden Frau, zu der es sie seltsam hinzieht.

      Vor Bernds Arbeitszimmer angekommen, klopft Maria zaghaft. Sie sucht ihn zum ersten Male, seit sie im Hause weilt, hier auf.

      »Herein«, hört sie seine Aufforderung.

      Maria tritt mit Monika ein.

      »Das Kind, Bernd, fand ich jammernd in seinem Zimmer. Es hat mir so leid getan. Warum kümmert sich niemand um die Kleine?«

      Bernd kämpft mit Macht gegen seine Bewegung an, während Marias Augen Aufklärung heischen. Sie hat geglaubt, ihn freudig erregt vorzufinden, und ihr Staunen wächst beim Anblick seiner Mutlosigkeit.

      »Maria!« preßt er endlich hervor, »ich – wie soll ich es dir nur sagen? – Charlotte – ein Herzschlag –!«

      »Bernd!« Maria umkrampft die Hand ihres Kindes. Jetzt weiß sie plötzlich alles. Die Reden des Kindes, so verworren sie auch waren, wiesen nur zu deutlich auf das Schreckliche hin. »Nein! Nein! Bernd! Das kann doch nicht möglich sein! Charlotte wollte mir doch ihren – ihren Jungen bringen! Darüber muß ich eingeschlafen sein!«

      »Komm«, sagt Bernd entschlossen und führt Maria hinüber in das Zimmer, wo man Charlotte das letzte Lager bereitet hat.

      Lange steht Maria, tief in Gedanken versunken, vor Charlotte. Bernd stört sie nicht in der Andacht. Er hört ihr wehes, schmerzliches Weinen, und das bringt ihm erst wieder voll zum Bewußtsein, daß Charlotte ihn verlassen hat.

      Als Maria sich Bernd wieder zuwendet, zuckt es um ihren Mund, und ihre großen Augen schwimmen in Tränen. »Führe mich zu Charlottes Kind«, bittet sie leise.

      Wenig später beugt Maria sich über das Bettchen des Kleinen, nimmt den quicklebendigen Jungen in die Arme, und all ihre Liebe, die sie in ihrem vereinsamten Herzen bewahrt hat, liegt in ihrem Blick, in ihrem Kuß, als sie den Knaben an sich drückt. »Kleines mutterloses Wesen!« flüstert sie zärtlich.

      Dann denkt sie plötzlich an ihre beiden Mädchen, die nun auch keine Mutter mehr haben. – Der Jammer schnürt ihr die Kehle zu. – Oder ist es ihr nächster Gedanke, der so viel unverhoffte Freude in sich birgt?

      Ist sie nun nicht die einzige, die ein Anrecht auf die mutterlos gewordenen Kinder hat – sie, die eigene Mutter? – Hat nicht das Schicksal ihr den Weg freigemacht, damit sie sich offen zu ihren Kindern bekennen darf? –

      »Selbstverständlich werde ich die Kinder zu mir nehmen«, sagt Maria. Sie hält den Kleinen noch immer im Arm. Dann winkt sie Monika zu sich heran. »Weine dich ruhig aus, mein Mädel, eure Mutti hat es um euch verdient. Aber du hast ja noch dein Schwesterchen und hier dein Brüderchen, und ohne Mutterliebe seid ihr alle nicht.«

      Monika versteht zwar den Sinn ihrer Worte nicht, doch sie schaut aus weit geöffneten Augen auf die gütige, sanfte Frau. Und als sie jetzt lächelt, so lieb und gut, da glaubt Monika, die Mutti vor sich zu haben – und sie schlingt die Arme um Marias Hals. Es ist die Stimme des Blutes, die dem Kinde den Weg zum Herzen der Mutter weist.

      Maria offenbart in den folgenden Stunden und Tagen, da man Charlotte Imhoff zur letzten Ruhe bettet, ihre ganze tiefe Herzensgüte. Vor allem nimmt sie sich der vollkommen gebrochenen Frau von Delian an, die immer wieder verzweifelt nach Charlotte ruft und es nicht glauben kann, daß ihre schöne, gute Herrin für immer fort sein soll.

      Meisterhaft versteht Maria es, die alte Dame zu trösten. Zuletzt klammert Frau von Delian sich förmlich an Maria und sucht bei ihr Trost.

      Wenn jemand tiefes Leid erfahren hat, dann ist es Maria. – Aber wer über all dieses tiefe Leid Sieger blieb – das ist ebenfalls Maria.

      Weil sie selber viel gelitten hat, versteht sie es, kranken Herzen Trost zu spenden.

      *

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