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sie aus ihren Gedanken heraus. »Die Ehe wurde doch rechtmäßig geschieden.«

      Frau Hanna versteht sofort, und mitfühlend streift ihr Blick das bleiche, übernächtigte Gesicht der jungen Frau. In den brennenden Augen Charlottes liegt so viel Verzweiflung, daß sie sich erschüttert abwendet.

      Arme Charlotte – arme Maria – armer Junge! Alle drei sind in diesem Wirrwarr unglückseliger Ereignisse gerissen! denkt Frau Hanna gequält.

      Charlotte erhebt sich. »Ich wollte dich nur vorher von allem unterrichten, Mutter, denn ich fahre in einer Stunde mit den Kindern an die See.«

      »Du willst verreisen?«

      »Bernd wünscht es.« Sie reicht der Schwiegermutter die Hand. »Die Kinder sollen nicht unter der gedrückten Stimmung leiden und vorläufig nichts erfahren, solange Maria sich nicht entschieden hat.«

      »Dann – dann wünsche ich dir gute Erholung, Charlotte«, preßt Frau Hanna hervor. Dabei ist sie sich bewußt, daß ihre Worte sinnlos und unangebracht sind. Wie könnte Charlotte jetzt an Erholung denken und sich leichten Herzens über ihren schweren Kummer hinwegsetzen!

      »Auf Wiedersehen!« Charlotte geht mit müden Schritten zur Tür. Dort wendet sie sich noch einmal Frau Hanna zu. »Wenn Bernd zu dir kommt, dann richte ihm bitte aus, er solle mich nicht allzulange in Ungewißheit lassen. Wie auch alles kommen mag – ich werde es zu tragen wissen.«

      *

      »Lebe wohl, Bernd, ich lehne mich nicht mehr gegen mein furchtbares Schicksal auf; denn ich weiß, meinen Kindern geht es gut bei dir und Charlotte. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, eine folgenschwere Unruhe in das Leben der Kinder zu tragen. Um mich sorge dich nicht, ich habe ja die Eltern, werde arbeiten und zu vergessen suchen.«

      Ein schwerer Druck löste sich von Bernds Seele, und doch vermag er sich nicht über Marias tapferen Entschluß zu freuen. »Maria!« kommt es stöhnend von seinen Lippen.

      »Wir wollen uns den Abschied nicht unnötig schwer machen, Bernd.« Sie löst ihre Hände aus den seinen. Schlaff fallen sie zur Seite. »Lebe wohl!«

      »Lebe wohl, Maria!« Mit einem letzten Blick umschließt er ihre Gestalt. »Wenn du die Kinder sehen willst, dann komme ohne Zögern, Maria.«

      Sie nickt, dann wendet sie sich von ihm weg, geht langsam den Gartenweg zum Haus hinauf und ist bald hinter den Bäumen verschwunden.

      Bernd steht noch eine Weile da, tief in Gedanken versunken. Dann stürmt er beinahe den Weg hinunter. Er nimmt die schmerzliche Gewißheit mit sich, Maria heute zum letzten Male gesehen zu haben.

      *

      Bereits am nächsten Tag steht Bernd vor seiner Mutter. Sie erschrickt, als sie in sein gequältes Gesicht, seine tiefliegenden Augen blickt, und sie weiß alles, noch ehe er gesprochen hat.

      »Sie hat mir die Kinder überlassen, Mutter. Kannst du die Größe eines solchen Frauenherzens begreifen?«

      »Ja«, antwortet Frau Hanna nur, doch in diesem einzigen Wort liegt ihre ganze Achtung vor dem Entschluß Marias. »Es ist wohl am besten so, Bernd. Auch Charlottes Gemüt wird sich wieder beruhigen. Sie schien mir vollständig verändert, wie versteinert.«

      Noch in Gedanken bei Maria, drängt man ihm schon wieder jene an Charlotte auf. Lag nicht etwas wie ein Vorwurf in den Augen der Mutter?

      Bernd reißt sich gewaltsam von dem ihn unablässig verfolgenden Blick los. – Er gehört zu Charlotte, jetzt mehr denn je!

      »Du hast recht, Mutter, wir werden schließlich über alles hinwegkommen. Wir dürfen aber niemals vergessen, wie großen Dank wir Maria schuldig sind.« Und dann packt ihn noch einmal die Verzweiflung. »Wie ich mir Maria gegenüber vorkam, kannst du kaum ermessen, Mutter! Nicht einmal die Erinnerung an sie kann ich in den Kindern pflegen!«

      Frau Hanna ist hinter ihren Sohn getreten. In ihrer Frage schwingt bereits die Gewißheit seiner Antwort mit: »Du liebst Maria noch immer?«

      »Ja!«

      »Du wirst damit fertig werden müssen, Bernd, Charlotte ist eine Frau, um die es sich zu kämpfen lohnt.«

      Er lächelt bitter. »In meinem Verhältnis zu Charlotte tritt keinerlei Veränderung ein, sie ist mir teuer, mehr brauche ich dir nicht zu versichern. Charlotte verdient meine volle Achtung und Liebe schon deshalb, weil sie mir bald ein Kind schenken wird.«

      Es bleibt einige Minuten still zwischen Mutter und Sohn. Dann fühlt er ihre Hände über seinen Kopf streichen.

      »Ja, Bernd – dann hast du erst recht Grund, Maria sehr, sehr dankbar zu sein.«

      *

      Charlotte hat Bernd noch nicht so schnell zurückerwartet. Als er vor ihr steht, fahren ihre Hände zum Herzen. – Welche Nachricht wird Bernd ihr bringen?

      »Maria – verzichtet!« sagt er zu ihr.

      Da fällt Charlotte ihm wortlos um den Hals. Sie wird von einem leidenschaftlichen Schluchzen geschüttelt. »Ich bin ja so glücklich, so über alle Maßen glücklich, Bernd!« stammelt sie an seiner Brust. »Das werde ich Maria nie vergessen!« – In Gedanken setzt sie hinzu: vielleicht kann ich ihr diese Großmut durch ein anderes Opfer vergelten. –

      Nur ein paar Tage bleibt Bernd bei Frau und Kindern. Obwohl die Schatten vorerst gebannt sind, bleibt etwas Gezwungenes, Unfreies zwischen ihnen, das sie aber beide zu verbergen suchen.

      Bernd atmet befreit auf, als ein Telegramm Lehrmanns ihn wichtiger Entscheidungen halber nach Berlin zurückruft.

      Sein Abschied von Charlotte ist herzlich. »Nun erhole dich gut, Charlotte, du siehst recht elend aus. Schreibe mir, was du treibst.« Er küßt sie auf die kalten Lippen. »Ich freue mich auf unser Kind, Charlotte! Es soll uns noch inniger zusammenbringen!«

      Da erst weicht der schmerzliche Druck, der die ganze Zeit über auf Charlottes Herzen gelastet hat.

      *

      Frau Sophie und Hermann Möckel sind unendlich glücklich, ihre Tochter wieder gesund bei sich zu haben.

      Wie froh sie sind, daß Maria sich so tapfer hält! Sie weint nicht und hat ein stilles Lächeln auf den Lippen, wie Menschen, die über sich und ihre heißen Wünsche Sieger geblieben sind.

      Maria sucht Vergessen in der Arbeit. Sie geht Liesel zur Hand, wo sie nur kann. Sogar die Gartenarbeit hat sie wie selbstverständlich übernommen. Liesel ist das sehr recht, denn sie ist ein wenig mit Arbeit überlastet, zumal Frau Sophie recht alt geworden ist und nicht mehr so mit zufassen kann wie früher. Doch seit Maria im Hause weilt, hat es ganz den Anschein, als seien auch ihr neue Kräfte gekommen.

      Hermann Möckel kann stundenlang im Schatten im Garten sitzen und Marias fleißigen Händen zuschauen, wie sie sich liebevoll um die Blumen bemüht. Unter ihrer Pflege blüht und gedeiht alles prächtig. – Einmal äußert er sich zu seiner Frau: »Wenn man Maria anschaut, dann möchte man glauben, die Zeit habe stillgestanden. Die Jahre sind sozusagen spurlos an ihr vorübergegangen. Mitunter träume ich, Bernd komme den Berg heraufgelaufen und Maria fliege ihm entgegen – genau wie damals, als er um unser Mädel warb.«

      Frau Sophie preßt ihm erschrocken die Hand auf den Mund. »Still, Maria kommt! Denke ja nicht, daß sie in Wirklichkeit so ruhig ist, wie sie es uns glauben machen will. Ich höre sie manche Nacht in die Kissen schluchzen, und ihr Weinen enthüllt mir dann ihre ganze Seelennot!« –

      Eines Tages wird Maria von Liesel ins Haus gerufen – Besuch sei gekommen.

      Maria streicht das wirre Haar aus der Stirn und säubert sich die Hände am Brunnen. Sofort ist sie irgendwie beunruhigt. Sie will nichts von alledem hören, was draußen in der Welt vor sich geht.

      Ein freudiger Ausruf entfährt ihren Lippen, als sie bei ihrem Eintritt Professor Holzer aus dem Hintergrunde des Zimmers treten sieht. »Grüß Gott, Frau Maria! Wie gut Sie ausschauen! So klare Augen haben wir – und eine ganz gesunde Hautfarbe!« begrüßt er sie, so daß es ihr warm

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