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Daniel seufzte. »Das stimmt leider. Als Stefa zur Welt kam, war ich gerade Assistenzarzt, und mein damaliger Chefarzt hat mir wahrlich nichts geschenkt.« Er senkte den Kopf. »In den ersten Jahren nach Christines Tod habe ich mir manchmal gedacht, daß vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn ich mir für sie und die Kinder mehr Zeit genommen hätte… wenn mir meine Arbeit nicht ganz so wichtig gewesen wäre.«

      »Mach dir deswegen keine Vorwürfe, Robert. Chrstines Tod war Schicksal.«

      Dr. Daniel seufzte. »Das hat mein Freund auch gesagt.« Er sah Linda an, und dabei fiel ihm wieder die frappierende Ähnlichkeit mit Christine auf. Wie sich Kusinen doch derart gleichen konnten! Das wunderschöne goldblonde Haar, die Art, wie sie lächelte…

      Die Erinnerungen an seine sanfte, liebevolle Frau überfielen Dr. Daniel plötzlich wie eine Sturmflut. Er begann zu erzählen – zusammenhanglos… so, wie ihm die Geschichten und Begebenheiten gerade einfielen, aber vielleicht war das, was er sagte, gerade deshalb so mitreißend, und Linda spürte, daß sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Stumm saß sie da und ließ den Arzt in seinen Erinnerungen schwelgen.

      Dr. Daniel vergaß Zeit und Raum. Plötzlich war er wieder der junge Student, der sich in das zauberhafte blonde Mädchen verliebt hatte, das Christine einst gewesen war. Die Jahre der Ehe, die Geburten seiner beiden Kinder – alles stand vor ihm auf, als wäre es erst gestern gewesen.

      Die hereintretende Irene unterbrach seinen Redefluß. Sie wollte wissen, wie lange sie das Essen noch warmhalten sollte. Es war ja nun schon gleich halb elf.

      Dr. Daniel gab ihr nur eine kurze Antwort, dann wandte er sich Linda wieder zu.

      »Meine Güte, ich muß dich mit diesen Geschichten ja entsetzlich langweilen«, erklärte er.

      »Aber ganz und gar nicht, Robert«, entgegnete sie rasch. »Ich höre dir doch gern zu. Wenn du erzählst, dann ist es, als würde ich Christine leibhaftig vor mir sehen.« Sie senkte für einen Moment den Blick. »Ich bereue zutiefst, daß ich mich nicht ein einziges Mal mehr bei ihr gemeldet habe, aber…« Sie zuckte die Schultern. »Du weißt ja selbst, wie das ist. Man lebt sein eigenes Leben und vergißt nur allzu schnell, was einem früher einmal sehr wichtig gewesen ist.«

      »Da hast du wohl recht«, stimmte Dr. Daniel zu, dann lächelte er Linda an. »Ich hoffe aber, daß wir uns jetzt nicht mehr völlig aus den Augen verlieren werden. Weißt du, seit Christines Tod habe ich zu ihrer Verwandtschaft nicht mehr allzuviel Kontakt. Mein Schwager ruft hin und wieder mal an, aber…« Er seufzte. »Es war für uns alle schwer zu begreifen, daß Christine uns so früh verlassen mußte.« Dann stand er plötzlich auf. »Meine Güte, heute bin ich aber wirklich ein schlechter Gastgeber. Nun sitzt du seit über zwei Stunden bei mir, und ich habe dir außer eine Tasse Kaffee nichts zu trinken angeboten. Darf ich dir ein Glas Wein einschenken?«

      Die Versuchung war groß, doch dann sagte sich Linda, daß in diesem Falle weniger vielleicht mehr sein würde.

      »Nein, danke, Robert«, lehnte sie daher ab. »Ich habe dich schon viel zu lange belästigt.« Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. »Ich werde bestimmt noch ein paar Tage hier in Steinhausen sein. Schließlich möchte ich ja auch Christines Grab besuchen. Da werden wir uns sicher noch mal sehen, oder?«

      Sehr herzlich drückte Dr. Daniel Lindas schmale, äußerst gepflegte Hand.

      »Das wünsche ich mir von ganzem Herzen, Linda«, meinte er warm.

      Er begleitete sie hinaus, reichte ihr nochmals die Hand und sah ihr noch nach, als sie zu ihrem schnittigen Wagen ging, einstieg und dann langsam den Kreuzbergweg hinunterfuhr. Seine Gedanken folgten ihr dabei – es waren sehnsuchtsvolle, romantische Gedanken, die er sich kaum erklären konnte. Seit Christines Tod hatte er nichts Derartiges mehr für eine Frau empfunden.

      »Wer war die Frau, Papa?«

      Beim Klang von Stefans Stimme zuckte Dr. Daniel erschrocken zusammen. Er hatte seinen Sohn gar nicht kommen hören. Jetzt betrat er mit ihm zusammen die Villa und schloß die Tür, machte aber keine Anstalten, die Treppe hinaufzugehen.

      »Das war Linda Böhnig, eine Kusine deiner Mutter«, antwortete er schließlich.

      Stefan runzelte die Stirn. »Du hast mir noch nie von ihr erzählt.«

      Dr. Daniels Blick ging zur Haus-tür, und dabei umspielte sein Mund ein so seliges Lächeln, als stünde Linda selbst vor ihm.

      »Bis heute wußte ich es selbst nicht. Deine Mutter hat ihren Namen nie erwähnt.«

      Das erschien Stefan doch ein wenig seltsam, aber er bemerkte, daß sein Vater jetzt in einer viel zu rührseligen Stimmung war, als daß er ein tiefer gehendes Gespräch mit ihm hätte führen können.

      »Papa, diese Frau… wirst du sie wiedersehen?« fragte er und konnte dabei nicht verhindern, daß leise Besorgnis in seiner Stimme mitschwang. Doch Dr. Daniel hörte das in seiner augenblicklichen schwärmerischen Verfassung gar nicht heraus.

      Er nickte. »Ja, Stefan, ich werde sie sogar ganz bestimmt wiedersehen.«

      *

      Am nächsten Morgen nahm Dr. Daniel den Eingriff bei Gerhild Sanders vor. Der Abszeß war zwar ziemlich groß, trotzdem war es keine problematische Operation. Routinemäßig gab Dr. Daniel eine Gewebeprobe ins Labor, obwohl er mit keinem krankhaften Befund rechnete, aber er wollte sichergehen, daß er und seine Patientin nicht in ein paar Monaten plötzlich eine böse Überraschung erleiden würden.

      »Es tut mir furchtbar leid, Alena«, erklärte er zu der jungen Gynäkologin gewandt, die bei der Operation die erste Assistenz übernommen hatte. »Ich kann nicht bleiben, bis Frau Sanders wieder aus der Narkose aufwacht. Zur Zeit scheint sich ganz Steinhausen gegen mich verschworen zu haben. Keinen Abend komme ich vor acht Uhr aus der Praxis. Ich werde aber heute mittag noch mal nach der Patientin sehen.«

      »Ist schon in Ordnung, Robert«, entgegnete Alena, dann sah sie ihm nach, als er eiligst den Waschraum verließ.

      »Er war heute ein bißchen unkonzentriert«, stellte Erika Metzler, die Anästhesistin der Waldsee-Klinik, fest.

      Alena nickte. »So etwas kenne ich an ihm überhaupt nicht – abgesehen davon, daß er als Arzt selbst in diesem Zustand noch unschlagbar ist. Jeder andere hätte der Frau die ganze Drüse entfernt, aber Robert hat es trotz des großen Abszesses geschafft, sie ihr zu erhalten.«

      »Ja, er ist wirklich erstklassig in seinem Beruf«, stimmte Erika zu. »Allerdings habe ich das Gefühl, daß er sich zur Zeit ein bißchen zuviel zumutet. Die Praxis, der Posten als Klinikdirektor, die Belegbetten… irgendwann bricht er noch mal zusammen.«

      »Na ja, in drei Wochen ist Weihnachten, dann kann er sich hoffentlich ein wenig erholen«, meinte Alena. »So, und ich muß mich jetzt um die Patientin kümmern.«

      *

      In den folgenden Tagen traf sich Dr. Daniel in schöner Regelmäßigkeit mit Linda Böhnig, und fast jedesmal gingen sie in die gemütliche kleine Weinstube, die ein Stück außerhalb Steinhausens stand. Auch heute hatten sie sich hier verabredet.

      Dr. Daniel stand höflich auf, als Linda an seinen Tisch trat, und rückte ihr einen Stuhl zurecht, bevor auch er wieder Platz nahm.

      »Nun, Linda, gefällt es dir in Steinhausen?« fragte er.

      Sie nickte. »Ja, es ist ein ganz zauberhafter Ort.« Dann lächelte sie. »Warum fragst du mich das ausgerechnet heute?«

      »In den vergangenen Tagen habe ich fast ausschließlich von mir erzählt«, meinte er, dann legte er seine Hand auf die ihre. »Jetzt möchte ich gern auch mal ein bißchen was über dich erfahren, Linda.«

      »Viel zu erzählen gibt es da nicht«, entgegnete sie. »Ich komme aus Hessen, das heißt… ich bin nach meiner Eheschließung dorthin gezogen.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Nach dem plötzlichen Tod meines Onkels, der sich vor vielen Jahren in der Nähe von Trier niedergelassen hatte, erbte ich seine Villa inmitten eines herrlichen Parks und eine Klinik, genauer gesagt, ein Sanatorium.

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