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ihr Mann wieder einmal viel zu spät nach Hause gekommen war. Für ihren Zweitältesten musste es noch viel schlimmer sein, hatte er doch zum ersten Mal mit großen Veränderungen in seinem Leben zu kämpfen. Das war nicht leicht, auch wenn er es selbst so gewollt hatte.

      In ihre Gedanken hinein klingelte das Telefon. Sofort war sie auf den Beinen und eilte hinaus in den Flur, wo der Apparat auf der Kommode lag.

      »Endlich!«, überfiel sie ihren Mann. »Wo steckst du denn? Felix ist todtraurig, dass du keine Zeit hast für ihn. Dabei ist er nur noch heute Abend bei uns. Wir werden ihn lange nicht wiedersehen«, hielt sie mit ihren Gedanken nicht hinter dem Berg.

      Daniel hatte mit dieser Reaktion gerechnet.

      »Es tut mir wahnsinnig leid«, zögerte er nicht, die Schuld auf sich zu nehmen. »Ich war auf dem Weg zu euch, als mich eine Schwester aufgehalten hat. Frau Lohmeiers Zustand hat sich gravierend verschlechtert. Deshalb wird es noch ein paar Stunden dauern, bis ich zu euch kommen kann. Ich muss operieren.«

      »Frau Lohmeier?« Felicitas dachte fieberhaft nach. Der Name kam ihr bekannt vor, und sie erinnere sich an das Gespräch, das sie vor ein paar Stunden mit ihrem Mann geführt hatte. »Moment mal, ist das nicht die Patientin, bei der Jenny eine Operation für nicht vertretbar hält?« Sie war so konzentriert, dass sie nicht bemerkte, wie Felix hinter sie trat.

      »Du hast mich nicht verstanden!«, rief Daniel ungeduldig. »Sie stirbt, wenn wir nichts unternehmen. Aber dazu brauche ich deine Hilfe.«

      Fee erschrak.

      »Was kann ich da tun?«

      »Du musst in die Klinik kommen. Keiner der Kollegen hat genug Schneid, um mir zu assistieren. Ich brauch dich im OP.«

      »Du kannst die Operation nicht machen, Dan!« Eine eiskalte Hand griff nach Fees Herz und drückte es erbarmungslos zusammen. »Wenn die Patientin stirbt, kann dich das deine Approbation kosten.« Sie verriet nicht, dass das nicht ihr einziger Gedanke war. Selbst wenn sie ein schlechtes Gewissen dabei hatte, dachte sie auch an Felix. Vier lange Monate würde sie ihn nicht wiedersehen. Dies war ihr letzter Abend. Sie wollte ihn nicht auch noch im Stich lassen. Auf der anderen Seite war da diese Frau …

      »Das ist mir egal!«, donnerte Daniel in ihre Gedanken hinein. »Ricarda stirbt, und ich habe eine winzig kleine Chance, das zu verhindern. Bitte, Fee, du kannst mich jetzt nicht im Stich lassen.«

      »Aber Dan …« Ein Klicken in der Leitung verriet ihr, dass er aufgelegt hatte. Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen, als sie fühlte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Zu Tode erschrocken fuhr sie herum und starrte in das Gesicht ihres Zweitältesten.

      »In diesem Zustand kannst du unmöglich Auto fahren. Ein Glück, dass dein Sohn einer der besten Chauffeure der Welt ist«, erklärte er und zwinkerte ihr zu zum Zeichen, dass er alles gehört hatte.

      Es dauerte einen Moment, bis sich Fee gefangen hatte.

      »Du?« Erst nach ein paar Augenblicken konnte sie auf seinen Scherz reagieren. »Ich bete jeden Abend, dass du mal besser fliegst als Auto fährst.«

      »Das hab ich jetzt nicht gehört.« Er nahm sie an der Hand und zog sie durch den Flur zur Garderobe. »Zieh dir was an! Ich hol nur noch schnell Danny. Dad klang so, als ob er jede Unterstützung brauchen könnte.«

      Als Felicitas Norden ihrem Sohn nachsah, ging ihr das Herz auf vor Glück.

      »Aber du bist doch heute den letzten Abend hier«, rief sie ihm nach. »Den wolltest du doch mit uns verbringen. Ich dachte, wenn ich jetzt auch noch gehe …«

      Felix drehte sich um und lachte.

      »Wie war das mit dem Propheten und dem Berg?«, fragte er. »Wenn Dad nicht zu mir kommt, fahre ich halt zu ihm. Und wenn’s sein muss, assistierte ich im OP.«

      »Auf keinen Fall!« Danny hatte ein paar Gesprächsfetzen aufgeschnappt und hatte nicht gezögert. »Wir müssen ein Menschenleben retten. Da hab ich keine Zeit, nebenbei auch noch meinen Bruder wiederzubeleben.« Im Laufschritt eilte er an Felix vorbei in die Garderobe.

      Der sah ihm kopfschüttelnd nach.

      »Wenn das nicht der beste Beweis dafür ist, wie unwichtig ich dir bin.« Doch der zufriedene Ausdruck in seinen Augen zeugte davon, dass er es nicht ernst meinte. Es hatte lange gedauert. Aber jetzt war er endlich wieder in seiner Familie angekommen.

      *

      Obwohl es schon dunkel war, schimmerten die weißen Gipfel der Berge durch die großen Fensterfronten des Hotelrestaurants. Drinnen sorgte ein Kaminfeuer für wohlige Atmosphäre. Leiser Barjazz ertönte aus unsichtbaren Lautsprechern. Jenny Behnisch hielt das Weinglas in der Hand und sah verliebt zu Roman hinüber.

      »Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt so einen perfekten Tag erlebt habe«, seufzte sie zufrieden. »Zuerst der Winterspaziergang, dann der Saunabesuch und jetzt noch dieses fantastische Essen …«

      Roman prostete ihr zu, ein Lächeln auf den Lippen.

      »Fehlt nur noch ein würdiger Abschluss«, bemerkte er. »Hast du das Käsebuffet gesehen? Ich glaube, ich stelle uns noch einen Teller zusammen.«

      »Für mich aber nur noch ein paar klitzekleine Happen. Viel hat nicht mehr Platz.«

      »Ein wenig Käse mit Früchten geht immer.« Roman rückte den Stuhl zurück und stand auf.

      Versonnen stellte Jenny das Glas auf den Tisch und sah ihm nach. In letzter Zeit hatte sie kaum darüber nachgedacht. Jetzt aber spürte sie wieder einmal überdeutlich, wie sehr Roman ihr Heimat geworden war. Er kannte sie besser als sie sich selbst, wusste, wann sie Ruhe und Rückzug brauchte, um das enorme Arbeitspensum, das die Leitung einer Klinik mit sich brachte, die riesige Verantwortung, zu stemmen.

      »Was ist? Warum schaust du mich so an?«, fragte er.

      Sie war so in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie er zurückgekommen war.

      »Ich dachte eben darüber nach, wie glücklich du mich machst«, gestand sie. Dabei wurde sie rot wie ein Mädchen. Schnell beugte sie sich über den Teller und studierte die Auswahl an verschiedenen Käsesorten, die Roman mit sicherem Gespür zusammengestellt hatte.

      Lächelnd nahm er ihren Kommentar zur Kenntnis, sagte aber nichts. Eine größere Liebeserklärung hatte er nie aus ihrem Mund gehört, und er wollte diesen besonderen Moment voll auskosten, als er aus den Augenwinkeln sah, wie die Rezeptionistin zielstrebig auf ihren Tisch zukam.

      »Bitte entschuldigen Sie die Störung, Frau Dr. Behnisch.« Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich an Jenny. »Sie werden am Telefon verlangt.«

      Jenny stutzte. Nur eine Person kannte ihren Aufenthaltsort. Und die hatte versprochen, sich nur im äußersten Notfall zu melden.

      »Wer will mich sprechen?«, erkundigte sie sich. Sie hatte keine Geheimnisse vor Roman.

      »Ein Herr Lammers von Ihrer Klinik. Er hat schon mehrfach versucht, Sie am Handy zu erreichen. Leider vergeblich. Deshalb musste er Ihren Aufenthaltsort ausfindig machen und hier anrufen. Es sagt, es sei sehr dringend.«

      »Ich will mir gar nicht vorstellen, woher er weiß, wo ich bin«, schimpfte Jenny leise und nahm sich vor, gleich nach ihrer Rückkehr ein Hühnchen mit Andrea Sander zu rupfen. Sie sah kurz hinüber zu Roman, der sich zurückgelehnt hatte und mit gespannter Miene auf ihre Entscheidung wartete.

      Dann wandte sie sich an die junge Frau.

      »Bitte richten Sie Herrn Lammers aus, dass ich nicht zu sprechen bin. Weder jetzt noch während meines gesamten Aufenthalts hier.« Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch.

      Zutiefst beeindruckt von dieser Entschlossenheit zog sich die Rezeptionistin zurück.

      Und auch Roman sah sie überrascht an.

      »Alle Achtung, Frau Dr. Behnisch. Sie erstaunen mich immer wieder auf’s Neue!«

      Jenny lachte belustigt

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