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dass er die Darmwand perforiert.«

      »Dann operieren Sie mich!«, verlangte Ricarda so energisch, wie es ihr angeschlagener Zustand zuließ.

      »Im Normalfall würden Sie jetzt schon im OP liegen. Leider gibt es ein weiteres Problem.«

      »Und welches?« Ricarda schluckte und sah ihren Arzt ängstlich an.

      »Ihr EKG war auffällig. Deshalb haben wir uns eingehend mit Ihrem Herzen beschäftigt. Mit schlechtem Ergebnis. Offenbar haben Sie eine Herzmuskelentzündung, die ihrem angegriffenen Immunsystem geschuldet ist. Deshalb ist eine Operation, zumindest im Augenblick, ausgeschlossen.«

      Kraftlos sank Ricarda zurück auf die Liege. Weder sie noch Daniel sagten ein Wort, und es wurde ruhig im Zimmer. Nur das Ticken der Uhr an der Wand zerriss unbarmherzig die Stille.

      »Ich weiß schon seit einer ganzen Weile, dass irgendwas mit mir nicht in Ordnung ist«, begann sie plötzlich mit schleppender Stimme zu erzählen. Sie sah Daniel nicht an. Er hatte den Eindruck, dass sie mehr mit sich selbst sprach als mit ihm. »Zuerst dachte ich an eine Magenverstimmung. Dann an ein Geschwür. Und dann hab ich einfach nicht mehr darüber nachgedacht.«

      »Warum sind Sie nicht rechtzeitig zum Arzt gegangen?«, fragte Daniel Norden in einer Mischung aus Verzweiflung und Ärger. »Darmkrebs ist heute durchaus heilbar. Je früher mit der Behandlung begonnen wird, umso besser«, sprach er leidenschaftlich auf seine Patientin ein.

      Ricarda lächelte traurig.

      »Ich dachte, wenn ich mir nicht den Kopf darüber zerbreche und mich darüber hinaus um eine harmonische Lebensweise bemühe, wird alles wieder gut.« Sie hob den Kopf und sah Dr. Norden in die Augen. »Ich wollte mein Leben mit Manfred so weiterleben wie bisher. Mein Glück in vollen Zügen genießen. Ich wollte nicht krank sein. Verstehen Sie das nicht?«

      »O doch, natürlich verstehe ich Sie.« Daniels Worte kamen von Herzen. »Aber mit dieser Haltung haben Sie sich in Teufels Küche gebracht.«

      »Aus der Sie mir jetzt wieder raushelfen müssen.« Wie um sich selbst Mut zu machen, nickte Ricarda mehrmals hintereinander. »Jawohl. Sie sorgen dafür, dass ich operiert werden kann. Nicht wahr?«

      Daniel sah hinunter auf die Akte, die aufgeschlagen auf seinem Schoß lag. Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her.

      »Wenn es uns gelingt, Ihr Herz zu stabilisieren, haben wir vielleicht eine Chance.« Er hob die Augen und sah sie an. »Aber versprechen kann ich nichts. Das müssen weitere Untersuchungen ergeben.« Für den Moment gab es nicht mehr zu sagen, und er stand auf. Es wurde Zeit, ein Bett für Ricarda Lohmeier zu besorgen und sich dann zu verabschieden. »Wir sehen uns morgen früh.« Er reichte ihr die Hand und ging zur Tür.

      »Herr Dr. Norden!«

      Die Hand auf der Klinke, drehte er sich noch einmal um.

      »Ja?«

      »Bitte sagen Sie meinem Mann nichts davon. Das will ich selbst tun. Aber nicht mehr heute«, bat sie um Aufschub. »Manfred soll morgen wiederkommen.«

      Daniel zuckte mit den Schultern. Unmöglich, ihren Wunsch auszuschlagen.

      »Wie Sie wollen!«, erklärte er sich einverstanden, ehe er sich endgültig von der Patientin verabschiedete.

      Auf dem Weg zum Aufenthaltsraum überlegte er, was er auf die Fragen antworten sollte, die ihm der besorgte Ehemann unweigerlich stellen würde. Lügen war gegen Daniels Prinzipien, was sein Leben nicht unbedingt leichter machte.

      Tatsächlich sprang Manfred Lohmeier vom Stuhl auf, kaum dass der Arzt den Raum betreten hatte. Auch Fee erhob sich.

      »Da sind Sie ja endlich!«, rief er und stürzte auf Dr. Norden zu. »Wie geht es Ricky? Was fehlt ihr? Kann ich zu ihr?«

      Beschwichtigend hob Daniel die Hände.

      »Die Schmerzmittel wirken, und es geht ihr den Umständen entsprechend gut.« Das war zumindest nicht gelogen. »Möglicherweise hat Ihre Frau Probleme mit dem Darm. Genaueres erfahren wir morgen aus dem Labor. Sie war sehr müde und hat mich gebeten, schlafen zu dürfen.« Er legte die Hand auf Manfreds Schulter. »Sie sollten jetzt auch nach Hause gehen und sich ausruhen. Morgen ist auch noch ein Tag.«

      Diese Botschaft schien den Ehemann fürs Erste zu beruhigen.

      »Ricky leidet öfter mal unter Verdauungsproblemen. Ein Mal wurde sie mit dem Verdacht auf Darmverschluss in eine Klinik eingeliefert«, berichtete er, während er neben Daniel den Flur hinunter ging. Felicitas folgte den beiden Männern in gebührendem Abstand. »Damals ist es noch mal gut gegangen. Das wird es diesmal auch wieder!« Er wirkte, als wollte er sich selbst Mut machen.

      Fees Herz wurde schwer. Im Gesicht ihres Mannes hatte sie längst gelesen, dass er mehr wusste, als er gesagt hatte. Und sie wusste auch, dass das kein gutes Zeichen war. Die Sternschnuppen am Silvesterhimmel waren eben doch nicht echt gewesen.

      *

      »Und das Feuerwerk war wirklich richtig laut?« Noch immer konnte es Jenny nicht glauben. Sie saß am Frühstückstisch und trank die zweite Tasse Tee. Dabei ließ sie ihren Freund nicht aus den Augen. Sie versuchte, in seiner Miene zu lesen.

      »Es war ein Höllenspektakel. Direkt neben dem Haus ist ein Kanonenschlag hochgegangen, dass die Scheiben geklirrt haben.« Wenn er daran dachte, hörte er noch immer das Klingen in seinen Ohren. »Aber du bist auf dem Sofa gelegen und hast geschlafen wie ein Baby. Frag unsere Nachbarn. Sie haben um Mitternacht mit mir angestoßen.« Er griff in den Brotkorb und nahm sich noch eine Scheibe Brot. Anders als Jenny brauchte er ein ordentliches Frühstück, auch wenn er an diesem Feiertag nicht in die Arbeit musste und nur ihr zuliebe aufgestanden war.

      Sie hingegen nahm die erste Mahlzeit des Tages zur Klinik ein, wenn die knusprigen Croissants aus Tatjanas Bäckerei eingetroffen waren.

      »Normalerweise habe ich einen leichten Schlaf. Du weißt das.«

      »Also entweder bist du hoffnungslos überarbeitet und brauchst dringend Urlaub. Oder aber du warst betrunken.«

      »Nachdem ich nur ein Glas Wein zum Abendessen hatte, scheidet zweiteres aus.«

      »Möglicherweise wirst du auch langsam alt und verträgst nichts mehr.« Blitzschnell bückte sich Roman, um dem Wurfgeschoss in Form einer Stoffserviette auszuweichen, die auf ihn zukam.

      »Du kannst von Glück sagen, wenn ich trotz deiner Unverschämtheiten heute Gnade vor Recht ergehen lasse und pünktlich aus der Klinik komme«, drohte sie und stand auf.

      Höchste Zeit, sich an die Arbeit zu machen.

      »Keine Rückzieher mehr! Du hast es mir versprochen!«, erinnerte Roman seine Lebensgefährtin. »Sonst komme ich höchstpersönlich vorbei, werfe dich über die Schulter und schleppe dich in meine Höhle.«

      Jenny musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er es ernst meinte.

      »Schon gut. Ich werde pünktlich sein.« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn zum Abschied. »Ich will mich ja nicht vor dem ganzen Kollegium der Lächerlichkeit preisgeben.«

      »Das wäre mal ein guter Einstieg in ein neues Jahr«, scherzte Roman gut gelaunt und sah ihr nach, wie sie aus dem Zimmer ging.

      Wenig später verriet ein Motorengeräusch, dass sie auf dem Weg war.

      An diesem ersten Januar war nur wenig Verkehr, und Jenny erreichte ihr Ziel schneller als gedacht. Sie nahm es als gutes Omen.

      »Ein gesundes neues Jahr allerseits!«, grüßte sie, wann immer ihr auf den Fluren Mitarbeiter begegneten.

      »Aber nicht zu gesund«, bekam sie eine freche Antwort von einem neuen Praktikanten. »Sonst haben wir keine Arbeit mehr hier. Au!«

      Jonas fasste sich an den Hinterkopf, dorthin, wo ihn Schwester Elenas Hand getroffen hatte.

      Jenny hingegen begnügte sich an diesem Tag mit einem amüsierten Lächeln und ging ihres Wegs. Sie hatte das Büro kaum erreicht, als

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