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sehnt sich seit Jahren nach einem Kind«, fuhr Richard leise fort. »Und sie ist überglücklich, weil sie in mir einen Sohn gefunden hat. Silvia, bitte sag, daß Anna bei uns bleiben darf.«

      Liebevoll lächelte Silvia ihn an.

      »Ich schätze, unsere Kinder haben endlich eine Oma bekommen«, meinte sie. »Und soweit ich Anna in der letzten Woche kennengelernt habe, glaube ich, daß ich mir gar keine nettere Schwiegermutter wünschen könnte.«

      *

      Leandra Schütz konnte es kaum noch erwarten, bis Professor Thiersch endlich sagte, daß ihr gesamtes Knochenmark funktionsfähig sei. Tag für Tag löcherte sie ihn mit der Frage, wann es denn nun endlich soweit wäre.

      »Wenn Sie mir diese Frage noch ein einziges Mal stellen, dann betrete ich Ihr Zimmer nicht mehr«, drohte Professor Thiersch schließlich, doch dann huschte der Ansatz eines Lächelns über sein Gesicht. »Morgen wird Ihr Bruder operiert.«

      Und jetzt, da es endlich soweit war, bekam Leandra plötzlich Angst – nicht um sich, sondern um Ahilleas, den sie innerhalb so kurzer Zeit sehr lieb gewonnen hatte.

      »Ist das… gefährlich für ihn?« wollte sie wissen und überlegte dabei schon, ob sie die Transplantation ablehnen sollte, wenn der Professor ihre Frage bejahen würde.

      Doch der Chefarzt schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, Frau Schütz, Ihrem Bruder wird nichts passieren. Er bekommt eine Vollnarkose, und dann werden wir ein paar Millimeter des Knochenmarks ansaugen. Damit hat sich der Fall auch schon.«

      Das war etwas verharmlost dargestellt, aber Professor Thiersch dachte gar nicht daran, Leandra über mögliche Risiken aufzuklären. Er hatte sie in den vergangenen Wochen gut genug kennengelernt, um zu ahnen, daß sie lieber auf die Transplantation verzichten würde als ihren Bruder in Gefahr zu bringen.

      Am Abend kam Ahilleas noch auf einen Sprung zu ihr. Wie alle, die jetzt mit ihr verkehrten, trug er Mundschutz, Haube und Handschuhe.

      »Hast du Angst?« fragte Leandra, kaum daß er die Tür hinter sich geschlossen hatte.

      Ahilleas lächelte, was nur an den Fältchen zu erkennen war, die sich um seine Augen bildeten. »Angst? Wieso denn? Ich rette dein Leben, und darauf freue ich mich.« Er holte sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Und wenn du erst gesund bist, dann mußt du zu uns nach Kreta kommen.«

      Das Ablenkungsmanöver gelang. Leandra entspannte sich und hörte zu, als Ahilleas von seinem Zuhause erzählte.

      »Seltsam«, meinte er schließlich. »Dreizehn Jahre lang habe ich in Deutschland gelebt, aber dieses Ge fühl, in der Heimat zu sein, habe ich erst, seit ich auf Kreta bin.« Dann lächelte er Leandra wieder an. »Und? Kommst du?«

      Sie nickte. »Natürlich komme ich…, nein, wir werden kommen. Ich bin ja verheiratet.«

      »Ein netter Kerl, dein Chris«, urteilte Ahilleas. »Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden.«

      Ein glückliches Leuchten huschte über Leandras Gesicht. »Ich liebe ihn sehr.« Dann wurde sie ernst. »Und ich habe schon oft bereut, daß ich ihn in den ganzen Wochen, die ich hier lag nicht zu mir ließ. Er mußte doch denken, daß ich ihn nicht mehr mag, und dabei hatte ich solche Sehnsucht nach ihm. Aber ich wollte nicht, daß er mich sterben sieht…«

      »Das weiß er«, meinte Ahilleas. »Chris ist viel feinfühliger, als du zu wissen scheinst. Wir haben vor ein paar Tagen lange miteinander gesprochen. Er weiß genau, wie es in dir ausgesehen haben muß.«

      Leandra atmete auf. Sicher, Christian hatte ihr in den letzten Tagen immer wieder versichert, daß er verstand, weshalb sie ihn nicht in ihrer Nähe geduldet hatte, doch sie hatte insgeheim vermutet, er würde nur aus Rücksicht so sprechen.

      Ahilleas warf einen Blick auf seine Uhr. »So, jetzt werde ich in mein Zimmer zurückgehen.« Er hätte Leandra gern auf die Stirn oder auf die Wange geküßt, doch das durfte er im Augenblick nicht, und so sagte er nur: »Schlaf gut, und mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut.«

      *

      Am nächsten Morgen fand dann endlich die geplante Knochenmarktransplantation statt. Dr. Daniel hatte sich den Vormittag von Terminen freigehalten, um bei der Operation anwesend sein zu können. Und Professor Thiersch hatte ihm ohne Zögern die erste Assistenz übertragen.

      Es war für Dr. Daniel ein ungewohntes Gefühl, nach so vielen Jahren wieder an einem Operationstisch zu stehen, doch was man bei Professor Thiersch einmal gelernt hatte, das vergaß man nie mehr im Leben. Auch bei Dr. Daniel war es so. Die Arbeitsweise des Professors war ihm noch immer so vertraut, als hätte er erst gestern mit ihm im OP gestanden.

      »So, das war’s«, erklärte der Professor, nachdem er das benötigte Knochenmark aus Ahilleas’ Brustbein angesaugt hatte. Dann wandte er sich Dr. Daniel zu. »Machen Sie sich wieder keimfrei, und kommen Sie dann auf die Isolierstation – Zimmer 5.«

      Als Dr. Daniel den Raum betrat, war Professor Thiersch schon damit beschäftigt, die Infusion anzu­schließen. Mit großen Augen sah Leandra ihm zu, dann suchte ihr Blick Dr. Daniel.

      »Wie geht es meinem Bruder?« wollte sie wissen.

      »Er schläft noch, und vermutlich wird er so ziemlich den ganzen Tag verschlafen«, antwortete Dr. Daniel lächelnd. »Aber keine Sorge, mit Ihrem Bruder ist alles in Ordnung.«

      Leandra atmete auf, doch Dr. Daniel spürte, daß sie noch etwas auf dem Herzen hatte. Er trat näher zu ihr, und sehr gern hätte er ihre Hand genommen, um ihr ein wenig Geborgenheit zu vermitteln, doch im Augenblick durfte Leandra keinen näheren Kontakt zu anderen Menschen haben. Wenn sie in ihrem jetzigen Zustand auch nur einen Schnupfen bekommen würde, könnte es für sie den Tod bedeuten.

      »Nun, Frau Schütz, was wollen Sie noch von mir wissen?«

      Wieder richtete Leandra den Blick ihrer großen blauen Augen auf Dr. Daniel.

      »Glauben Sie, daß ich jetzt gesund werde… und ein Baby haben kann?« fragte sie, und in ihrer Stimme klang ein wenig Angst mit.

      Dr. Daniel zögerte. Er war sich der Anwesenheit des Professors nur zu bewußt. Doch dann schob er alle Bedenken beiseite. Dem jungen Mädchen mußte Mut gemacht werden.

      »Ja, Frau Schütz, ich bin sicher, daß Sie gesund werden«, meinte er. »Und Sie werden auch ein Baby haben, wenn Sie erst die Strapazen der letzten Zeit überwunden haben.«

      Professor Thiersch warf ihm einen kurzen Blick zu, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, dann richtete er sich auf.

      »So, Frau Schütz, das Schlimmste haben Sie bald überstanden«, meinte er. »Und wenn sich Ihr Blut normalisiert hat, dann können Sie wieder in Ihr altes Zimmer zurück.«

      »Wann darf ich denn nach Hause?« wollte sie wissen.

      »Na, da gedulden Sie sich mal noch ein bißchen«, erklärte Professor Thiersch­, dann verließ er das Zimmer, während sich Dr. Daniel einen Stuhl ans Bett zog und sich setzte.

      »Professor Thiersch will ganz sichergehen«, erklärte er. »Er wird Sie erst dann entlassen, wenn er Sie für geheilt hält. Aber keine Sorge, das wird nicht mehr allzu lange dauern. Das Knochenmark Ihres Bruders wird sich schnell vermehren und gesunde Blutzellen bilden.«

      »Glauben Sie, daß ich Weihnachten nach Hause kann?«

      Dr. Daniel rechnete kurz nach, dann nickte er. »Ja, Frau Schütz, ich denke schon.«

      *

      Schon nach den ersten Wochen bemerkte Silvia Burgner, daß sich ihr Leben von Grund auf ändern würde – doch es war eine angenehme Veränderung. Gleich nachdem sie aus der Klinik gekommen war, war sie über Annas Anwesenheit sehr froh gewesen, denn es war gar nicht daran zu denken, daß sie ihre Pflichten gleich wieder in vollem Umfang aufnehmen konnte. Und Anna half auf so unscheinbare Weise, daß Silvia sich überhaupt nicht eingeengt fühlte.

      Und so dauerte es auch nicht lange, bis sich zwischen den beiden Frauen eine intensive

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