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Sie das Ihre langjährige Erfahrung gelehrt?«

      Es war offensichtlich, daß der Gentleman sich erneut über sie lustig machte, aber sie erwiderte ernst: »Wenn Sie meinen, ob ich das selbst beobachtet habe, dann kann ich das bejahen. Wenn sich die Engländer den Eingeborenen, die sie verachten, nicht verständlich machen können, brüllen sie sie an - natürlich auf Englisch!«

      Der Fremde mußte lachen.

      »Sie üben harte Kritik, Miss . . .« Er hielt inne. »Mir fällt gerade ein, daß Sie mir Ihren Namen noch nicht genannt haben.«

      »Dazu sehe ich keine Veranlassung, Sir, zumal Sie ja selbst beanstandet haben, daß es keine Begleiterin gibt, die uns einander vorstellen könnte!«

      Diesmal klang sein Lachen ehrlich amüsiert.

      »Also gut«, sagte er, »spielen Sie weiter die geheimnisvolle Unbekannte, aber eins möchte ich Ihnen klarmachen: Der Beruf der Ballettänzerin ist ungeeignet für Sie.«

      »Warum?« fragte Solita.

      »Weil ich sicher bin, daß Sie eine Dame sind!«

      »Warum sollte das eine Rolle spielen, wenn man gut tanzen kann?«

      Er hätte ihr eine Menge Gründe nennen können, aber er drückte sich sehr vorsichtig aus.

      »Ballettänzerinnen werden von den Kavalieren in St. James verehrt, gewiß, aber man erwartet auch von ihnen, daß sie sich für die Geschenke, die sie erhalten, erkenntlich zeigen.«

      Solita wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn bestürzt an.

      »Meinen Sie damit, sie müssen sich dafür bedanken?«

      »Nicht nur mit Worten!«

      »Ich . . . verstehe Sie nicht.«

      »Wie sollten Sie auch?« entgegnete der Fremde. »Hören Sie auf meinen Rat, und glauben Sie mir, daß Sie für das Leben einer Ballettänzerin ungeeignet sind.«

      Solita seufzte.

      »Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als den Herzog zu zwingen, einer Verpflichtung nachzukommen, die er sträflich vernachlässigt hat.«

      »Ich habe ihn immer für einen sehr verantwortungsbewußten Menschen gehalten«, entgegnete der Fremde. »Wollen Sie mir nicht sagen, in welcher Weise Seine Gnaden Sie gekränkt hat?«

      Dem schmeichelnden Ton, den er anschlug, konnte kaum eine Frau widerstehen.

      Solita reckte jedoch ihr Kinn noch trotziger vor und entgegnete: »Da Sie offensichtlich mit ihm befreundet sind, würden Sie ganz gewiß alle möglichen Entschuldigungen für ihn finden.«

      Der Fremde lächelte verhalten.

      »Ich glaube, er ist durchaus imstande, das selbst zu besorgen.«

      »Und er wird dabei ganz gewiß sehr überzeugend wirken!« sagte Solita sarkastisch.

      »Was ist geschehen?« wiederholte der Gentleman seine Frage. »Hat der Herzog sich geweigert zu helfen, als es Ihrer Meinung nach seine Pflicht gewesen wäre?«

      Sie schwieg.

      Nach einer Weile fügte er hinzu: »Vielleicht möchten Sie sich mir anvertrauen?«

      Wieder sah sie ihn mit erstauntem Blick an, der verriet, daß ihr ein solcher Gedanke nie in den Sinn gekommen wäre.

      »Nein . . . natürlich war das niemals meine Absicht!« rief sie erschrocken aus. »Ich . . . würde niemals einen Fremden mit meinen persönlichen Angelegenheiten behelligen!«

      Sie hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Es war ungehörig von mir, Sie zu bitten, mich mitzunehmen, aber ich hatte keine Ahnung, daß es am Bahnhof keine Mietdroschke geben würde, und wußte einfach nicht, wie ich zum Schloß kommen sollte.«

      Das klang so bekümmert, daß der Fremde sie beruhigte.

      »Sie haben das in Ihrer Lage einzig Vernünftige getan«, versicherte er ihr. »Es wäre ausgesprochen töricht gewesen, mich wegfahren zu lassen.«

      »Dann hätte ich laufen müssen«, sagte Solita. »Wie weit ist es eigentlich bis zum Schloß?«

      »Über drei Meilen.«

      »Oje, und ich hätte nicht einmal den Weg gewußt!«

      »Also müssen Sie zugeben, daß Sie völlig vernünftig gehandelt haben«, betonte der Fremde, »und ich muß mich bei Ihnen für Ihre anregende Gesellschaft auf dieser sonst so langweiligen Fahrt bedanken.«

      Solita lachte kläglich.

      »Das sagen Sie nur, damit ich keine Gewissensbisse bekomme.«

      »Meine Neugier haben Sie aber noch immer nicht gestillt . . .«

      Ihr Mitreisender sah sie herausfordernd an.

      »Darf ich nochmals betonen, daß ich Ihnen gern behilflich wäre, wenn Sie in Schwierigkeiten sind?«

      »Dafür ist der Herzog zuständig«, sagte sie energisch.

      Die grimmige Entschlossenheit, die aus ihren Worten klang, mutete den Fremden bei einem so jungen Mädchen merkwürdig an, aber er bemühte sich, ernst zu bleiben.

      »Sie erwähnten, daß Sie im Ausland gelebt haben, aber offensichtlich sind Sie Engländerin. Freuen Sie sich, wieder in der Heimat zu sein?«

      »Eigentlich schon«, erwiderte Solita, »obwohl mir alles hier ein wenig fremd und beunruhigend vorkommt, besonders . . .«

      Sie stockte, weil sie wieder einmal fast zu viel über sich verraten hätte.

      » . . . weil Sie kein Geld haben«, ergänzte er ihren Satz.

      »Ganz mittellos bin ich nicht«, sagte Solita, »aber das Geld wird nicht lange reichen.«

      »In eine solche Lage geraten wir wohl alle hin und wieder einmal.«

      »Dann verstehen Sie sicher auch, weshalb ich etwas unternehmen muß.«

      Sie sah ihn beinahe flehend an, als sie fortfuhr: »Ich tanze wirklich sehr gut. Der Tanzlehrer an unserer Schule hat einmal gesagt, ich könnte mich mit jeder ausgebildeten Tänzerin messen, und das brachte mich auf die Idee, mich um eine Anstellung beim Covent Garden Ballett zu bewerben. Es stimmt doch, daß es das beste in London ist, nicht wahr?«

      »Ja, das schon«, erwiderte der Fremde, »aber ich sagte Ihnen bereits, daß Sie die Idee vergessen sollen.«

      »Weil ich eine Dame bin? Ich kann mir nicht vorstellen, daß man mich deshalb ablehnen würde.«

      »Wenn Sie tatsächlich so talentiert sind, wie Sie glauben, wird man Sie nicht ablehnen«, erwiderte der Fremde, »aber es wäre kein Leben für ein so zartes, wohlerzogenes und gebildetes junges Mädchen wie Sie.«

      Solita stieß einen Seufzer aus.

      »Wie kommen wohlerzogene Damen dann zu Geld?« ,

      »Sie heiraten. Es muß doch jemanden geben, der Sie in die Gesellschaft einführen könnte.«

      »Ich lege keinen Wert darauf, in die Gesellschaft eingeführt zu werden«, entgegnete Solita. »Mir geht es eigentlich nur darum, genügend Geld für eine Indienreise zusammenzubekommen.«

      »Indien?« rief der Herr aus. »Was um alles in der Welt wollen Sie denn in Indien?«

      »Dafür gibt es einen sehr persönlichen Grund.«

      Bevor er sie fragen konnte, welcher Grund das sei, schrie sie leise auf.

      »Das muß das Schloß sein! So habe ich es mir vorgestellt!«

      Auf einem Hügel ragte Schloß Calver auf. Es war ringsum von Bäumen umgeben, und mit dem in der Sonne golden glänzenden alten Mittelturm wirkte es wie ein auf Samt gebetteter Edelstein. Die unzähligen hell blitzenden Fenster verliehen dem Schloß das Aussehen eines Märchenpalastes.

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