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      »Gleich, wenn du willst, Bambi«, antwortete Anschi tonlos. »Ich muss noch einkaufen.«

      Es war eine Ausrede. Sie brauchte Zeit, um sich zu fangen und Inge Auerbach begriff, ohne viel zu fragen.

      »Ich habe ihm Unrecht zugefügt«, sagte Anschi, als Bambi sich entfernt hatte.

      »So wollen wir es nicht nennen«, meinte Inge Auerbach. »Sie haben ja nur an Sabine gedacht.«

      *

      Otto Behrend hatte nicht die Absicht, nach Köln zurückzukehren. Hohenborn schien ihm weit genug von Erlenried entfernt, um der weiteren Entwicklung der Dinge mit einiger Besonnenheit entgegenzusehen. Schließlich wollte er ja auch mit Herbert Kerst in ständiger Verbindung bleiben.

      Sie hatten sich alles ziemlich genau zurechtgelegt, wenn auch gewisse Widerstände einkalkuliert worden waren. Aber jetzt nahm Otto Behrend nicht nur Zuversicht mit sich, sondern auch eine zerschlissene schwarze Aktentasche, deren Inhalt ihm möglicherweise einiges noch begreiflicher machen konnte.

      »Ich hätte nicht so kurz sein dürfen«, sagte er zu Werner Auerbach. »Sie hat mich sehr gerührt.«

      »Sie sind nicht aus der Welt, und es ist immer gut, wenn man erst einen gewissen Abstand gewinnt«, bemerkte Werner Auerbach. »Jetzt werden Sie sich erst einmal mit Dr. Rückert unterhalten.«

      »Werde ich ihn nicht in Verlegenheit bringen, wenn er zwei Parteien beraten soll?«

      »Ach was! Der gute Heinz wird das Kind schon schaukeln. Es ist selbst für einen Anwalt besser, auszugleichen als zu trennen. Und wenn es Ihnen zu einsam wird in Hohenborn, sind Sie uns wieder herzlich willkommen, Herr Behrend.«

      *

      Bambi läutete in der Frühlingsstraße sieben, aber Sabine hatte sie schon kommen sehen.

      Heute war die Welt für sie wieder in Ordnung, und so freute sie sich über Bambis Besuch.

      »Darfst du ein bisschen raus?«, erkundigte sich Bambi, die Sabine gern allein sprechen wollte.

      Sabine wollte erst Tante Norma fragen.

      »Wir sollen lieber drinnen spielen«, erklärte sie. »Komm doch rein, Bambi.«

      Artig begrüßte Bambi Tante Norma, aber doch nicht ganz unbefangen. Sie wusste noch immer nicht, wer eigentlich so gegen Opa Behrend war, und das hemmte sie.

      Es war auch gar nicht so einfach, ein Gespräch zu beginnen. Von Sabines Flucht wollte sie nicht reden, und Opa Behrend war auch so ein schwieriges Kapitel.

      »Bleibt die Tante Norma immer hier?«, fragte sie, um überhaupt ein Gespräch anzufangen.

      »Nur noch ein paar Tage«, erwiderte Sabine.

      »Und wer kommt dann? Habt ihr immer Besuch?«

      »Nein.«

      Bambi seufzte. Leicht machte es ihr Sabine wirklich nicht.

      »Der Opa Behrend ist heute weggefahren«, sagte sie. »Schade!«

      Sabine sah sie staunend an. »Wieso schade?«

      »Ich habe mich so prima mit ihm verstanden. Man kann sich gut mit ihm unterhalten. Wenn ich nicht einen Opi hätte, würde ich ihn gern als Opa haben.«

      So, das hatte sie jetzt wenigstens gesagt. Nun blieb abzuwarten, was Sabine darauf zu sagen hatte. Aber Sabine sagte gar nichts.

      »Willst du denn keinen Opa haben?«, fragte Bambi beklommen.

      »Nein. Ich habe keinen und will auch keinen. Ich will bei Anschi und Stefan bleiben.«

      Bambi ging zum Fenster. Sie überlegte krampfhaft, was sie nun noch sagen könnte.

      »Und wenn die Tante dich nun wieder abholt?«, fragte sie.

      »Sie kommt nicht mehr. Sie heiratet Enzo«, erklärte Sabine trotzig.

      »Sie wollte mich doch loswerden.«

      Bambi legte den Finger an die Nase und wartete auf den Einfall, der doch noch einigen Erfolg versprach. Und dann kam er.

      »Wenn deine Tante gewusst hätte, dass Opa Behrend so reich ist und dich so gern haben will, dann hätte sie dich bestimmt zu ihm geschickt. Und was hättest du dann gemacht, Sabine?«

      Sabine ging das nicht gleich in den Sinn.

      »Wie meinst du denn das, Bambi?«, fragte sie.

      Bambi fühlte sich jetzt schon sicherer. Sie hatte ganz plötzlich eine Geschichte fest im Kopf.

      »Pass mal auf, Sabine. Deine Tante hätte dich doch auch nach Köln bringen können, wenn sie dich schon loswerden wollte. Dann hätte sie zu dir gesagt, dass du zu deinem Opa gehen sollst, und dann hätte sich der Opa auch gefreut, dass du da bist.«

      »Warum hat mich der Opa dann aber nie besucht, wenn er sich gefreut hätte?«

      »Hat dich denn Tante Norma mal besucht, oder der Onkel Herbert oder Anschi und Stefan?«, fragte Bambi nachdenklich. »Sie haben nicht gewusst, wo sie dich besuchen können, so war es nämlich.«

      Sie war ungeheuer stolz, dass sie diese Erklärung gefunden hatte und Sabine, allem Anschein nach, damit tief beeindruckte.

      Und dann vertraute ihr Sabine auch noch das große Geheimnis an, das Bambi ihrerseits schwer begreifen konnte.

      »Tante Ruth hat gesagt, dass Stefan mein Vater ist, aber er ist gar nicht mein Vater«, erklärte Sabine flüsternd. »Ich heiße nämlich auch gar nicht Behrend. Behältst du das für dich, Bambi?«

      Verwirrt nickte Bambi. Aber später überlegte sie sich, dass es sicher nicht schlimm wäre, wenn sie es wenigstens ihrer Mami sagen würde, die doch bestimmt gescheiter war als sie und eine Erklärung dafür wüsste.

      *

      »Mami, ich muss dich mal was fragen«, begann sie auch gleich, kaum dass sie zur Tür herein war. »Wir heißen doch alle Auerbach?«

      »Darüber besteht kein Zweifel«, erwiderte Inge lächelnd.

      »Omi und Opi heißen aber von Roth. Wieso das?«

      »Weil sie meine Eltern sind und ich Papi geheiratet habe. Wenn man heiratet, bekommt man den Namen des Mannes.«

      Für Inge war es nicht ungewohnt, dass Bambi solche Fragen stellte. Einstweilen dachte sie sich noch nichts dabei. Doch schon bei der nächsten Frage wurde sie hellhörig.

      »Sabine ist aber noch nicht verheiratet. Warum heißt sie anders als ihr Papi? Nein, warte mal, sie hat ja gesagt, dass Stefan gar nicht ihr Papi ist. Ich finde mich jetzt wirklich nicht mehr raus. Wenn ich es selber nicht verstehe, kann ich es doch Sabine auch nicht erklären, oder?«

      »Ich kann es dir auch nicht erklären«, sagte Inge.

      »Dann muss es schrecklich schwierig sein.«

      Sie versank in tiefes Schweigen, und Inge wartete gespannt, was sie nun hervorbringen würde.

      »Stefan heißt Behrend, und der Opa auch Behrend«, konnte sie gleich darauf vernehmen. »Aber Sabine heißt nicht Behrend, das hat sie mir selber gesagt.«

      »Fest steht, dass ihr Opa Behrend heißt«, erklärte Inge, »ganz egal wie sie heißt. Du heißt Auerbach und dein Opi Roth. Verstehst du das, Bambi?«

      Fragend schaute Bambi ihre Mami an.

      »Ist es ganz bestimmt ihr Opa?«

      »Ganz bestimmt, Bambi.«

      Bambi seufzte schwer. »Eigentlich möchte ich ja lange klein sein und euer Nesthockerl«, sagte sie, »aber manchmal möchte ich auch groß und schlau sein und alles verstehen.«

      Inge nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.

      »Man braucht gar nicht alles zu verstehen, Schätzchen. Bleib lieber noch recht lange unser Nesthockerl.«

      *

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