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      »Die Angelegenheit muss schnellstens geklärt werden«, sagte Norma. »Das beste wird sein, ihr übergebt das Kind der Fürsorge.«

      »Das wäre das letzte!«, entgegnete Anschi energisch. »Ich will Sabine behalten.«

      »Du bist übergeschnappt!«, stöhnte Norma Kerst.

      »Norma, beherrsch dich!«, wurde sie von ihrem Ehemann ermahnt. »So habe ich unser Kind noch nie erlebt. Du bist großartig, Anschi, richtig großartig! Natürlich kommt das arme kleine Mädchen nicht zur Fürsorge. Das wäre ja niederträchtig. So ein süßes Ding. Wo ist sie denn überhaupt?«

      »In ihrem Zimmer«, antwortete Stefan.

      »Und wo ist ihr Zimmer?«, fragte Herbert Kerst.

      »Erster Stock, zweite Tür«, erwiderte Anschi.

      Sie sah ihrem Vater nach, der schwerfällig die Treppe hinaufstieg.

      »Er ist einmalig«, bemerkte sie voller Zärtlichkeit.

      Norma warf den Kopf herum.

      »Du und dein Vater!«, empörte sie sich. »Denkst du denn überhaupt nicht daran, was du dir da auflädst?«

      »Wir«, sagte Stefan und küsste Anschi. »Bei uns heißt es nur wir, Mutti.«

      Zusammengerollt lag Sabine auf dem Bett, den Kopf in den Kissen vergraben. Ihre Schultern zuckten unter lautlosem Schluchzen.

      Herbert Kerst setzte sich auf den Bettrand und tätschelte ihre Hände.

      »Nimm’s nicht so tragisch, Kleine«, sagte er stockend. »Unsere Mama ist gar nicht so. Das kam alles bloß zu überraschend. Ich bin ja auch noch da, und wenn meine Anschi dich mag, dann mag ich dich auch. Schau mich mal an, und dann unterhalten wir uns ein bisschen.«

      Langsam drehte ihm Sabine ihr Gesicht zu.

      »Anschi war gleich so lieb zu mir«, flüsterte sie. »Ich kann doch wirklich nichts dafür. Ich habe das doch nicht gewollt, und ich will auch nicht, dass Anschi Ärger hat.«

      »Sie trägt es gelassen«, brummt er. »Meine Frau kann sich halt nicht daran gewöhnen, dass sie erwachsen ist. Für sie bleibt Anschi immer ein kleines Mädchen.«

      Nachdem der erste Bann gebrochen war, gewann Herbert Kerst ganz behutsam Sabines Vertrauen. Er blieb lange bei ihr. So lange, dass Norma Kerst unruhig wurde.

      »Ich möchte nur wissen, was Vater mit ihr redet«, sagte sie.

      »Lass ihn doch. Sie werden sich gut unterhalten«, meinte Anschi. »Das kann man nämlich mit Sabine.«

      »Nun, ich finde deine Einstellung nicht richtig. Das werde ich hoffentlich sagen dürfen, mein Kind.«

      »Sagen darfst du es, Mutti.« Anschi lächelte. »Ich freue mich wirklich, dass ihr gekommen seid, aber was Sabine betrifft, ist das allein meine und Stefans Angelegenheit.«

      Doch ganz so war es auch schon nicht mehr. Es schien auch bereits Herbert Kersts Angelegenheit geworden zu sein. Er kam, mit Sabine an der Hand, herunter.

      »So, Norma, nun begrüß das Kind erst mal richtig. Sie ist meine kleine Freundin, und ich hoffe, dass auch ihr euch schnell anfreundet.«

      Ein Unterton war in seiner Stimme, den Norma Kerst genau kannte. Sie wusste, dass ein Widerspruch ihren Mann auf die Palme bringen würde. In dreißig Ehejahren hatte sie das gelernt.

      Er war ein sehr toleranter Mann, aber es gab Grenzen bei ihm, die man nicht überschreiten durfte.

      So reichte sie dem Kind mit einem etwas gequälten Lächeln die Hand und sagte: »Wir werden uns schon noch besser kennenlernen.«

      *

      Nachdem das Abendessen im Seeblick ganz friedlich verlaufen war, denn Norma wollte den Leuten kein Schauspiel bieten, und sie sich dann in das zweite Gästezimmer zurückgezogen hatten, ging es zwischen den Kersts doch hoch her, bis Herbert Kerst sehr energisch wurde.

      »Manchmal bist du richtig kleinlich. Norma«, sagte er. »Himmel noch mal, wir haben doch wahrhaftig genug Geld. Können wir da nicht auch mal was für so ein armes kleines Menschenkind tun?«

      »Wir?«, fragte sie gedehnt.

      »Ja, wir! Da sitzen wir allein in einem prächtigen Haus, und du jammerst nur hinter Anschi her! Aber gepasst hätte es dir auch nicht, wenn sie eine alte Jungfer geworden wäre. Wir sind doch beide noch recht rüstig.«

      »Rüstig?«, wiederholte sie beleidigt. »Du tust, als wären wir Greise!«

      »Ganz im Gegenteil. Ich würde mich jung genug fühlen, noch einmal Vater zu werden!«

      Entsetzt sah sie ihn an, und er lachte schallend.

      »Natürlich nicht so, wie du jetzt denkst. Aber man könnte sich doch mit dem Gedanken anfreunden, noch mal ein Töchterchen ins Haus zu nehmen.«

      »Du bist genauso übergeschnappt wie Anschi«, sagte sie.

      »Na schön, dann sind wir eben übergeschnappt, und wenn du nicht willst, werde ich Anschi unterstützen, dass sie das Kind bei sich behält. Und nun ist Ruhe! Ich bin müde!«

      Sie schluckte ein paarmal, aber sie wusste, dass jetzt alles Reden keinen Sinn hatte. Er hatte manchmal schon einen dicken Schädel. Mit dem Kopf konnte sie die Mauer nicht einrennen, die er im Augenblick um sich aufgerichtet hatte.

      *

      Stefan war ganz froh, dass seine Schwiegereltern da waren und sich entschlossen hatten, einige Tage zu bleiben. Er hoffte, dass es Anschi dann nicht so schwerfallen würde, sich von Sabine zu trennen, wenn man ihrem richtigen Vater auf die Spur gekommen war.

      Er hatte seinen Schwiegervater eingeweiht, dass er sich deshalb schon mit Dr. Rückert in Verbindung gesetzt hatte, und Herbert Kerst erklärte, dass er die Angelegenheit in die Hand nehmen wolle. Stefan hatte aber keine Ahnung, wie er dies verstand, und er wäre aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, hätte er eine Ahnung gehabt, was Herbert Kerst alles unternahm.

      Mit Dr. Rückert verstand er sich großartig. Sie waren beide Männer, die geradewegs ein Ziel ansteuerten und keine Umwege liebten.

      Da die Behörden in Göttingen sich Zeit ließen, beschloss Herbert Kerst, den Dingen höchstpersönlich auf den Grund zu gehen.

      Zum Erstaunen seiner Familie erklärte er am dritten Tag, dass er für zwei Tage verreisen müsse. Er hätte eine wichtige geschäftliche Angelegenheit zu regeln, die er in der Aufregung übersehen hätte, gab er als Begründung an.

      Um seine geschäftlichen Angelegenheiten hatte sich Norma nie gekümmert, und eigentlich war sie froh, ihn erst mal los zu sein, weil sie meinte, dass Anschi so leichter zu beeinflussen sei.

      Allerdings tat sie das auch mit Vorbehalt, denn ohne dass sie es wollte, hatte sich Sabine auch in ihrem Herzen bereits ein Plätzchen erobert. Man konnte diesem Kind einfach nicht gram sein, welche Gründe man auch immer anführen mochte. Sabine war so lieb und aufmerksam, so bescheiden und rücksichtsvoll, dass Norma praktisch nur noch zu bedenken gab, dass Anschi ja nun bald ein Baby haben würde, das sie ganz beanspruchte.

      »Nun mach es aber halblang, Mutti«, meinte Anschi darauf. »Andere Frauen haben ein halbes Dutzend Kinder und kommen auch zurecht. Außerdem ist Sabine schon so selbständig.«

      So langsam gab es Norma Kerst auf, ihre Argumente anzuführen, und Schritt für Schritt kam sie Sabine immer näher.

      Währenddessen räumte Herbert Kerst alle Hindernisse nieder, die bürokratischer Geist ihm in den Weg stellte, und bald hatte er in Erfahrung gebracht, dass es in Göttingen vor zehn Jahren tatsächlich zwei Stefan Behrends gegeben hatte, die dazu auch noch im gleichen Jahr geboren waren.

      Über seinen Schwiegersohn brauchte er keine näheren Auskünfte einzuholen. Von ihm wusste er ja alle Daten. Der andere Stefan Behrend war nach Köln verzogen, technischer Kaufmann von Beruf und zu jener Zeit unverheiratet gewesen.

      Also

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