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es wurde schlimmer, statt besser. Der Wind wuchs zum gewaltigen Sturm. Hui – wirbelte er die Hüte und Mützen der Reisenden über das Deck.

      Das war lustig! Für so was war Doktors Nesthäkchen zu haben. Jauchzend beteiligte es sich an der wilden Jagd. Aber nicht lange dauerte die Freude. Denn auch die niedlichen Wellen hatten sich inzwischen in gewaltige brandende Riesenwogen verwandelt. Wie einen Fangball warfen sie das große Schiff hin und her.

      Hin und her – jetzt flog man in die Höhe, nun stürzte man wieder zur Tiefe. Starke Männer mußten sich an dem Schiffsgitter halten, um nicht über Bord geworfen zu werden. Wie Betrunkene taumelten die Menschen der Treppe zu, um windgeschützte Räume aufzusuchen. Hier und da wurden seekrank gewordene Damen von hilfsbereitem Schiffspersonal herabgeführt.

      Frau Doktor Braun, deren frisches Gesicht plötzlich bleich und elend aussah, wollte ihr Töchterchen ebenfalls mit nach unten ziehen.

      »Wenn ick Ihn’ raten sull, dann laten se dat bliwen, gnädige Frau«, mischte sich der Matrose Willem ein, der bei seiner kleinen Freundin geblieben war, um für alle Fälle zur Hand zu sein. »Sie machen dat viel better (besser) hier oben in de frische Luft dorch. Unten wird Ihn’ höllschen hundsmiserablig zumut.«

      »Ach ja, Muttichen, es ist so fein hier«, bat auch Annemaries Stimmchen, von Sturmesbrausen übertönt. Mit glänzenden Augen und wild zerzausten Haaren klammerte sie sich an das Geländer. Noch machte ihr die Sache Spaß.

      Aber nicht mehr lange. Einer nach dem andern der Reisenden wurde von der Seekrankheit ergriffen. Mit grünlichgrauer Gesichtsfarbe ruhten sie fröstelnd und sterbenselend in ihren Liegestühlen. Bald ward auch Doktors Nesthäkchen, von ihrem Freund Willem sorglich mit warmen Decken zugedeckt, in solch einen Stuhl gebettet. Es merkte gar nicht, daß auch die Mutter ein Opfer der scheußlichen Seekrankheit geworden. Es war der armen Annemarie ganz jammervoll zumute, viel schlimmer als damals, als sie Scharlach hatte. Grün und gelb war es ihr vor den Augen. Sie sah nichts als tanzende Wellen, taumelnde Dinge. Frau Doktor Braun aber fühlte sich so kreuzelend, daß sie sich nicht einmal um ihr Kind kümmern konnte.

      Das hatte sie aber auch gar nicht nötig, denn der Matrose Willem war wie eine Mutter um seine kleine Freundin bemüht. Sorgsam band er das leichte Dingelchen an den Liegestuhl fest, daß der Sturm es nicht fortwehen konnte. Mit seinem roten Taschentuch wischte er ihr den kalten Schweiß von der Stirn, streichelte ihr wellenbespritztes blasses Gesichtchen mit seinen schwieligen Händen und tröstete: »Lat man, lat man sinning, lütt Fräulein, dat geiht allens wieder über, wenn wir man erst an Land sünd.«

      »Land – Land« – sehnsuchtsvoll wie einst Kolumbus, so stöhnte es ein jeder aus tiefstem Herzen.

      Aber man mußte sich noch lange gedulden.

      Als die »Königin Luise« gegen Abend endlich an der Insel Amrum anlief, war nur eine einzige von all ihren Passagieren von der Seekrankheit verschont geblieben.

      Das war Puppe Gerda in der Tranmanteltasche des Matrosen.

      7. Kapitel

       In der neuen Heimat

       Inhaltsverzeichnis

      Sobald Frau Doktor Braun und ihr Töchterchen den Fuß wieder an Land gesetzt hatten, war ihnen besser zumute. Allerdings mochten sie heute abend nichts mehr sehen und hören. Nicht einmal für ihren süßen, kleinen Reisekoffer, der wohlbehalten ausgeladen wurde, hatte Annemarie Interesse. Sie hatten nur den einen Wunsch, sich möglichst schnell ins Bett zu legen und zu schlafen – schlafen …

      In dem erstbesten Hotel nahm die Mutter ein Zimmer. Und bald schliefen sie alle beide den Schrecken des überstandenen Sturmes und der abscheulichen Seekrankheit aus.

      Am andern Morgen erwachte Annemarie von einem merkwürdigen Geräusch. Lautes Rauschen und Brausen erfüllte die Luft. Aber das Schlauköpfchen wußte Bescheid.

      »Ein Zeppelin – sicher ein Zeppelin, Mutti« – rief sie der ebenfalls schon erwachten Mutter jauchzend zu und sprang aus dem Bett ans Fenster.

      Aber da war kein Luftschiff zu sehen, soviel Annemarie auch ausschaute. Wohin sie auch blickte, Meer – grünlich blaues, mit weißen Wellenköpfchen an den Strand flutendes Meer.

      Sollte das etwa den Radau machen?

      »Lotte, zieh dir Schuhe und Strümpfe an, du erkältest dich«, rief die Mutter vorsorglich.

      »Ach Muttichen, Vater hat gesagt, in Wittdün darf ich barfuß laufen.« Aber als gehorsames Töchterchen begann sie doch, sich anzukleiden.

      »Mutti, das Meer macht einen Mordsskandal – und heute bin ich kein bißchen seekrank mehr – und der Matrose Willem war gestern so furchtbar nett zu mir und – ach Muttichen, um Himmelswillen, es ist etwas ganz Schreckliches passiert!« mitten im Waschen hielt Annemarie entsetzt inne.

      »Was denn, Lotte – fehlt dir irgendwas?«

      »Ja, Mutti –« die Kleine begann zu weinen.

      »Aber so sag doch, Lotte – tut dir was weh – was fehlt dir denn?« Die Mutter verging schon wieder vor Angst.

      »Meine Gerda, die steckt ja noch in der Manteltasche von Willem – lieber Gott, die habe ich gestern abend ganz vergessen«, lauter wurde das Schluchzen.

      »Gottlob, daß es nichts weiter ist«, die Mutter atmete auf.

      »Weine nicht, Lotte, die Gerda werden wir schon wiederkriegen. Wir gehen gleich nach dem Frühstück ans Schiff.« Es war ja kein Wunder, daß Annemarie gestern in ihrem jämmerlichen Zustand nicht an ihr Puppenkind gedacht hatte. War es doch Frau Doktor Braun selbst nicht möglich gewesen, sich um ihr Nesthäkchen zu kümmern.

      Das kleine Mädchen war heute wieder ganz munter, während die Mutter sich noch etwas angegriffen fühlte.

      Nichts ging Annemarie jetzt schnell genug. Das Entwirren der sturmzerzausten Locken und das Flechten der blonden Rattenschwänzchen über jedem Ohr dünkte ihr eine Ewigkeit.

      »Mutti – Mutti – das Schiff geht ab –« drängte sie.

      Kaum bekam die Mutter sie dazu, in Ruhe erst ihren Kakao unten auf der Hotelveranda zu trinken. Dabei hätte Annemarie das schöne Frühstück in den silbernen Kännchen mit dem knusperigen Backwerk und dem goldgelben Honig zu anderer Zeit sicherlich viel Spaß gemacht.

      Nun eilte sie endlich der Mutter voran, die weißhügeligen Dünen hinab zur Landungsbrücke.

      Kein Schiff weit und breit zu sehen. Nur ganz in der Ferne konnte man auf hohem Meer Fahrzeuge erkennen. Aber die sahen so winzig aus wie Boote.

      Enttäuscht blickte Annemarie sich um, dann trat sie kurz entschlössen an einen alten Fischer heran, der mitten in der Sonne in dem leuchtend weißen Sande saß und Netze strickte.

      »Ach, können Sie mir vielleicht sagen, wo die ›Königin Luise‹ hingekommen ist?« fragte Annemarie, höflich grüßend.

      Der Fischer sah nicht von seiner Arbeit auf. Nur mit dem breiten Daumen machte er eine überwendliche Bewegung nach dem Meer zu.

      Daraus konnte die Kleine nicht klug werden. Sie wiederholte ihre Frage noch einmal mit erhobener Stimme, denn am Ende war er schwerhörig. Außerdem rauschte das Meer auch so laut, besonders für ungewohnte Ohren, daß man kaum sein eigenes Wort verstand. Wieder drehte sich der breite Daumen nach dem Meer zu. Stumm strickte der Alte seine Netze weiter.

      Zum Glück kam Mutti jetzt heran.

      »Ist die ›Königin Luise‹ schon wieder abgegangen?« fragte sie.

      »Woll«, der Alte sah nicht hoch.

      Da aber traf ein so schmerzliches Weinen sein Ohr, daß er mitten in der Arbeit innehielt und ganz verwundert aufschaute.

      »Meine Gerda – meine süße Gerda –« beide Arme streckte das kleine Mädchen nach dem mitleidslos

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