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faßte Klein-Annekathrein nach den Rockfalten des alten Fräuleins. Auch Gerda hatte herzklopfend die Hand ihrer Freundin Annemarie gefaßt. Keins sprach. Alle standen noch unter dem Bann des Märchens von der Entstehung Wittdüns.

      »War das wundervoll graulich!« Annemarie, das Plappermäulchen, war die erste, welche die Sprache wiederfand.

      »Ich geh’ nie mehr abends auf die Dünen«, Vronli flüsterte es ihrer Schwester Gretli zu.

      »Aber ich!« fuhr Peter, der sich so leicht vor nichts fürchtete, übermütig dazwischen. »Ich werde das Nixlein mal an ihren Silberhärchen ziepen!« vorläufig begnügte er sich mit dem Zopf eines neben ihm sitzenden Mädchens.

      »Pst – Jung – rede nicht so gottlos – daß dich der Quallenkönig nicht holt!« scheu blickte die abergläubische alte Näherin in alle Ecken des Stübchens.

      Nach dem Abendessen winkte Peter Annemarie auf die Diele heraus.

      »Du – ich habe ’ne feine Idee!«

      Wenn der Peter eine seine Idee hatte, war es sicher etwas Ungezogenes. Trotzdem Annemarie das ganz genau wußte, siegte ihre Neugier.

      »Was ist es denn – sag’ es mir doch, Peterchen.«

      »Nee, du klatschst ja, dir erzähle ich nichts mehr« – er wollte sie nur noch neugieriger machen.

      »Ehrenwort, rechte Hand – ich klatsche nicht«, Annemarie brannte vor Neugier.

      »Wir wollen heute um Mitternacht an Fräulein Julchens Fenster als Quallenkönig anklopfen«, flüsterte der kleine Bösewicht ihr mit unterdrücktem Lachen zu.

      »Nee – nee, da graule ich mich selbst – – –«

      »Sag’ ich’s nicht, du bist ’ne feige Memme!«

      »Ach wo, feige bin ich gar nicht« – das konnte Annemarie nun mal nicht vertragen, das ging ihr gegen ihre Ehre. »Aber um Mitternacht schlafe ich doch überhaupt schon.« Die Kleine war glückselig, auf diese Ausrede gekommen zu sein.

      »Na, es muß ja doch nicht gerade Mitternacht sein, es geht auch früher. Fräulein Julchen legt sich schon mit den Hühnern schlafen. Wenn wir da gegen zehn an ihre Fensterscheibe pochen, denkt sie bestimmt, es ist Mitternacht.«

      »Geht aber doch nicht! Wie willst du denn an ihr Fenster klopfen? Das Zimmer hat doch keinen Balkon.«

      »Schadet nichts«, wenn es sich um einen ungezogenen Streich handelte, war Peter nie um einen Ausweg verlegen. »Wir nehmen einfach eine alte Bohnenstange aus dem Garten. Von unserm Balkon aus reichen wir damit ganz bequem an Fräulein Julchens Fenster heran.«

      Dagegen ließ sich nichts mehr einwenden. Schließlich war auch Doktors Nesthäkchen rangenhaft genug, um an dem Streiche Gefallen zu finden. Wenn es sich von ihrem Balkon aus machen ließ, das war ja gar nicht so graulich. Vergessen waren wieder mal die weißen Haare der Frau Kapitän und Annemaries damit zusammenhängende gute Vorsätze.

      »Also Punkt zehn auf dem Balkon – für die Bohnenstange sorge ich – kannst dich ja öfters mal ins Bein kneifen, damit du nicht einschläfst«, damit war Annemarie entlassen.

      Ob sie ihre Freundin Gerda einweihte? Nee, lieber nicht, die würde ihr abreden – und Peter hielt sie am Ende dann doch für eine »Klatsche«.

      Still ward’s in Villa Daheim, überall waren die Lichter verlöscht, alles schlief. Nur in dem netten Zimmer mit den rosagetünchten Wänden warf sich ein kleines Mädchen schlaflos in den Kissen herum. Annemarie brauchte sich nicht erst ins Bein zu kneifen, um munter zu bleiben. Ihr Gewissen, das sie deutlich vor dem ungezogenen Streich warnte, ließ sie schon keine Ruhe finden.

      Horch – zehn Schläge hallen von der großen friesischen Bauernuhr unten in der Diele durch das schlummernde Haus. Da erhebt sich Doktors Nesthäkchen lautlos. Lautlos schlüpft es in seine Sachen. Noch einen sehnsüchtigen Blick auf die festschlafende Ellen und Gerda, dann huscht Annemarie durch einen schmalen Türspalt auf den regendunklen Balkon hinaus.

      Puh – was für ein schauriges Wetter! Der Sturm ächzt in den Bäumen, er rast um die Wette mit dem Meer. Ist das der Quallenkönig, der nach seinem Kinde ruft? Annemarie zittert vor Angst und Kälte wie Espenlaub. Sie hat nicht übel Lust, wieder in ihr Bett zu entwischen. Aber da ist ja schon der Peter auf dem anliegenden Balkon mit seiner langen Bohnenstange. Der soll sie nicht für feige halten.

      »Pack’ an«, mit vereinten Kräften wird die Latte zum Fenster der sanft schlummernden Näherin geführt.

      »Los!« Die Stange klopft zart und behutsam gegen die Fensterscheibe.

      Fräulein Julchen schlummert ruhig weiter.

      »Doller – der Quallenkönig pocht nicht so rücksichtsvoll« – wild schlägt die Bohnenlatte gegen das Fensterglas.

      Klirr – mit lautem Geprassel fallen die Scherben, aber mit noch lauterem »hu – hu!« fährt das abergläubische alte Fräulein kreischend aus dem Schlaf empor.

      Peter hält sich den Bauch vor Lachen. Annemarie aber eilt, weinend vor Schreck über die zerbrochene Fensterscheibe, in ihr Zimmer zurück.

      Am nächsten Tage wurde strenges Gericht gehalten. Die auf dem Balkon liegengebliebene Stange verriet den Täter. Aber auch sonst wäre Tante Lenchen wohl auf keinen anderen als den ungezogenen Peter gekommen.

      Er war anständig genug, Annemarie nicht auch anzugeben. Das tat diese ganz von selbst. Peter sollte nicht allein gestraft werden.

      Tante Lenchen war sehr traurig darüber, daß auch Annemarie an dem häßlichen Streich beteiligt gewesen. Das war für diese schlimmer als die Strafe, die sie bekamen.

      Das Schlimmste aber war, daß sie sich jetzt nicht mehr in das Stübchen des guten alten Fräulein Julchens, bei der sich die kleinen Sünder entschuldigen mußten, hineinwagte – um die Freude hatte Annemarie sich selbst gebracht.

      16. Kapitel

       Sturmflut

       Inhaltsverzeichnis

      Der Spätherbst hatte noch einige schöne Oktobertage gebracht.

      »Heute gehen wir Preiselbeeren suchen«, verkündete Tante Lenchen der begeisterten Kinderschar.

      Mit Körben, Töpfen und Kannen bewaffnet, so zog die ganze Gesellschaft in die violett blühende Heide. Nach Steenodde und dem Wattenmeer zu sollte es die reichste Ausbeute geben.

      Emsig wurde unter Lachen, Singen und Scherzen geerntet. Kannen und Körbe füllten sich bald mit den hellroten Beeren. Ei – die sollten im Winter den fleißigen Sammlern schmecken. Aber auch viele verspätete Blaubeeren fand man noch, die zu der mitgenommenen Milch herrlich mundeten.

      Auf der mit unzähligen großen und kleinen Hügeln bedeckten Heide lagerten die Blaumäulchen alle zum fröhlichen Mahl

      »Wißt ihr auch, was das hier für Hügel sind?« fragte Fräulein Mahldorf ihre Schüler.

      Keiner wußte Antwort zu geben.

      »Das sind Hünengräber aus der Zeit der Wikinger, jenem alten Normannenstamm, dem um das Jahr 1000 die gefürchteten Seeräuber entsprossen. Noch in unseren Tagen hat man bei Ausgrabungen silberne Schwerter, Ringe und bronzene Urnen in den Hünengräbern aufgefunden, die in das Kieler Museum gewandert sind,« erklärte die Lehrerin ihnen.

      Mit großen Augen lauschten die Kinder. Das war ja beinahe so interessant wie die Gruselgeschichten von Fräulein Julchen. Scheu blickten sie auf die mit Heidekraut bewachsenen kleinen und großen Hügel ringsum.

      »Wenn ihr wollt, könnt ihr noch ein bißchen wattlaufen, wir haben grade Ebbe und die Sonne brennt ja heute wie im Hochsommer,« schlug Tante Lenchen vor.

      Da zerflatterten die Sagengeister, die um die alten Hünengräber ihr Wesen trieben und

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